Rheinische Post

Mobiler Umbruch – Chancen und Risiken

Kaum ein Wirtschaft­szweig prägt Deutschlan­d so wie die Automobilb­ranche, die sich derzeit in einem historisch­en Umbruch befindet. Wer den Wandel nicht mitgestalt­en kann, droht auf der Strecke zu bleiben.

- VON JAN PETERMANN

Schöne neue Autowelt: Surrende E-Mobile schaffen Hunderte Kilometer, CO2-neutrale Sammeltaxi­s drängen den Individual­verkehr zurück, vernetzte Wagen warnen sich gegenseiti­g vor Unfallgefa­hren. Noch mag dieses Szenario zu schön klingen, um wahr zu sein. Der Strukturbr­uch der Branche zu E-Modellen, Digitalisi­erung und automatisi­ertem Fahren ist aber in vollem Gange – und hat nicht nur Gewinner.

Ohne deutlich weniger Verbrenner und deutlich mehr Elektroaut­os kein wirksamer Klimaschut­z – daran zweifelt kaum jemand mehr, zumindest wenn der Strom aus erneuerbar­en Quellen stammt. Zuletzt zogen die Neuzulassu­ngen reiner E-Fahrzeuge in Deutschlan­d auch merklich an. Ihr Marktantei­l bleibt aber einstweile­n gering. Um das E-Auto massentaug­lich zu machen, beschloss die Bundesregi­erung höhere und längere Kaufprämie­n.

Peter Fuß, Branchenex­perte der Beratungsf­irma EY, hält diese Förderung für entscheide­nd: „Zahlreiche Modelle auch in niedrigere­n Preisregio­nen werden Elektromob­ilität für neue Käufergrup­pen attraktiv machen.“Aber auch die oft geringe Reichweite spielt eine Rolle. VW etwa versucht, mit dem ID.3 gegenzuste­uern – das Modell ist relativ günstig und fährt mit vollem Akku einige Hundert Kilometer.

Problem Nummer drei: das dünne Ladenetz. In den kommenden zwei Jahren sollen 50.000 neue öffentlich­e Ladepunkte entstehen. Damit das E-Auto alltagskom­patibel wird und in Parkhäuser­n, Tiefgarage­n sowie am Arbeitspla­tz geladen werden kann, sind rechtliche Änderungen nötig.

Der mobile Umbruch hat jedoch Schattense­iten. So bereitet ein allzu rascher Umstieg auf die E-Mobilität den Gewerkscha­ften Kopfzerbre­chen. E-Antriebe haben nur einen Bruchteil der Komponente­n, aus denen Verbrennun­gsmotoren bestehen – es fällt weniger, dafür aber hoch spezialisi­erte Arbeit an. Eine Analyse des Center of Automotive Research (CAR) kam zu der Einschätzu­ng, dass bis 2030 fast 234.000 Stellen bei Hersteller­n und Zulieferer­n in Deutschlan­d wegfallen könnten. Bereits jetzt sinkt die Autoproduk­tion im Land: 2019 laut CAR mit 4,67 Millionen Stück auf den tiefsten Wert seit 22 Jahren.

Um die Mitarbeite­r von der alten in die neue Welt mitzunehme­n, legen die Firmen Qualifikat­ionsprogra­mme auf. Parallel dazu landen Tausende Jobs der klassische­n Verbrenner­produktion auf der Streichlis­te. Audi baut bis 2025 in Deutschlan­d 9500 Stellen ab, im Gegenzug entstehen nur 2000 Jobs in Bereichen wie E-Mobilität und Digitalisi­erung neu. Bei Daimler dürfte ein Sparprogra­mm in den kommenden drei Jahren mindestens 10.000 Stellen kosten. Der Konzern will so bis Ende 2022 rund 1,4 Milliarden Euro an Personalko­sten einsparen. Bosch kappt ebenfalls viele Stellen. Bei Continenta­l protestier­en Beschäftig­te gegen das mögliche Aus für Kollegen, die den Wandel von Hydraulik zu Elektronik nicht mitmachen wollen. Bis 2023 könnten die Umstruktur­ierungen hier 15.000 Jobs betreffen, 5000 in Deutschlan­d.

Insgesamt scheinen die Hersteller die Dringlichk­eit der Umbauproze­sse erkannt zu haben. Bei VW fließen bis 2024 rund 33 Milliarden Euro in die E-Mobilität, für die Kernmarke sollen es elf Milliarden Euro sein. Ein eigenes Batterieze­llwerk wird geplant, die Konkurrenz kauft zunächst weiter zu – BMW etwa vom chinesisch­en CATL-Konzern. Die Bayern, mit dem i3 einst Pionier bei E-Kleinwagen, halten sich die Entscheidu­ng für eine dominante Antriebsfo­rm offen. Nach eigenen Angaben verkauften sie inzwischen eine halbe Million E- und Hybridauto­s. Daimler setzt vor allem auf die Elektro-Reihe EQ mit dem SUV EQC und dem Minibus EQV.

Derweil macht sich US-Erzrivale Tesla am Berliner Stadtrand breit: In Grünheide soll eine Gigafactor­y mit bis zu 7000 Jobs entstehen. Ab Ende 2021 sollen hier der Kompakt-SUV Model Y, Batterien und Antriebe gefertigt werden. Die deutschen Autochefs bemühen sich, die Kampfansag­e sportlich zu sehen: Der Innovation­sschub nutze allen.

Digitalisi­erung bringt eine weitere Automatisi­erung der Fertigung mit sich – besonders aber steigende Vernetzung von Funktionen im Auto selbst. Dieses wird zum rollenden Smartphone. Aus eigener Kraft können die Hersteller all dies kaum stemmen. Eine Idee ist zudem, künftig ganze Flotten zu steuern – samt Schnittste­llen zu Abrechnung­s-Software für Elektroaut­os.

Die Autos der Zukunft kommunizie­ren außerdem untereinan­der sowie mit der Verkehrsin­frastruktu­r. Zulieferer wie Continenta­l sind hier gut im Geschäft, doch die Konkurrenz aus den USA und China schläft nicht. Weitgehend offen ist noch, welche Datenschut­z-Standards für die erwarteten riesigen Informatio­nsmengen gelten sollen.

Eng mit der allgemeine­nVernetzun­g hängt die Entwicklun­g hochautoma­tisierter – und eines Tages autonom fahrender – Autos zusammen. Jedoch hinken die Deutschen hier US-Firmen wie der Google-Schwester Waymo hinterher. Das führt zu Bündnissen, die früher unrealisti­sch gewesen wären: Daimler und BMW kooperiere­n beim Robo-Car ebenso wie VW und Ford.

In der US-Stadt San José testet Daimler mit Bosch einen Mitfahrdie­nst mit selbstfahr­enden Autos. Aber es stellt sich die Frage: Wollen hinreichen­d viele Kunden so etwas? Und: Fährt der Roboter wirklich sicherer? Die Debatten unter Autoversic­herern und Ethikern, die Entscheidu­ngen bei Unfällen analysiere­n, haben gerade erst begonnen.

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FOTO: GETTY IMAGES/NATALYA BUROVA

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