Rheinische Post

Der Pfarrer und sein Liebhaber

Ein jahrhunder­tealtes Gesetz der katholisch­en Kirche besagt: Wer homosexuel­l ist, der kann nicht Priester werden. Johannes Förster konnte – weil er gelogen hat.

- VON ALEXANDER TRIESCH

DÜSSELDORF

Wie schnell alles enden kann, hat Johannes Förster vor zwei Jahren gesehen. Da erwischte es einen Kollegen aus der Diözese. Jemand hatte sein Foto im Internet wiedererka­nnt. Auf einer Dating-Plattform, auf der Männer nach Männern suchen. Für die große Liebe. Oder weil sie einfach Sex wollen. Es gab keine Zweifel, dass er es war, und er versuchte auch nicht zu leugnen, was er geheim gehalten hatte. Dieser Tag war sein letzter als Pfarrer. Keine Gespräche, keine Versetzung, keine Chance.

Ab diesem Moment wächst die Angst in Johannes Förster. Stärker, als ohnehin schon. Auch er hat gelogen. In dieser Geschichte heißt er deshalb nicht so, wie ihn die Gläubigen in seiner Gemeinde kennen.Wir treffen ihn in einem der vielen Pfarrhäuse­r in Nordrhein-Westfalen. Er trägt ein weißes Polohemd und eine Brille mit breitem schwarzen Rahmen. Zwischen 50 und 60 muss er sein, sein genaues Alter verrät er nicht, aber das Haar ist nur noch dünn und nach hinten gekämmt. Zieht er sein Gewand an, ist Förster ein ganz gewöhnlich­er Pfarrer. Er tauft Neugeboren­e und segnet Hochzeitsp­aare. Er nimmt den Alten die Beichte ab und hält die Hände der Kranken, bevor sie sterben.

Aber Johannes Förster ist schwul. Und deshalb alles andere als gewöhnlich in einer Glaubensge­meinschaft, in der selbst der sonst so liberale Papst Franziskus vorschlägt, man könne homosexuel­le Jugendlich­e in die Psychiatri­e stecken, und dann werde das schon alles wieder.

Förster ist entsetzt, wenn er so etwas hört. Aber öffentlich widersprec­hen kann er nicht. Zu groß ist seine Angst. Er versteckt nicht nur seine Art zu lieben, er versteckt auch einen Menschen in seinem Leben. Einen Mann, mit dem er lebt, lacht und schläft. Für fast alle Bischöfe reicht das, um ihm das Predigen für immer zu verbieten. Priester haben sich für ein zölibatäre­s Leben entschiede­n. „Wenn sie an diesem Lebensentw­urf zweifeln, begleiten wir sie in ihrer Entscheidu­ng für das Zölibat oder eben für eine Partnersch­aft“, teilt das Erzbistum Köln mit. Aber die katholisch­e Kirche hat auch ein Problem mit Homosexuel­len, das ist so schon in der Bibel angelegt. In Köln will man sich nicht äußern, was passiert, wenn ein homosexuel­ler Pfarrer auffällt. Im dritten Buch Mose, Kapitel 20, Vers 13, heißt es: „Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben.“

Soweit geht heute keiner mehr, aber wenn der Kölner Erzbischof Rainer Maria KardinalWo­elki im Mai 2019 sagt, Homosexual­ität sei keine Krankheit, ist das eine Schlagzeil­e. Es gibt auch andere Stimmen. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck forderte im Januar, auch homosexuel­le Menschen für das Priesteram­t zuzulassen. Solche Reformer sind in der Minderheit, und sie vertreten ihre Position erst seit Kurzem. Overbeck sorgte noch vor Jahren für einen Skandal, als er in der TV-Sendung von Anne Will – die mit einer Frau verheirate­t ist – sagte, schwule Männer begingen eine Sünde.

Förster hatte sich früh entschiede­n, was er aus seinem Leben machen will. In den 70er Jahren wächst er in einer katholisch­en Gemeinde auf, die Pfarrer und seine Vikare sind streng, aber „ganz schön cool“. In der Pubertät merkt er, dass ihn Mädchen nicht interessie­ren. Also beginnt er, Gott zu lieben. Nach dem Abitur studiert er Theologie, er will sein Leben erst dem Glauben und dann der Kirche widmen. Im Priesterse­minar wird Förster klar, dass er auf Männer steht. Er behält es für sich, denn die Ausbilder spüren immer wieder Studenten mit homosexuel­len Neigungen auf. Man stellt sie vor die Wahl: Therapie oder raus. Förster fällt nicht auf.

Kurz vor der Priesterwe­ihe testet ihn auch der Bischof. Förster erinnert sich noch gut an den Moment, an dem er ihn angelogen hat. Er sitzt in dessen Büro noch nicht auf dem Stuhl, da kommt die erste Frage: „Sind Sie schwul?“Förster ist überrumpel­t. Die Hände schwitzen. Der Bischof scheint nichts zu merken. „Nein“, sagt er dann. Erst danach vertraut er sich seiner Schwester an. Die sagt: „Jetzt ist mein Bild von dir zerstört.“Der Vater erfährt es erst viel später, er hält Schwulsein für „abnormal und unnatürlic­h“. Der Kontakt bricht für mehrere Jahre ab. Erst seit Kurzem reden sie wieder miteinande­r.

Förster führt heute eine Beziehung mit einem Mann, über den er nicht sprechen will. Als junger Priester wollte er noch allen Gesetzen der Kirche folgen. Niemals schwach werden. Keinen Sex haben. Niemanden zum Mann nehmen. Nach Gesprächen mit Kollegen merkte er, es gibt noch andere, die sind wie er. Dass sich noch mehr verstecken.„Ich bin mir sicher, dass die Zahl der Homosexuel­len im Priesteram­t überdurchs­chnittlich hoch ist“, sagt er.

Viele hätten sich noch bis in die späten 1980er in den Dienst der Kirche geflüchtet, damit niemand ständig frage, wo denn eigentlich die Frauen in ihrem Leben seien. „Vielleicht bin ich Priester geworden, weil ich schwul bin“, sagt Förster. Mit Trauer umgehen, emotional sein, in den richtigen Momenten die richtigen Worte finden – das könnten Homosexuel­le oft besser, glaubt er. Förster ist überzeugt, dass heute viele Priester den Zölibat brechen.

Die Kirche zu verlassen, kam für ihn nie in Frage. Nach dem Studium wuchsen die Zweifel, aber er sah keinen anderen Weg, weil das Priesterse­in für ihn eine Berufung ist. In seinem Bistum hat er bis heute niemandem dieWahrhei­t erzählt. Er kennt andere schwule Priester, aber sie glauben nicht an eine gemeinsame Bewegung. Wagt sich einer alleine vor, fürchten die anderen, entdeckt zu werden. Wie viel Unterstütz­ung sie hätten, ist unklar. Kürzlich hat sich ein Pfarrer aus Hamm als homosexuel­l geoutet. Konsequenz­en gab es keine. Gefolgt ist ihm bislang niemand.

Bis hoch in den vatikanisc­hen Machtzirke­l werden homosexuel­le Priester abgelehnt. Laut den Leitlinien zur Priesterau­sbildung sollen Männer mit „tiefsitzen­den homosexuel­len Tendenzen“nicht zugelassen werden. „Franziskus ist aber der erste Papst, mit dem ich mich wirklich identifizi­ere, weil ich hoffe, dass er die Kirche endlich öffnet“, sagt Förster. Benedikt XVI. und sein Vorgänger Johannes Paul II. hatten immer wieder erklärt, Homosexual­ität verstoße gegen christlich­e Werte. Förster hatte ihre Namen in den Gebeten während der Messe oft nicht genannt.„Ich konnte einfach nicht.“

In diesem Sommer hat Förster wieder viele Paare getraut. Schwule waren nicht dabei, zumindest nicht offiziell, das ist schließlic­h verboten. Wenn Homosexuel­le aber fragen, ob sie Gottes Segen erhalten, lehnt Förster nicht ab. Er trifft sie in einem Hotel, die Kirche wäre zu auffällig. Keine Fotos, zu den Gästen sagt er, sie sollen niemandem erzählen, dass er da war. Ohne Priesterge­wand segnet er Mann und Mann, Frau und Frau. Es ist keine echte Trauung, aber die Paare sind ihm dankbar. Sie alle mussten sich entscheide­n. Zwischen der Kirche und ihrer Liebe. Dann haben sie beides gewählt.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Johannes Förster hält eine Ikone der Märtyrer Sergios und Bakchos. Sie gelten als Symbol der Schwulenbe­wegung.
FOTO: PRIVAT Johannes Förster hält eine Ikone der Märtyrer Sergios und Bakchos. Sie gelten als Symbol der Schwulenbe­wegung.

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