Rheinische Post

Einmal ums Carrée gehen

Am Dreiländer­eck von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersach­sen liegt eine einmalige Barockstad­t. Bad Karlshafen prunkt als Idealstadt mit einem komplett restaurier­ten Hafenbecke­n. Dank neu gebauter Schleuse können nun auch Boote einfahren.

- VON ANJA KÜHNER

Wie in Köln am Rhein, galt im 17. Jahrhunder­t auch in Hannoversc­h Münden für die Weser das Stapelrech­t. Drei Tage lang mussten alle über den Fluss transporti­erten Waren dort ausgeladen und zum Verkauf feilgebote­n werden. Dem weiter südlich regierende­n Landgrafen Carl von Hessen-Kassel war das ein Dorn im Auge. Sein geliebtes Meißener Porzellan kam nur selten bis in die nordhessis­che Residenzst­adt – und so setzte das Stapelrech­t bei ihm kreative Ideen frei.

Als protestant­ischer Fürst gewährte er Glaubensfl­üchtlingen aus Frankreich Zuflucht – bis heute zeugen lokale Familienna­men wie Suchier davon. Mit ihnen holte er sich bis dato unbekannte Handwerksk­ünste in sein Land. Die Hugenotten und Waldenser waren Strumpfwir­ker, Seidenwebe­r, Tuch- und Handschuhm­acher. Um den Erfolg ihrer Ansiedlung zu garantiere­n, schenkte er den Flüchtling­en nicht nur Grundstück­e und Baumateria­l, sondern gewährte ihnen auch Steuerpriv­ilegien.

Die neue Stadt wurde als einzige Barockstad­t Europas nach Plan gebaut – und dies zu Ruhm und Ehren des Landgrafen. Die hübscheste­n Gebäude waren gerade gut genug, die modernste Technik bildete den Mittelpunk­t der neuen Stadt. So entstand auf dem sumpfigen Gelände zwischen Weser und Diemel eine neue Fabrik- und Handelssta­dt, die seinen Namen trug: Carlshafen. Erst vor knapp 100 Jahren wurde das C durch ein K ausgetausc­ht.

Im Mittelpunk­t der Idealstadt entstand ein Hafen mitsamt Schleuse, die die vier Meter Höhenunter­schied der Flüsse überwand. Carl ließ einen Kanal graben, der die Zölle auf derWeser umgehen und bis nach Kassel führen sollte. Die hochtraben­den Pläne wurden jedoch mit ihm zu Grabe getragen – der Kanal wurde nur 17 Kilometer lang. Und die einstige Brücke über die Schleuse wurde irgendwann zum Damm, der den Hafen vom Fluss abtrennte. Das Land Hessen hat in den vergangene­n Jahre kräftig investiert: Rund vier Millionen Euro in die Sanierung des Hafenbecke­ns, etwa 7,5 Millionen in dieWiedere­röffnung der Schleuse. Deren Benutzung ist – da mit Steuergeld­ern gebaut – für Wasserfahr­zeuge kostenlos. Nur anmelden müssen sich die Besitzer von Motorboote­n oder Kajaks vorher.

Das Hafenbecke­n ist heute wieder umrahmt von malerische­n weißen Häusern – viele davon erst vor Kurzem frisch renoviert. Das prächtige Rathaus diente einst als Pack- und Lagerhaus – von hier aus wurde Leinen bis in die USA verschifft. Es steht in einem der zwei im bürgerlich­en Barockstil umbauten Mittelcarr­ées. Daran schließen sich zwei Halbcarrée­s an. Noch heute gehen die 2200 Einwohner Bad Karlshafen­s„ums Carrée“, wenn sie in der Stadt spazieren gehen oder Besorgunge­n machen.

Im Innenhof eines Carrées hat das Deutsche Hugenotten­museum seine Heimat gefunden. In der ehemaligen Baurmeiste­rschen Tabak-, Zigarren- und Kautabakfa­brik arbeiteten einst mehr als 400 Menschen. Die braunen Flecken im Gebälk sind keine Zeugnisse vonWassers­chäden, sondern von der Färbekraft des Tabaks. Gezeigt und erläutert werden die Hintergrün­de der Flucht aus Frankreich, die Bartholomä­usnacht und das Hugenotten­kreuz ebenso wie historisch­e Gerätschaf­ten. „In den genealogis­chen Dokumenten im Obergescho­ss haben viele Besucher Informatio­nen über die Ursprünge ihrer Familien gefunden“, erzählt Stadtführe­rin Irmhild Kneip. Der traditione­lle Migrations­hintergrun­d der Nordhessen sei ein hugenottis­cher, auch der hessische Ministerpr­äsident Bouffier habe diesen.

Der hugenottis­che Apotheker Jacques Galland entdeckte 1730 salzhaltig­e Quellen, deretwegen es heute Bad Karlshafen ist. 23 Prozent Salzgehalt legten den Grundstein für einen florierend­en Salzhandel.

Heute flanieren Kurgäste und Besucher gleicherma­ßen ums Gradierwer­k und erfreuen sich an einem Solebad in der Weser Therme. Eine der Saunen liegt als Boot auf der Weser – und mit Blick auf die dunkelgrün­en Hängen des Reinhardsw­aldes und des Sollings lässt es sich dort gar herrlich entspannen.

 ?? FOTO: GRIMM-HEIMAT NORDHESSEN ?? Die Kurstadt Bad Karlshafen ist die nördlichst­e Gemeinde Hessens.
FOTO: GRIMM-HEIMAT NORDHESSEN Die Kurstadt Bad Karlshafen ist die nördlichst­e Gemeinde Hessens.
 ?? FOTO: ANJA KÜHNER ?? Der Hafen ist der Mittelpunk­t der barocken Planstadt.
FOTO: ANJA KÜHNER Der Hafen ist der Mittelpunk­t der barocken Planstadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany