Rheinische Post

Eine Familie und ihre Kinos

Rosemarie Grambergs Familie gehörten sieben Kinos in und um Düsseldorf. Das erste war das Asta Nielsen an der Graf-Adolf-Straße.

- VON NICOLE KAMPE

FRIEDRICHS­TADT/NIEDERKASS­EL Als Rosemarie Gramberg klein war, saß sie oft irgendwo mittendrin auf einem Stuhl, ein Fläschchen in der Hand, schaute auf die große Leinwand. Damals dachte sie, die Schauspiel­er auf der Leinwand würden nach der Vorstellun­g einfach hinter die Bühne fallen. Rosemarie Gramberg ist ständig im Kino gewesen, manchmal durfte sie in den Vorführrau­m, „manchmal riss der Film“, erinnert sich Gramberg, „dann musste alles ganz schnell gehen“. Nach Essig hat es immer gerochen in dem kleinen Raum mit den großen Filmrollen und Projektore­n. Rosemarie Gramberg ist ein echtes Kino-Kind, ihrer Familie gehörten vier Kinos in der Stadt, drei weitere nicht weit weg von Düsseldorf. Angefangen hat alles mit dem Asta Nielsen an der Graf-Adolf-Straße mit den Hausnummer­n 37 und 37 a. Die Nummern sind deshalb so wichtig, weil es an der Graf-AdolfStraß­e vor 100 Jahren fast ein Dutzend Kinos gegeben hat – das Europa-Filmtheate­r und das Lux am Bahnhof, das City, die Kamera oder das Graf-Adolf-Theater.

Für 30.000 Mark baute ihr Großvater August Baltes mit einem Bekannten – Hans Friedrich – im Sommer 1911 ein Lichtspiel­theater. 594 Menschen sollen Platz haben im Kino, das sie nach der dänischen Schauspiel­erin Asta Nielsen benennen, die zu dem Zeitpunkt gerade einmal ein knappes Jahr auf der Filmleinwa­nd zu sehen ist. Der Name ist umstritten, Kritiker werfen Nielsen vor, Schund- und Schmutzfil­me gedreht zu haben. Das interessie­rt Baltes und Friedrich nicht, die am 17. November 1911 das Asta-Nielsen-Theater eröffnen mit dem Film „Der fremde Vogel“. „Ich habe gehört, dass sogar Asta Nielsen da gewesen sein soll“, sagt Rosemarie Gramberg.

Die Leinwand im Kino steht schräg, so sehr, dass Besucher, die einen Platz seitlich vorne bekommen, nur ein verzerrtes Bild sehen. Im Februar 1912 werden fast 90 Stühle kurzerhand entfernt. Immer wieder bauen August Baltes und Hans Friedrich das Kino aus, durch den ErstenWelt­krieg können sie das Projekt aber nie ganz fertigstel­len, 1915 hat das Asta Nielsen 844 Sitze. Nach dem Krieg läuft es gut für das Kino an der Graf-Adolf-Straße, Familie Baltes eröffnet in den folgenden Jahren das Skala, das Nordlicht-Theater und das Alhambra. Kino ist beliebt, Kino ist toll, immer mehr Düsseldorf­er wollen Filme schauen. Bis zur Weltwirtsc­haftskrise. Die Kinobetrei­ber unterbiete­n sich bei ihren Eintrittsp­reisen, damit die Leute kommen. Schließlic­h verpflicht­en sie sich, einen Mindestein­tritt zu nehmen – 70 Pfennig für die Nachmittag­svorstellu­ng, 90 Pfennig am Abend. Manche bauen Stehplätze ein, um günstigere Karten zu verkaufen. „Wer keine Arbeit hat und kein Geld, kann sich selbst den Besuch im Stehen nicht leisten“, schreibt Sabine Lenk in ihrem Buch „Vom Tanzsaal zum Filmtheate­r – Eine Kinogeschi­chte Düsseldorf­s“.

1932 gründen die Erben von August Baltes die Asta-Nielsen-Theater-Betriebs-GmbH, Leiter wird Rosemarie Grambergs Vater Kurt

Baltes. Er ist das jüngste von acht Kindern, will eigentlich Ingenieur werden, folgt aber demWunsch seiner Mutter. IhrenVater hat Rosemarie Gramberg nicht mehr kennengele­rnt, im Zweiten Weltkrieg ist er gefallen. Kurt Baltes' Geschwiste­r führen das Kino weiter,„meine Mutter und ich hatten Anteile und konnten gut davon leben“, sagt Gramberg, die nicht oft ins Asta Nielsen gegangen ist, lieber ins Alhambra, weil ihr dort die Filme besser gefielen. Im Asta liefen vor allem Western. Gramberg hat Freunde mitgenomme­n, kam in die meisten Lichtspiel­theater rein, ohne Eintritt zahlen zu müssen. Man kannte sich untereinan­der, viele Kollegen gehörten zur Familie.„Die größte Schau derWelt“hat Rosemarie Gramberg bestimmt zehn Mal gesehen. „Ich war so verliebt in Charlton Heston“, sagt sie.

Bis Ende der 1960er Jahre betreiben die Baltes' das Kino, 1972 übernimmt der Kölner Adolf Schoofs das Asta Nielsen. „Eines Morgens rief meine Tante an und sagte, das Asta brennt“, erzählt Rosemarie Gramberg. Überall Rauch, Flammen, die aus dem Eingangsbe­reich schlagen. Es ist die Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1973,„es muss nach der Spätvorste­llung passiert sein“, sagt Rosemarie Gramberg, die zu dem Zeitpunkt schon in Niederkass­el lebt und die sofort mit ihrem Mann zur GrafAdolf-Straße fährt. Eine glimmende Zigarette ist vermutlich die Ursache, einzig derVorführ­raum bleibt unbeschade­t. Schoofs baut das Kino wieder auf, unterteilt den großen Raum in drei kleine, zeigt Action-Titel und Pornos, „die Familie ist durchgedre­ht“, erinnert sich Gramberg. Titel wie „Supervixen­s – Eruption“und „Die 120 Tage von Sodom“stehen auf dem Programm. Das Kino ist nicht mehr das, was es mal war. Am 31. Dezember 1986 wird es geschlosse­n, kein Jahr später abgerissen. Die Gothaer Versicheru­ng baut ein neues Haus an der Graf-AdolfStraß­e mit der Hausnummer 37.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Rosemarie Gramberg erinnert sich noch gut an die Zeiten, als sie ihre Freunde ins Kino einladen konnte.
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FOTOS: ROSEMARIE GRAMBERG Kurt Baltes führte das Asta Nielsen, bevor er im Zweiten Weltkrieg gefallen ist.
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Zu Nikolaus lud Kurt Baltes Kinder ein, die sich eine Vorstellun­g im Asta Nielsen anschauen durften.
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In der Nacht zum 29. Juli 1973 brannte das Kino an der Graf-Adolf-Straße.
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Bis auf den Vorführrau­m war das Kino weitestgeh­end zerstört.

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