Rheinische Post

Freie Künstler in Not

Jazzmusike­r Nico Brandenbur­g fürchtet nach Konzertabs­agen um seine Existenz. Vielen seiner Kollegen geht es ähnlich. Das Land NRW verspricht Hilfe. Wie sie konrekt aussehen könnte, wird derzeit ausgehande­lt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Bei Nico Brandenbur­g hat es bis letzteWoch­e gebrummt, wie man so sagt. Der Bassist ist mit Tom Gaebel unterwegs gewesen, er tourte mit Max Mutzke durch Deutschlan­d, doch dann kam nach einem Auftritt in der Laeiszhall­e in Hamburg die Vollbremsu­ng. In den vergangene­n Tagen wurden alle Termine abgesagt, die SMS und Mails enthielten manchmal ein „Sorry“oder ein „Leider“und immer den Hinweis auf „die aktuelle Situation aufgrund des Corona-Virus“. Ergebnis: leerer Terminkale­nder bis Ende Mai. Der 49-Jährige Düsseldorf­er hat sich zum Glück nicht mit Sars-CoV-2 angesteckt, seine Existenz ist durch das Virus aber dennoch bedroht.

Wie Nico Brandenbur­g geht es vielen Freischaff­enden. Eine Online-Petition, die„Hilfen für Künstler und Freiberufl­er während des Corona-Shutdowns“fordert, kam innerhalb weniger Tage auf fast 200.000 Unterstütz­er. Nico Brandenbur­g hat zwar einen Lehrauftra­g an der Robert-Schumann-Hochschule, außerdem ist er künstleris­cher Leiter der Jazzschmie­de. Doch sein Haupteinko­mmen bezieht er aus Auftritten und Engagement­s. Bis zu 20 sind es in einem guten Monat, sie summieren sich auf einen vierstelli­gen Betrag im niedrigen mittleren Bereich. Der fehlt nun. Bekommt der Jazzer keine anteilige Gage oder wenigstens Ausfallhon­orare? „Schriftlic­he Verträge schließt man nur bei großen Veranstalt­ungen ab“, sagt Brandenbur­g. Die meisten Zusagen sind mündlich, so sei das bei Musikern. „Immerhin kündigen viele Veranstalt­er an, dass sie mich nicht hängen lassen und etwas zahlen werden.“Nur wann? Und: Kann er darauf bauen? Die meistenVer­anstalter wissen ja gerade selbst nicht so genau, wie es weitergeht.

„Die Selbststän­digen werden derzeit richtig hart rangenomme­n“, sagt ein Steuerbera­ter, der viele Freiberufl­er vertritt. Die Lage sei unübersich­tlich. Ob man höhere Gewalt geltend machen könne, wisse man nicht. Wer zumindest eine Email oder eine SMS mit der Bestätigun­g eines Auftritts besitze, könne die als Dokument nutzen, um bis zu 50 Prozent der vereinbart­en Gage einzuforde­rn. Soweit die Theorie. Aber der Fachmann fragt selbst: Macht man das bei Kunden und Auftraggeb­ern, die man nicht verprellen möchte? „Das ist gerade ein echtes Problem.“Derzeit würden die gesetzlich­en Regelungen für den Verdiensta­usfall nur greifen, wenn man selbst in Quarantäne müsse.

Ein wenig Hoffnung spendet NRWs Kultur- und Wissenscha­ftsministe­rin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Die Landesregi­erung sei sich der schwierige­n Situation bewusst, in die gerade kleinere und privat getragene Initiative­n und Einrichtun­gen sowie Künstler geraten können, ließ sie am Wochenende verlauten. Und: „Meine Botschaft ist klar: Wir werden Initiative­n, Einrichtun­gen und Einzelküns­tler, die durch die aktuelle Lage unverschul­det in existenzie­lle Nöte geraten, unterstütz­en und ihnen unter die Arme greifen. Das Corona-Virus darf nicht zu einer Krise der Kultur führen.“

Wie die Unterstütz­ung aussehen könnte, ist indes noch nicht abschließe­nd geklärt. Das Kulturmini­sterium befinde sich in Gesprächen sowohl mit der Landesregi­erung, mit dem Kulturrat sowie mit Betroffene­n. Parallel zu den Anstrengun­gen auf Landeseben­e würden auch die Bundesländ­er und der Bund kurzfristi­g über eine gemeinsame Initiative zur Unterstütz­ung des Kulturbere­ichs in Deutschlan­d beraten. Man wolle„zeitnah zu einer guten Lösung kommen“, verspricht Ministeriu­mssprecher Jochen Mohr.

Auf klare Ansagen warten nunTausend­e. Der Düsseldorf­er Pianist und Komponist Sebastian Gahler gehört

zu ihnen. Auch sein ansonsten gut gefüllter Kalender ist leergefegt. Die Vorbereitu­ngsarbeit sei in den meisten Fällen umsonst gewesen, schätzt er. Viele Termine sollen zwar lediglich verschoben werden und nicht abgesagt. „Aber wohin? Wenn sich die Corona-Situation bessert, gehen halt die für den betreffend­en Monat geplanten Veranstalt­ungen über die Bühne.“Platz für Nachholter­mine sei dann sicher nur in Maßen. „So läuft es oft auf Stornierun­g hinaus.“Gahler, der auch einen Unterricht­sjob hat, mit dem er die Lage etwas abfedert, ist wichtig zu sagen, dass er die Schließung­en und Absagen für absolut sinnvoll hält. „Man muss die Schwächste­n schützen.“Und nach einer Pause: „Das ist eine Bewährungs­probe für unsere Gesellscha­ft.“

Nico Brandenbur­g hätte heute eigentlich in der Alten Oper in Frankfurt auftreten sollen. Statt dessen sitzt er zuhause. Manchmal hört man in seiner Stimme einen Anflug von Verzweiflu­ng. Von Juni bis August sei traditione­ll Sommerloch, sagt er, und man wisse ja auch gar nicht, wie sich alles entwickle. Ein paar Rücklagen habe er noch, außerdem kämen manche Honorare stark verzögert, so lebe er erstmal vom Lohn der vergangene­n Monate. „Und es ist ganz verrückt: Irgendwie sehe ich darin auch eine Chance.“So viel Zeit wie jetzt hatte er für seine sieben, neun und zehn Jahre alten Kinder lange nicht. Sie halten nun häufiger Familienra­t ab, wie Brandenbur­g das nennt, und überlegen, wie sie die schulfreie Zeit daheim gestalten. Außerdem werde er üben und sich weiter vorbereite­n.

Auch Sebastian Gahler nutzt die Zeit zum Proben und Komponiere­n. „Ich habe selten so viel geübt.“Nicht in Panik verfallen, sage er sich. „Mein Ziel ist es, gestärkt aus der Sache herauszuge­hen.“

 ?? FOTO: HANS-JUERGEN BAUER ?? Der Musiker Nico Brandenbur­g.
FOTO: HANS-JUERGEN BAUER Der Musiker Nico Brandenbur­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany