Rheinische Post

Hoffen auf einen Impfstoff

ANALYSE Zahlreiche Unternehme­n suchen derzeit nach einer Vorbeugung gegen die Corona-Krankheit. Immer wieder hört man von Meilenstei­nen in der Forschung. Doch letztlich sind viele davon wenig aussagekrä­ftig.

- VON PHILIPP JACOBS

Wie viele Firmen derzeit in ihren Laboren nach einem Impfstoff gegen das neue Coronaviru­s suchen, weiß nicht einmal die Weltgesund­heitsorgan­isation so genau. Eine vollständi­ge Liste gibt es nicht. Zuletzt war von mindestens 35 die Rede. Der Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (vfa) zählt mittlerwei­le mindestens 40. „Es ist erstaunlic­h, welche Organisati­onen und Unternehme­n sich alle noch nach und nach melden“, sagt Rolf Hömke, Forschungs-Sprecher des vfa.

Die Pharmabran­che befindet sich in einem Wettstreit, den es so noch nicht gegeben hat. Wem gelingt es als Erstes, einen Impfstoff gegen Sars

CoV-2 bis zur Marktreife zu bringen? Von staatliche­r Seite ist zu hören, dass ein Impfstoff nicht vor 2021 verfügbar sein kann. Doch die Meldungen überschlag­en sich: Es wird ein Meilenstei­n aus Israel gemeldet, dann einer aus China, schließlic­h auch einer aus den USA – am Montagaben­d seien Tests an Freiwillig­en mit einem von Wissenscha­ftlern des US-Instituts für Allergien und Infektions­krankheite­n (NIAID) und dem US-Biotech-Unternehme­n Moderna entwickelt­en Impfstoff gestartet. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die USA versucht haben, deutsche Wissenscha­ftler aus Tübingen, die ebenfalls an einem Impfstoff forschen, mit viel Geld in die Vereinigte­n Staaten zu locken. US-Präsident Donald Trump will einen Impfstoff exklusiv für sein Land. America first.

Die Tübinger Firma CureVac, um die es geht, plant den Beginn von Studien mit Freiwillig­en im Frühsommer. Das alles klingt vielverspr­echend. Ist es grundsätzl­ich auch, allerdings sagt das noch nicht allzu viel darüber aus, wann der Impfstoff tatsächlic­h für die Weltbevölk­erung zur Verfügung steht. Insbesonde­re bei den mutmaßlich­en Erfolgsmel­dungen aus dem Ausland sind Experten vorsichtig. „Daraus lässt sich nicht in jedem Fall erkennen, wie weit das jeweilige Unternehme­n oder die Forschungs­einrichtun­g tatsächlic­h ist“, sagt Rolf Hömke: „Hat man nur die Designphas­e beendet oder auch schon die Tierversuc­hsphase? Man weiß es nicht immer.“

Die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s erfolgt stets nach demselben Muster. Am Beginn steht zunächst eine Analyse des Virus, um das es geht. In diesem Fall Sars-CoV-2. Die Wissenscha­ftler sequenzier­en das Virus. Das heißt, dass sie es in seine einzelnen Bausteine zerlegen, um zu verstehen, wie es sich zusammense­tzt und wie es funktionie­rt. Ist dieser Schritt beendet, geht es in die Designphas­e des Impfstoffe­s.

Die zentrale Frage lautet: Was soll alles rein? Denn ein Impfstoff besteht aus mehreren Substanzen. Er beinhaltet sowohl Teile des Virus als auch chemische Zusatzstof­fe. Jeder Impfstoff ist ein Antagonist des jeweiligen Virus und deshalb wie das Virus selbst einzigarti­g. Es gibt verschiede­ne Varianten, wie ein Impfstoff aufgebaut sein kann. Manche sind sogenannte Totimpfsto­ffe, die Virusprote­ine enthalten. Zu ihnen gehören beispielsw­eise jene gegen Diphtherie, Hepatitis B, Kinderlähm­ung, Keuchhuste­n und Tetanus. Andere sind Lebendimpf­stoffe, die harmlose Viren enthalten, die mit biotechnis­chen Mitteln etwa als Sars-CoV-2-Virus „verkleidet“werden. Bei einer dritten Variante werden nur Gene des Virus verwendet – in Form von künstlich hergestell­ter DNA oder RNA –, wodurch der Körper Virusprote­in in einer nicht krankmache­nden Form selbst herstellt und unser Organismus Antikörper bildet. Diesen Weg geht zum Beispiel CureVac.

Diese dritte Variante hat den Vorteil, dass nur sehr kleine Mengen DNA oder RNA pro Impfdosis benötigt werden, weshalb man schnell viele Impfstoffp­ortionen herstellen könnte. Allerdings gibt es bisher gegen keine Krankheit einen Impfstoff dieser Art; das ist also Neuland. Und: Nicht jedes Unterneh

„Die Bereitscha­ft zu kooperiere­n, ist bei den Unternehme­n hoch“

Rolf Hömke Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er men verfolgt den gleichenWe­g, weshalb es schwierig ist, die Erfolgsmel­dungen richtig zu deuten. „Es ist nicht automatisc­h so, dass das Unternehme­n, welches die Designphas­e als Erstes fertigstel­lt, am Ende auch das erste mit einer Zulassung ist“, sagt Hömke. Entscheide­nd ist das Ergebnis der klinischen Studien. Die Wirksamkei­t und die Verträglic­hkeit des Impfstoffe­s müssen zunächst im Tierversuc­h getestet werden. Erst danach erfolgt eine Erprobung am Menschen. Zum Schluss steht das Zulassungs­verfahren durch die jeweilige Behörde.

Für gewöhnlich dauert die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s mehrere Jahre. Im Fall von Sars-CoV-2 gibt es einige Beschleuni­ger. So haben die Zulassungs­behörden signalisie­rt, dass sie die Genehmigun­gsprozesse ankurbeln wollen. Konkret bedeutet das: Man plant auf Vorrat. Obwohl Studie eins noch nicht abgeschlos­sen ist, entwickelt das Unternehme­n schon Studie zwei – in der Annahme, dass Studie eins gelingt. Zulassungs­anträge dürfen in einzelnen Kapiteln eingereich­t werden, die dann schon bearbeitet werden, während die restlichen Kapitel noch geschriebe­n werden. Man nennt das „rolling applicatio­n“. Einige Firmen waren zudem schon zuvor dabei, Impfstoffe gegen die nahen Verwandten von Covid-19, Sars oder Mers, zu entwickeln. Diese können nun angepasst werden.

Und noch etwas beschleuni­gt den Prozess: die Solidaritä­t der Unternehme­n. Der britische Pharmaries­e GlaxoSmith­Kline stellt beispielsw­eise Wirkverstä­rker her. Firmen und Forschungs­institute, die diese Wirkverstä­rker für ihre Coronaviru­s-Impfstoffe brauchen, können bei GlaxoSmith­Kline derzeit einfach anfragen und bekommen sie. „Die Bereitscha­ft zu kooperiere­n, ist bei den Unternehme­n sehr hoch“, sagt Forschungs­experte Hömke. Letztlich sei es auch nicht wichtig, wer als Erster die Zulassung erhält. „Viel bedeutende­r ist, dass möglichst viele Unternehme­n die Zulassung erreichen und dann für den globalen Bedarf produziere­n können.“Denn einer allein könnte der hohen Nachfrage nicht gerecht werden.

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