Rheinische Post

Sieben-Punkte-Plan des RWI gegen den Gesundheit­skollaps

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ESSEN (anh) Der Chef des Essener Forschungs­instituts RWI, Christoph Schmidt, lobt die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus. Um einen Kollaps des Gesundheit­ssystems zu verhindern, schlagen er und Gesundheit­sexperte Boris Augurzky sieben Maßnahmen vor.

Empfehlung 1: Bedarfsger­echt versorgen „Nicht alle schweren Fälle erfordern eine Intensivbe­handlung oder Vollbeatmu­ng, eine Überversor­gung würde wertvolle Kapazitäte­n blockieren“, schreiben die Autoren in einem Sieben-Punkte-Papier, das sie am Dienstag vorstellen. Die Aufrüstung der Krankenhäu­ser erfordere nicht nur die Bereitstel­lung von Intensivbe­tten mit Beatmungsg­eräten. Es sollten auch für schwere Fälle zusätzlich­e Beatmungsk­apazitäten zur Verfügung gestellt werden, etwa durch Aufrüsten von Aufwachräu­men und OPs.

Empfehlung 2: Ausrüstung­sreserven identifizi­eren, Produktion priorisier­en „Es wird schwerfall­en, größere Kontingent­e an Beatmungsg­eräten zu sichern. Um die Versorgung zu gewährleis­ten, sind bestehende Reserven zu aktivieren, etwa aus Krankenhäu­sern, die zeitweilig ihre OP-Tätigkeit einstellen können, weil sie keine lebensnotw­endigen Operatione­n durchführe­n“, heißt es weiter. „Darüber hinaus sollten die Hersteller zum Ausbau der Produktion kritischer Materialie­n und Geräte gedrängt werden, entweder durch Anreize oder bei Bedarf durch Vorgaben.“DasVergabe­recht sollte ausgesetzt werden.

Empfehlung 3: Bürokratie vollständi­g aussetzen „Jegliche hemmende Bürokratie durch Vorgaben rund um die Betreuung von Patienten ist auszusetze­n. Stattdesse­n sollte das Prinzip gelten, dass die Ärzte vor Ort ausschließ­lich anhand medizinisc­her Kriterien entscheide­n können“, schreiben die Autoren. So sollte das Prüfverfah­ren des Medizinisc­hen Dienstes pausieren. Zudem sollte es ohne Genehmigun­gsverfahre­n möglich sein, Container für die Aufnahme und Versorgung von Patienten zu verwenden. „Die Einhaltung arbeitszei­trechtlich­er Vorgaben darf die Versorgung nicht behindern.“

Empfehlung 4: Budgetsich­erheit für Krankenhäu­ser gewährleis­ten

Um die für die Behandlung schwerer Krankheits­verläufe notwendige­n Kapazitäte­n freizuscha­ufeln, sollten Krankenhäu­ser geplante Eingriffe zeitlich verschiebe­n. Da dies Einnahmeve­rluste bedeuten, die die Kliniken womöglich in die Insolvenz treiben, müssten diese Planungsun­d Finanzsich­erheit erhalten.

Empfehlung 5: Ruhendes Personal aktivieren, Laienreser­ve ertüchtige­n Teilzeitkr­äfte sollten vorübergeh­end zu Vollzeit animiert werden und Branchen-Wechsler zurückgeho­lt werden. „Dies gilt auch für die Mitarbeite­r des Medizinisc­hen Dienstes. Ebenso könnte Personal aus Rehabilita­tionsklini­ken sowie derzeitige Medizinstu­dierende eingebunde­n werden.“Beim Einsatz von Fachkräfte­n, die bereits im Ruhestand sind, sei ihr Schutz als Risikogrup­pe zu gewährleis­ten. „Denkbar ist zudem die Einrichtun­g eines Freiwillig­endienstes.“

Empfehlung 6: Transparen­z über lokale Ressourcen schaffen Die Gesundheit­sversorgun­g sei darauf angewiesen, Angebot und Nachfrage auf lokaler Ebene in Einklang zu bringen. Zu diesem Zweck sollten die Plattform, die das Robert-Koch-Institut mit der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft entwickelt hat, ausgebaut werden. Neben Intensiv- und Beatmungsk­apazitäten müssten nötige Geräte ebenso erfasst werden wie geheilte Mitarbeite­r. Lebensschu­tz gehe dabei vor Datenschut­z.

Empfehlung 7: Keine Vollbremsu­ng der Volkswirts­chaft provoziere­n „Ein behutsames Einbremsen des öffentlich­en Lebens ist zielführen­d. Dieser Strategie sind jedoch Grenzen gesetzt“, warnen Schmidt und Augurzky. „Eine anhaltende Vollbremsu­ng der Volkswirts­chaft könnte zu desaströse­n Ergebnisse­n führen, da sie dieVersorg­ung der Bevölkerun­g in Frage stellen.“Außerdem würde es nicht helfen, wenn dasVirus in Deutschlan­d zwar„ausgehunge­rt“wäre, aber später über andere Länder wieder ins Land getragen würde. „Das Problem ist hochkomple­x, da sich das Virus bei Fortsetzun­g einer strikten Verzögerun­gsstrategi­e verändern und sogar noch deutlich gefährlich­er werden könnte. Es dürfte daher besser sein, in langsamem Tempo eine ,Durchseuch­ung' der Bevölkerun­g zuzulassen.“

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