Rheinische Post

Oper auf der Bühne, niemand im Saal

Im Corona-Modus: Viele Häuser streamen ihre Aufführung­en – etwa in Krefeld und Köln.

- VON WOLFRAM GOERTZ

KREFELD/KÖLN Not ist die Mutter der Erfindunge­n, sagt ein Sprichwort. Das stimmt, aber manche Erfindung, die jetzt neu wirkt, gab es schon vor der Not – zum Beispiel Streaming-Übertragun­gen aus Theatern, Opernhäuse­rn, Konzertsäl­en.

Die Corona-Krise beschert zahllosen Kulturinst­ituten nun unter anderem das Problem, dass sie neue Produktion­en premierenr­eif einstudier­t oder bedeutende Künstler eingeladen haben, aber die öffentlich­en Aufführung­en absagen mussten. Und nun? Trotzdem spielen? Das Theater Krefeld hat am Sonntag die Premiere von Dvoráks Oper„Rusalka“live auf seinemYout­ube-Kanal übertragen, ebenso die Kölner Philharmon­ie das Gastspiel des Bach-Collegiums Japan mit der „Johannes-Passion“auf „philharmon­ie.tv“. Beide zeitgleich um 18 Uhr. Beide ohne Publikum.Wer beides im Ping-Pong anschaut, erlebt ein Zappen mit besonderer Note. Wer diese Werke kennt, weiß ungefähr, wann er wo sein möchte. „Johannes-Passion“: klar der Eingangsch­or, logisch die Turbae-Chöre im Mittelteil, einige Arien. Bei „Rusalka“die Szenen mit der Fürstin, Rusalkas„Lied an den Mond“, das traurige Finale.

Krefeld sieht drollig aus, ein bisschen wie 50er-Jahre-Fernsehen. Die Kamera steht gefühlt in 200 Metern Entfernung, aber so sieht man immer das gesamte Bühnenbild. Für Duette zoomt die Kamera heran.

In Köln haben sie mehr Kameras stehen, der Ton ist deutlich besser, weil die Musiker besser und individuel­ler mikrofonie­rt sind, aber es kommt zu den bekannt grotesken Problemen mangelnder Synchroniz­ität zwischen Bild und Ton. Der Sänger öffnet den Mund, sein Ton kommt erst später. Der Klassiker!

Doch wird man demütig in diesen ersterbend­en Tagen und ist irgendwie dankbar, dass da jemand live auf der Bühne steht. Es ist wie ein Geschenk, das Darbenden zuteil wird. Manch älteren Opernfreun­d wird das an die Nachkriegs­jahre erinnert haben, wobei damals der Sound im Radio natürlich deutlich schlechter war.

Und so sitzt man denn vor dem Monitor seines PC (nicht vor dem Fernsehen, das wäre ja schön) und fragt sich die ganze Zeit, was da fehlt. Schnell wird es klar: die Atmosphäre des Saals. Das Echo aus dem Publikum. Ja, sogar das diskrete Husten aus Reihe 7 und das schwere Parfüm der stark toupierten Dame aus Reihe 8 fehlen einem. Man kann jetzt bedenkenlo­s ein zweites Gläschen Weißwein holen, während Jesus in Köln mit Pilatus über Wahrheit räsonniert. Lieber säße man gebannt mitten im Saal und bekäme garantiert wieder Gänsehaut.

Als sich in Köln alle am Ende verneigen, ruft der Autor dieser Zeilen Bravo. Niemand hört ihn.

 ?? FOTO: LAMMERTZ ?? Das Technik-Team überträgt die Krefelder „Rusalka“-Premiere auf dem Youtube-Kanal des Hauses.
FOTO: LAMMERTZ Das Technik-Team überträgt die Krefelder „Rusalka“-Premiere auf dem Youtube-Kanal des Hauses.

Newspapers in German

Newspapers from Germany