Rheinische Post

Die Neue ist ein „Streifenhö­rnchen“

Verena Altenberge­r gibt im Münchner „Polizeiruf 110“ihr Debüt. Der Fall ist krass, spannend und ungewöhnli­ch.

- VON MARTINA STÖCKER

MÜNCHEN Deutlicher könnte der Unterschie­d zwischen alter und neuer Figur kaum sein: Hier der grübelnde Hanns von Meuffels (Matthias Brandt), der nach sieben Jahren im „Polizeiruf 110“seinen Hut nahm, dort Elisabeth „Bessie“Eyckhoff (Verena Altenberge­r), die Neue in München. Sie ist keine Kommissari­n, sondern genauer gesagt Polizeiobe­rkommissar­in im höheren Dienst. Sie geht mit ihren Kollegen Streife und ist damit ein „Streifenhö­rnchen“, wie diese Beamten oft flapsig genannt werden. Nur dank Personalma­ngel bekommt sie ihren ersten Fall zugeschanz­t.

Der heißt „Der Ort, von dem die Wolken kommen“und ist ein wirklich starkes Debüt. Regie hat Florian Schwarz geführt, der für zwei Filme („Tatort – Im Schmerz geboren“, 2015; „Das weiße Kaninchen“, 2017) bereits den Grimme-Preis gewonnen hat. Der Krimi versucht das Rätsel eines Jungen (Dennis Doms) zu lösen, der durch Ladendiebs­tähle auffällt und deshalb von der Polizei mitgenomme­n wird. Er wirkt sehr verängstig­t, scheint irgendwo festgehalt­en worden zu sein, wie Fesselspur­en an seinen Hand- und Fußgelenke­n zeigen. Außerdem hat er viele Narben und alte Verletzung­en. Und er spricht so gut wie nicht. Das Einzige, was Bessie aus ihm herausbeko­mmt, ist sein Name: Polou.

Der Junge kommt in die Obhut des Jugendamts. Um seine Sicherheit zu gewährleis­ten, muss er aber im Krankenhau­s bleiben. Dort wird er in einem leerstehen­den Flügel untergebra­cht, weil die Polizei nicht ausschließ­en kann, dass er für andere eine Gefahr darstellt. Allein dieser„Lost Place“im Krankenhau­s sorgt für eine gespenstis­che Atmosphäre. Polou wird von seinen Dämonen gejagt. Bessie, die versucht, eine Beziehung zu ihm herzustell­en, wird von Ängsten und Alpträumen geplagt. Das ist schon ein kleiner Horrorfilm im Krimi.

Das wird noch schlimmer, als die Ärzte und die Polizei die Ahnung beschleich­t, dass an dem Ort, von dem Polou entkam, noch andere Kinder unter gleichen Bedingunge­n leben. Bessie setzt sich dafür ein, den Jungen zu hypnotisie­ren, damit er mehr Details zu dem Haus geben kann. Erst gibt es Widerständ­e, die die Polizistin mit einer geschickte­n Erpressung löst. Dann findet sie sich selbst auf der Couch wieder: Sie wird ebenfalls in Hypnose versetzt und geht an Polous Seite an die Orte seines Schreckens. Und dabei trifft sie auch auf ihre Dämonen.

Das hört sich schräg an und ist vielleicht medizinisc­h auch unmöglich. Fakt ist aber, dass lange Zeit ein Sonntagabe­nd-Krimi nicht so spannend war wie dieses „Polizeiruf“-Debüt. Eine mysteriöse Frau in Fellmantel und Pelzmütze trachtet Polou nach dem Leben. Der Zuschauer wird stets darüber getäuscht, in welcher Ebene er sich befindet – in der Echtzeit? In der Erinnerung? In einem Traum?

Der Bayerische Rundfunk (BR) fährt als verantwort­licher Sender bewusst mit Schauspiel­erin Verena Altenberge­r als Bessie eine neue Strategie. Es gibt weniger Hierarchie­n in diesem Team, erklärt die verantwort­liche Redakteuri­n Cornelia Ackers. „Jünger, offener, weiblicher!“, beschreibt sie ihr Konzept. Ohne die Fixierung auf einen übergeordn­eten Kommissar bleibt mehr Raum. „Die anderen Figuren kommen mehr zur Geltung, wenn man nicht solch einen Magneten in der Mitte hat“, sagt sie.

An Bessies Seite ermitteln ihr Halbbruder Cem (Cem Lukas Yeginer) und Kollege Maurer (Andreas Bittl). Beide bringen Humor in den Fall, nicht umsonst nennen Kollegen die beiden„Dick und Doof“. Als zum Beispiel der Junge Polou gefunden wird, fragt Cem ihn auf Französisc­h, ob er Syrer sei. „Sieht er etwa aus wie der kleine Muck?“, faucht Maurer, weil der Junge blond, hellhäutig und bleich ist wie ein Laken.

„Polizeiruf – Der Ort, von dem die Wolken kommen“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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FOTO: DPA FOTO: BR/ROXY FILM GMBH/HENDRIK HEIDEN Verena Altenberge­r spielt Elisabeth „Bessie“Eyckhoff, Andreas Bittl (l.) und Cem Lukas Yeginer sind als Kollegen Maurer und Cem an ihrer Seite.

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