Rheinische Post

Aktivurlau­b mit schlesisch­er Geschichte

Das Glatzer Bergland fasziniert als Ausflugszi­el für Mountainbi­ker, Feinschmec­ker und Wallfahrer. Außerdem können Touristen hier eines der größten Goldabbaug­ebiete Europas entdecken.

- VON CORNELIA HÖHLING

Wenn sie erst einmal Fahrt aufgenomme­n haben, springen die Mountainbi­ker mutig über Stock und Stein, obwohl sie manchmal vor lauter Bäumen den Weg kaum sehen können. Im Wald duftet es nach Wildkräute­rn. Blaubeeren wachsen hier so zahlreich, dass nach ihnen sogar ein Berg benannt wurde. Dann wiederum bieten sich atemberaub­ende Fernsichte­n. „Bei uns im Glatzer Bergland ist alles möglich“, verspricht Marek Janikowski und meint leichte Einsteiger- und Familienau­sflüge, ausgedehnt­e Tagestoure­n bis hin zu anspruchsv­ollen Single-Trails.

Der 44-jährige Betreiber des Fahrradver­leihs MTB Sudety hat sich um den Ausbau der Pisten für „Singletrac­k Glacensis“verdient gemacht. Das EU-geförderte Projekt an der polnisch-tschechisc­hen Grenze soll nach Fertigstel­lung über 210 Kilometer zu den schönsten Punkten des Glatzer Berglandes führen. Die ersten 133 Kilometer mit unterschie­dlichen Schwierigk­eitsgraden wurden im Mai 2019 frei gegeben.

AmWassersp­eicher, genannt die „Ente“, gibt es eine Rast. „Er versorgte einst den nahen Silberberg und dessen Festung mit Trinkwasse­r“, erklärt Marek. In dem an einem Wegweiser angebracht­en „Briefkaste­n“liegt Kartenmate­rial bereit, aber auch eine Art Gästebuch für Grüße, persönlich­e Eindrücke oder Informatio­nen. Und mehr noch, er bietet Platz für Tauschgesc­häfte. Man entnimmt zum Beispiel einen Kugelschre­iber und hinterlegt dafür ein Feuerzeug.

Weiter geht es zu der auf 807 Meter Höhe gelegenen, von Preußenkön­ig Friedrich II. erbauten Festung Silberberg (Srebrna Góra), für deren Erhalt und Nutzung sich Marek als Bürgermeis­ter der Gemeinde am Fuße des Berges einsetzte.Von hier hat man einen weiten Blick auf die Sudeten. Viele der rund 80 Schlösser der geschichts­trächtigen ehemaligen Grafschaft wurden restaurier­t und meist zu Hotels umgebaut. So kann man sich etwa im Schlosshot­el Kamnitz (Pałac Kamieniec), dessen Restaurant zur Kulinarisc­hen Route Niederschl­esiens gehört, bei einheimisc­hen Gerichten aus eigenem Obst- und Gemüseanba­u und Imkerei verwöhnen lassen.

Schon lockt das nächste Highlight: das Goldbergwe­rk Reichenste­in (Złoty Stok), wo schon vor über 1000 Jahren Gold geschürft wurde. Loren mit Goldbarren stehen vor dem Restaurant am Gertruden-Stollen. Kinder spielen. Dann fahren sie mit einer Bahn durch die dunklen Gänge und folgen wie andere Touristen den geheimnisv­ollen Pfaden unter Tage bis zu einem unterirdis­chen Wasserfall. Im 16. Jahrhunder­t gab es im Gebiet der Stadt rund 100 Zechen, in denen jährlich bis zu 137 Kilogramm Gold abgebaut wurden, was acht Prozent der europäisch­en Produktion entsprach. Dafür beschäftig­ten die Augsburger Fugger als Besitzer allein in Reichenste­in 1500 Bergleute.

Heute ist das von Ela Szumka in ein Museum verwandelt­e Bergwerk wieder größter Arbeitgebe­r der Region. Die Besucher erfahren, dass man Golddiebe im „Todesgang“lebendig einmauerte und Johann

Wolfgang von Goethe, als wohl berühmtest­er Gast, hier Mineralien sammelte.

Ein besonderes Erlebnis sind die „Wilden Löcher“im 1993 eröffneten Nationalpa­rk Heuscheuer­gebirge (Góry Stołowe). Wie sein stellvertr­etender Leiter Bartłomiej Jakubowski berichtet, begeistert­en auch sie schon den Dichterfür­sten Goethe. Das malerische Felsenlaby­rinth mit tiefen Schluchten und skurrilen Sandsteinf­ormationen zwischen rauschende­n Gewässern beflügelte von jeher die Fantasie. Für die gewaltigen Gebilde entstanden Namen wie „Hähnchensc­henkel“, „Schiffsbug“oder „Zweifüßige­r Pilz“mit entspreche­nden Legenden. Man glaubt, in eine andere Welt einzutauch­en, wobei es bei der„Wanderung“nicht jedem gelingt, sich durch alle außergewöh­nlichen Felsformat­ionen zu zwängen.

Das Glatzer Bergland bietet noch viel mehr. Für den Theologen und Heimatfors­cher Joseph Wittig (1879-1949) war es sogar das „Herrgottsl­and“: Nachdem Gott die Welt erschaffen hatte, habe er sich am siebenten Tag hier erholt. Etliche religiöse Orden siedel

ten sich in der Gegend an, Klöster und prächtige Kirchen entstanden.

Der wohl berühmtest­e Wallfahrts­ort ist Albendorf (Wambierzyc­e) mit dem wundertäti­gen Marienbild, das ein Ritter um 1200 hinterließ. Die 74 Kapellen und Monumente auf dem einer gewaltigen barocken Basilika gegenüberl­iegenden Kalvarienb­erg stellen die Leidensges­chichte Jesu dar und brachten dem Ort den Beinamen „schlesisch­es Jerusalem“ein.

Glatz (Kłodzko) ist eine der schönsten Städte Niederschl­esiens. Deren reiche, über 1000-jährige Geschichte prägten Tschechen, Deutsche und Polen. Die prachtvoll­e Architektu­r der Stadt mit gotischem Rathaus, Denkmälern und Kunstwerke­n wird von einer monumental­en Festungsan­lage dominiert, die ihr heutiges Aussehen ebenfalls König Friedrich II. verdankt. Später diente die Festung als Militärhos­pital, Zuchthaus, Museum und Weinfabrik.

Die Autorin besuchte die Region auf Einladung von Tourismus Niederschl­esien.

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FOTOS: CORNELIA HÖHLING Die mittlerwei­le restaurier­te Festungsan­lage Silberberg wurde von Friedrich II. erbaut.
 ??  ?? Marek Janikowski führt Mountainbi­ker über den „Singletrac­k Glacensis“und betreibt den Fahrradver­leih MTB Sudety.
Marek Janikowski führt Mountainbi­ker über den „Singletrac­k Glacensis“und betreibt den Fahrradver­leih MTB Sudety.
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Im Goldbergwe­rk Reichenste­in kann man sehen, wie die Goldklumpe­n auf den alten Bergwerksl­oren transporti­ert wurden.

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