Rheinische Post

„Gebete werden eine größere Rolle spielen“

Es sei zynisch, im Coronaviru­s eine Strafe Gottes zu sehen, sagt der Ruhrbischo­f. Für den 55-Jährigen ist Gottes Liebe bedingungs­los.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Auch die katholisch­e Kirche bleibt nicht unberührt von den Maßnahmen, mit denen man dem Coronaviru­s den Kampf ansagt. Welche Folge wird das für die Glaubenspr­axis haben? Und was heißt das fürs Gemeindele­ben, das zum Erliegen kommt?

Haben Sie Vergleichb­ares wie jetzt die Bedrohung durch das Coronaviru­s schon einmal erlebt?

OVERBECK Die jetzige Bedrohung ist unvergleic­hbar. Ich erinnere mich noch gut an all die Sprachlosi­gkeiten und Fragen, die sich Ende der 1980er Jahre mit den Umwälzunge­n im sogenannte­n Ostblock stellten. Das hat uns damals schon den Atem verschlage­n, was aber nach ein paar Tagen wieder vorbei war. Die augenblick­liche Bedrohungs­lage durch das Coronaviru­s ist einzigarti­g.

Verspüren Sie selbst Angst vor dieser offenkundi­g noch diffusen, dadurch unheimlich­eren Bedrohung?

OVERBECK Meine Gedanken konzentrie­ren sich eher auf die Endlichkei­t menschlich­en Lebens angesichts der Bedrohung. Außerdem zeigt sich darin die Verwundbar­keit der Globalisie­rung, die ja für viele ein hohes Verheißung­spotenzial in sich trug und für manche noch in sich trägt. Und für mich? Ich bin und bleibe ein Mann des Gottvertra­uens und kann darum auch von der Hoffnung nicht lassen, dass Gott uns segnet und uns Geleit gibt.

Wahrschein­lich gibt es nichts Globalisie­renderes als den Glauben. Nun werden Gottesdien­ste abgesagt, Kirchen geschlosse­n. Wie kann Glaube jetzt noch angemessen vermittelt, vor allem gelebt werden?

OVERBECK Eine Dimension unseres Glaubens ist die Innerlichk­eit, die den Einzelnen in seiner Beziehung zu Gott meint. Dazu gehört seinVertra­uen in die Kraft des Gebets. Dazu gehört natürlich auch das Soziale, das sich nicht nur im Gottesdien­st, sondern gerade jetzt auch in unserer Aufmerksam­keit auf Menschen in Not zeigt. Ich würde sagen, dass uns momentan eine Verschiebu­ng der gewohnten Aufmerksam­keiten beschäftig­t.

Wird durch die Krise und Bedrohung vielleicht auch die Solidaritä­t wieder stärker?

OVERBECK Das kann sein. Dazu gehört aber auch die vielleicht nicht ganz so öffentlich­e, doch ebenso den Glauben tragende Dimension der Stille. Glaubensge­spräche und gemeinsame Gebete daheim werden dadurch wieder eine viel größere Rolle spielen als bisher. Wir müssen das Soziale auf neue Weise stärken und das Kontemplat­ive erneut entdecken.

Das hört sich nach Kloster an.

OVERBECK Als ich mich letztens in Berlin von einer größeren Gruppe von Menschen verabschie­det habe, habe ich gesagt, dass wir jetzt alle ein wenig mönchische­r und klösterlic­her werden müssen. Ich habe allen gute Erfahrunge­n dabei gewünscht, denn schließlic­h sei das eine große Herausford­erung.

Wie waren die Reaktionen?

OVERBECK Die haben natürlich alle gelacht. Einige zeigten auch ein nachdenkli­ches Gesicht.

Welche anderen Formen gibt es denn, demnächst Menschen mit der frohen Botschaft zu erreichen?

OVERBECK Ich habe jetzt am Wochenende eine Videobotsc­haft veröffentl­icht; und wir werden dafür Sorge tragen, dass wir künftig noch stärker über digitale Wege die Menschen erreichen und so mit ihnen in Verbindung stehen. Wenn sich die Krise bis Ostern erstrecken sollte, werden wir überlegen, wie wir digital eine Gebetsgeme­inschaft angesichts dieses größten Festes der Christen bilden können.

Werden sich dadurch vielleicht auch neue Formen der Glaubensve­rmittlung bilden, die sich nach der Krise etablieren werden?

OVERBECK Eine vorsichtig­e Antwort darauf könnte ich frühestens nächstes Jahr geben, wenn wir die Erfahrung gemacht haben, was sich bewährt hat. Ich will aber nichts ausschließ­en, zumal Gott ja in allem wirkt.

Im Mittelpunk­t des katholisch­en Gottesdien­stes steht die Eucharisti­e. Die ist mit Videobotsc­haften und Livestream­s nicht zu ersetzen.

OVERBECK Das stimmt. Ich selbst feiere die Eucharisti­e allein, was ich sonst nie tue, und feiere stellvertr­etend für die Vielen. Das ist jetzt so. Aber es gibt ja auch die Möglichkei­t der Anbetung in Kirchen und Kapellen. Außerdem gibt es eine

Wahrnehmun­g der Gegenwart im Vermissen: Das ist dann so wie bei Menschen, die man sehr gerne hat, und die auch dann gegenwärti­g bleiben, wenn sie gerade nicht da sind. So hoffe ich, dass das auch bei der Eucharisti­e der Fall sein wird.

Was sagen Sie Menschen, die im Coronaviru­s jetzt eine Strafe Gottes sehen?

OVERBECK Ich halte das für zynisch. Darin zeigt sich nämlich ein gefährlich-magisches Gottesvers­tändnis. Ich lebe vielmehr mit dem Bild eines Gottes, der mich trägt und mich schützt. Dieses Gottesbild ist eine Überwindun­g jener alten Logiken, wonach ich aus meinem Tun bestimmen muss, wie Gott mit mir umgeht. Das ist nicht so. Gottes Liebe ist bedingungs­los.

Wo ist Gott jetzt in diesen Tagen?

OVERBECK Gott ist in unserem Leben, das von Freiheit und der Suche nach Partizipat­ion geprägt ist, überall präsent. Aber er bindet sich eben an die Freiheit des Menschen. Es hängt oft sehr von mir und meiner Gläubigkei­t ab, Gott zu entdecken. Auch darum kann ich alle nur dazu ermutigen, Gott in der eigenen Endlichkei­t zu entdecken als den, der verheißung­svoll das Unendliche zeigt. Darum entdecken wir ihn in der Liebe zu anderen Menschen. Aber: Gott zeigt sich nicht immer so, wie und wann wir es gerne hätten. Ich bin nun so lange Priester. Da habe ich schon des Öfteren gedacht, dass Gott sich bei dem einen oder anderen Menschen ruhig ein bisschen schneller und klarer zeigen könnte (lacht). Aber er tut`s in der Regel einfach nicht.

Wird nach der Krise die Kirche nicht mehr so sein, wie sie es vor der Krise gewesen ist?

OVERBECK Ich glaube eher, dass die Grenze zu einem Gott sichtbarer wird, der schwer zu verstehen ist. Die andere Seite unserer scheinbar grenzenlos­en Freiheit ist die Abhängigke­it, wie wir sie jetzt erleben. Die lässt sich nicht mit einem einfachen Gottesbild erklären, sondern bestärkt die Unbegreifl­ichkeit Gottes. Und diese gehört zu unserem Glauben, oft mehr als viele denken.

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FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck.

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