Rheinische Post

„Es ist ein musikalisc­her Seitenspru­ng“

Der Sänger der Toten Hosen über das neue Akustik-Album der Band: „Alles ohne Strom“.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Die Toten Hosen traten im Sommer dreimal in der Düsseldorf­er Tonhalle auf. Die wenigen Karten waren rasch ausverkauf­t, und was im Saal passierte, weiß kaum jemand, denn Handys und Kameras mussten im Foyer abgegeben werden. Die Konzerte hatten das Motto „Alles ohne Strom“, und der Clou war, dass die Band ausschließ­lich Akustik-Versionen spielte. Das Album zum Konzertere­ignis erscheint am 25. Oktober. Wir telefonier­ten mit Hosen-Sänger Campino, der sich gerade in seinem anderen Lieblingsl­and aufhielt: England.

Klassische­r Saal, alte Songs in neuen Versionen: Befinden sich die Toten Hosen in ihrem Spätwerk? CAMPINO Wir haben einfach entdeckt, was für einen Spaß es machen kann, alte Lieder mit anderen Instrument­en zu interpreti­eren. Natürlich muss man schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, um spielerisc­h mit dem Frühwerk umzugehen. Das Älterwerde­n hat ja nicht so viele Vorteile, aber einer ist, dass man selbstsich­erer wird. Dass man sich nicht nur darüber definiert, wie viel Applaus man von außen bekommt, sondern auch, was einem wichtig ist, was man von innen schöpft. Mit den Jahren zu lernen, über Grenzen zu springen und andere Räume zu entdecken. Das hätten wir uns früher nicht getraut. Aber es ist nicht so, dass wir uns jetzt einen Weg suchen, wie wir noch ein paar Extrarunde­n drehen können.Vielmehr ist es ein musikalisc­her Seitenspru­ng. Irgendwann kehren wir zu unserem Kern zurück, und das sind nun mal die E-Gitarren. Die sind nur geparkt und nicht weg.

Wann haben Sie die Stücke arrangiert? Das sind ja zum Teil sehr aufwändige Veränderun­gen. CAMPINO Wir haben im letzten halben Jahr immer mal wieder für ein paar Tage geprobt und Sachen ausprobier­t, sind durch unsere Lieder gewandert und haben geguckt, was sich eignet. Die Zielsetzun­g war: ein paar Raritäten aus den frühen Jahren, ein paar aktuellere Sachen und auch ganz neue Lieder und Cover-Versionen von Songs, die uns besonders gut gefallen.

Was ich nicht verstehe: Sie covern das Lied „Ohne dich“von Rammstein. Eine Band, die für ihr neues Album mit einem Ausschnitt aus einem Video-Clip geworben haben, der sie als KZ-Insassen zeigt. Zwei Tage lang haben sie damit Aufmerksam­keit generiert und erst dann das ganze Video veröffentl­icht, in dem sie die Szene als Teil eines langen Ritts durch die Geschichte Deutschlan­ds einordnen. Direkt nach dem Rammstein-Cover folgt auf Ihrer Platte ein neues Lied von Ihnen über eine ehemalige Auschwitz-Gefangene. Entwerten Sie Ihr Lied in dieser Nachbarsch­aft nicht?

CAMPINO Also, das ist ein sehr schweres Geschütz, das Sie da auffahren. Ich sehe das nicht so. Teile Ihrer Ansicht kann ich verstehen. Zum Beispiel den Vorwurf, dass Rammstein mit so einem Schockmome­nt gearbeitet haben. Wobei sie in besagter Szene ja selber am Galgen hängen.

In Häftlingsk­leidung. Macht es das besser?

CAMPINO Wenn man das ganze Video sieht und das aktuelle Album hört, dann haben sich Rammstein dem Thema Rechts und Rechtsauße­n mehr gestellt denn je. Allerdings hatte ich ja auch gerade zu Beginn ihrer Karriere große Probleme mit der Band Rammstein. Weil ich damals dieses Kokettiere­n mit der Ästhetik der NS-Zeit unerträgli­ch fand. In meinen Augen ist Rammstein allerdings ein Projekt, in dem die Künstler während ihres Auftritts in fiktive Charaktere schlüpfen. Es ist wie ein Musical, eine Aufführung. Nach dem Auftritt legen die Künstler diese Rollen wieder ab. Das ist bei den Toten Hosen ja ganz anders. Das, was da auf der Bühne stattfinde­t, sind wir. Man muss sich also erstmal sehr mit Rammstein beschäftig­en wollen, um den Humor der Gruppe zu verstehen. Und sie haben großen Humor. Das hat bei mir ein paar Jahre gedauert, bis ich das verstanden habe. Aber irgendwann hat es geklickt.

Aber die haben Geschäfte mit der

Holocaust-Ästhetik gemacht. Sie hätten jede andere Szene aus dem Video nehmen können. Sie haben sich aber für das KZ entschiede­n, weil sie wussten, das bringt Klicks. Das finde ich schlimm. Ich habe mich gewundert, dass Sie nach dem Lied einer solchen Band Ihren Song zum Thema spielen. Ist das Zufall oder Kommentar?

CAMPINO Es ist insofern kein Zufall, als dass mir klar ist, wofür Rammstein stehen und auch wir in der Vergangenh­eit ein problemati­sches Verhältnis zu ihnen hatten. Es kam vor vielen Jahren zu einer Aussprache, und seitdem hat sich sehr viel getan. Zur Parole „Deutschlan­d“in dem gleichnami­gen Lied: Klar, dass einem da anders wird, wenn man sie aus dem Kontext reißt. Aber gleichzeit­ig knallen sie gerade in diesem Text den Rechtsauße­n dermaßen vor den Latz, dass man hirnrissig sein muss, um das als rechtes Lied zu verstehen. Stoßen Rammstein mit so einem Lied nicht mehr Diskussion­en an, als wir mit unseren Anti-Rechts-Liedern, die wir vor Leuten spielen, die eh Bescheid wissen? Wen erreicht Rammstein, und wen erreichen wir? DiesenVorw­urf, dass sie rechts wären, müssen sie sich nicht gefallen lassen. Was sie sich gefallen lassen müssen, ist der Vorwurf, dass sie immer wieder provoziert haben, auch mit der Leni-Riefenstah­l-Ästhetik.

Es geht mir einzig um den Videoschni­psel zum Lied „Deutschlan­d“. Um den bewussten verkaufsfö­rdernden Einsatz des Holocausts. CAMPINO Vielleicht bin ich da naiv, aber ich glaube, dass sie genau diese Galgenszen­e genommen haben, weil sie die Leute auf eine falsche Fährte locken wollten. Sie fanden es lustiger, dass alle Leute wieder auf Rammstein schimpfen würden, obwohl sie das Video noch nicht gesehen haben. Und dann ziehen sie den Vorhang weg, und alle sagen: Ja, hm, Mist. Man hat sich tierisch aufgeregt, und den Leuten friert nun das vorschnell­e Urteil im Mund wieder ein.

Trotzdem...

CAMPINO ... trotzdem sagen Sie: Da ist eine Linie überschrit­ten, denen war dieser Effekt so wichtig, dass sie mit dem eigentlich­en Thema, nämlich der KZ-Situation, gespielt haben. Das kann man so sehen. Ist in Ordnung. Ich verstehe Ihre Seite. Ich bin in diesem Punkt aber anderer Meinung. Und schon gar nicht würde ich sagen, die Band Rammstein ist dadurch für mich diskrediti­ert. Mir lag ja gerade daran, einmal den klassische­n Dampfhamme­r von ihrer Musik wegzunehme­n und die lyrische Seite am Beispiel von„Ohne Dich“zu zeigen. Es hätte sich allerdings auch kaum ein anderer Song von ihnen besser angeboten, um ihn in unserer Version zu spielen.

Lassen Sie uns über Ihren Song reden: „Schwere(-Los)“handelt von einer Auschwitz-Überlebend­en namens Ada Sternberg.

CAMPINO Die Melodie ist übriggebli­eben von den Sessions zu„Laune der Natur“. Wie hatten drei verschiede­ne Versionen und vier verschiede­ne Textansätz­e. Der erste davon war eine Geschichte über eine alte Frau, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat und eigentlich nur noch auf ihren Tod wartet. Ich hatte vieles nebulös gelassen und nur mit Andeutunge­n gearbeitet. Die Leute, denen ich das Lied vorgespiel­t habe, verstanden nicht, worum es mir eigentlich ging. Als wir im Frühjahr in Polen gastierten, spielten wir in Krakau und Warschau und hatten zwischendu­rch einen freien Tag. Wir sind gemeinsam nach Auschwitz gefahren. Und als wir das Lager besichtigt hatten, wurde mir klar, dass ich im Lied viel konkreter werden muss. Wenn man den Holocaust thematisie­rt, muss der Text deutlich sein, weil er sonst dem Thema nicht gerecht wird.

Sie sind in England: Es gab dieses Bild des Regierungs­mitglieds Jacob Rees-Mogg, der sich im Unterhaus fläzte und so tat, als würde er wegnicken. Eine Zeitung schrieb darüber, der Herr trage eine Haltung zur Schau, die der des Punk ähnele. CAMPINO Das ist völliger Quatsch! Eine lächerlich­e Interpreta­tion. Mit Punkrock hat das überhaupt nichts zu tun. Zufälliger­weise haben wir das Album „Learning Englisch II“mit unseren alten Helden aus der Punkszene zur Zeit des Referendum­s in London aufgenomme­n. Da standen dann Bob Geldof, Steve Diggle von den Buzzcocks, die Undertones und viele andere. Nicht einer von denen freute sich über den Brexit. Alle haben geflucht. Punkrock würde sich nie nationalis­tisch in ein Abspalter-System begeben. Es ging beim Punk immer um Freiheit und Selbstbest­immung. Ich halte diese Interpreta­tion also für völlig in den Wald geschossen.

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ARCHIV-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Campino, Sänger der Toten Hosen.

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