Mobiler Umbruch – Chancen und Risiken
Kaum ein Wirtschaftszweig prägt Deutschland so wie die Automobilbranche, die sich derzeit in einem historischen Umbruch befindet. Wer den Wandel nicht mitgestalten kann, droht auf der Strecke zu bleiben.
Schöne neue Autowelt: Surrende E-Mobile schaffen Hunderte Kilometer, CO2-neutrale Sammeltaxis drängen den Individualverkehr zurück, vernetzte Wagen warnen sich gegenseitig vor Unfallgefahren. Noch mag dieses Szenario zu schön klingen, um wahr zu sein. Der Strukturbruch der Branche zu E-Modellen, Digitalisierung und automatisiertem Fahren ist aber in vollem Gange – und hat nicht nur Gewinner.
Ohne deutlich weniger Verbrenner und deutlich mehr Elektroautos kein wirksamer Klimaschutz – daran zweifelt kaum jemand mehr, zumindest wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Zuletzt zogen die Neuzulassungen reiner E-Fahrzeuge in Deutschland auch merklich an. Ihr Marktanteil bleibt aber einstweilen gering. Um das E-Auto massentauglich zu machen, beschloss die Bundesregierung höhere und längere Kaufprämien.
Peter Fuß, Branchenexperte der Beratungsfirma EY, hält diese Förderung für entscheidend: „Zahlreiche Modelle auch in niedrigeren Preisregionen werden Elektromobilität für neue Käufergruppen attraktiv machen.“Aber auch die oft geringe Reichweite spielt eine Rolle. VW etwa versucht, mit dem ID.3 gegenzusteuern – das Modell ist relativ günstig und fährt mit vollem Akku einige Hundert Kilometer.
Problem Nummer drei: das dünne Ladenetz. In den kommenden zwei Jahren sollen 50.000 neue öffentliche Ladepunkte entstehen. Damit das E-Auto alltagskompatibel wird und in Parkhäusern, Tiefgaragen sowie am Arbeitsplatz geladen werden kann, sind rechtliche Änderungen nötig.
Der mobile Umbruch hat jedoch Schattenseiten. So bereitet ein allzu rascher Umstieg auf die E-Mobilität den Gewerkschaften Kopfzerbrechen. E-Antriebe haben nur einen Bruchteil der Komponenten, aus denen Verbrennungsmotoren bestehen – es fällt weniger, dafür aber hoch spezialisierte Arbeit an. Eine Analyse des Center of Automotive Research (CAR) kam zu der Einschätzung, dass bis 2030 fast 234.000 Stellen bei Herstellern und Zulieferern in Deutschland wegfallen könnten. Bereits jetzt sinkt die Autoproduktion im Land: 2019 laut CAR mit 4,67 Millionen Stück auf den tiefsten Wert seit 22 Jahren.
Um die Mitarbeiter von der alten in die neue Welt mitzunehmen, legen die Firmen Qualifikationsprogramme auf. Parallel dazu landen Tausende Jobs der klassischen Verbrennerproduktion auf der Streichliste. Audi baut bis 2025 in Deutschland 9500 Stellen ab, im Gegenzug entstehen nur 2000 Jobs in Bereichen wie E-Mobilität und Digitalisierung neu. Bei Daimler dürfte ein Sparprogramm in den kommenden drei Jahren mindestens 10.000 Stellen kosten. Der Konzern will so bis Ende 2022 rund 1,4 Milliarden Euro an Personalkosten einsparen. Bosch kappt ebenfalls viele Stellen. Bei Continental protestieren Beschäftigte gegen das mögliche Aus für Kollegen, die den Wandel von Hydraulik zu Elektronik nicht mitmachen wollen. Bis 2023 könnten die Umstrukturierungen hier 15.000 Jobs betreffen, 5000 in Deutschland.
Insgesamt scheinen die Hersteller die Dringlichkeit der Umbauprozesse erkannt zu haben. Bei VW fließen bis 2024 rund 33 Milliarden Euro in die E-Mobilität, für die Kernmarke sollen es elf Milliarden Euro sein. Ein eigenes Batteriezellwerk wird geplant, die Konkurrenz kauft zunächst weiter zu – BMW etwa vom chinesischen CATL-Konzern. Die Bayern, mit dem i3 einst Pionier bei E-Kleinwagen, halten sich die Entscheidung für eine dominante Antriebsform offen. Nach eigenen Angaben verkauften sie inzwischen eine halbe Million E- und Hybridautos. Daimler setzt vor allem auf die Elektro-Reihe EQ mit dem SUV EQC und dem Minibus EQV.
Derweil macht sich US-Erzrivale Tesla am Berliner Stadtrand breit: In Grünheide soll eine Gigafactory mit bis zu 7000 Jobs entstehen. Ab Ende 2021 sollen hier der Kompakt-SUV Model Y, Batterien und Antriebe gefertigt werden. Die deutschen Autochefs bemühen sich, die Kampfansage sportlich zu sehen: Der Innovationsschub nutze allen.
Digitalisierung bringt eine weitere Automatisierung der Fertigung mit sich – besonders aber steigende Vernetzung von Funktionen im Auto selbst. Dieses wird zum rollenden Smartphone. Aus eigener Kraft können die Hersteller all dies kaum stemmen. Eine Idee ist zudem, künftig ganze Flotten zu steuern – samt Schnittstellen zu Abrechnungs-Software für Elektroautos.
Die Autos der Zukunft kommunizieren außerdem untereinander sowie mit der Verkehrsinfrastruktur. Zulieferer wie Continental sind hier gut im Geschäft, doch die Konkurrenz aus den USA und China schläft nicht. Weitgehend offen ist noch, welche Datenschutz-Standards für die erwarteten riesigen Informationsmengen gelten sollen.
Eng mit der allgemeinenVernetzung hängt die Entwicklung hochautomatisierter – und eines Tages autonom fahrender – Autos zusammen. Jedoch hinken die Deutschen hier US-Firmen wie der Google-Schwester Waymo hinterher. Das führt zu Bündnissen, die früher unrealistisch gewesen wären: Daimler und BMW kooperieren beim Robo-Car ebenso wie VW und Ford.
In der US-Stadt San José testet Daimler mit Bosch einen Mitfahrdienst mit selbstfahrenden Autos. Aber es stellt sich die Frage: Wollen hinreichend viele Kunden so etwas? Und: Fährt der Roboter wirklich sicherer? Die Debatten unter Autoversicherern und Ethikern, die Entscheidungen bei Unfällen analysieren, haben gerade erst begonnen.