Freie Künstler in Not
Jazzmusiker Nico Brandenburg fürchtet nach Konzertabsagen um seine Existenz. Vielen seiner Kollegen geht es ähnlich. Das Land NRW verspricht Hilfe. Wie sie konrekt aussehen könnte, wird derzeit ausgehandelt.
Bei Nico Brandenburg hat es bis letzteWoche gebrummt, wie man so sagt. Der Bassist ist mit Tom Gaebel unterwegs gewesen, er tourte mit Max Mutzke durch Deutschland, doch dann kam nach einem Auftritt in der Laeiszhalle in Hamburg die Vollbremsung. In den vergangenen Tagen wurden alle Termine abgesagt, die SMS und Mails enthielten manchmal ein „Sorry“oder ein „Leider“und immer den Hinweis auf „die aktuelle Situation aufgrund des Corona-Virus“. Ergebnis: leerer Terminkalender bis Ende Mai. Der 49-Jährige Düsseldorfer hat sich zum Glück nicht mit Sars-CoV-2 angesteckt, seine Existenz ist durch das Virus aber dennoch bedroht.
Wie Nico Brandenburg geht es vielen Freischaffenden. Eine Online-Petition, die„Hilfen für Künstler und Freiberufler während des Corona-Shutdowns“fordert, kam innerhalb weniger Tage auf fast 200.000 Unterstützer. Nico Brandenburg hat zwar einen Lehrauftrag an der Robert-Schumann-Hochschule, außerdem ist er künstlerischer Leiter der Jazzschmiede. Doch sein Haupteinkommen bezieht er aus Auftritten und Engagements. Bis zu 20 sind es in einem guten Monat, sie summieren sich auf einen vierstelligen Betrag im niedrigen mittleren Bereich. Der fehlt nun. Bekommt der Jazzer keine anteilige Gage oder wenigstens Ausfallhonorare? „Schriftliche Verträge schließt man nur bei großen Veranstaltungen ab“, sagt Brandenburg. Die meisten Zusagen sind mündlich, so sei das bei Musikern. „Immerhin kündigen viele Veranstalter an, dass sie mich nicht hängen lassen und etwas zahlen werden.“Nur wann? Und: Kann er darauf bauen? Die meistenVeranstalter wissen ja gerade selbst nicht so genau, wie es weitergeht.
„Die Selbstständigen werden derzeit richtig hart rangenommen“, sagt ein Steuerberater, der viele Freiberufler vertritt. Die Lage sei unübersichtlich. Ob man höhere Gewalt geltend machen könne, wisse man nicht. Wer zumindest eine Email oder eine SMS mit der Bestätigung eines Auftritts besitze, könne die als Dokument nutzen, um bis zu 50 Prozent der vereinbarten Gage einzufordern. Soweit die Theorie. Aber der Fachmann fragt selbst: Macht man das bei Kunden und Auftraggebern, die man nicht verprellen möchte? „Das ist gerade ein echtes Problem.“Derzeit würden die gesetzlichen Regelungen für den Verdienstausfall nur greifen, wenn man selbst in Quarantäne müsse.
Ein wenig Hoffnung spendet NRWs Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Die Landesregierung sei sich der schwierigen Situation bewusst, in die gerade kleinere und privat getragene Initiativen und Einrichtungen sowie Künstler geraten können, ließ sie am Wochenende verlauten. Und: „Meine Botschaft ist klar: Wir werden Initiativen, Einrichtungen und Einzelkünstler, die durch die aktuelle Lage unverschuldet in existenzielle Nöte geraten, unterstützen und ihnen unter die Arme greifen. Das Corona-Virus darf nicht zu einer Krise der Kultur führen.“
Wie die Unterstützung aussehen könnte, ist indes noch nicht abschließend geklärt. Das Kulturministerium befinde sich in Gesprächen sowohl mit der Landesregierung, mit dem Kulturrat sowie mit Betroffenen. Parallel zu den Anstrengungen auf Landesebene würden auch die Bundesländer und der Bund kurzfristig über eine gemeinsame Initiative zur Unterstützung des Kulturbereichs in Deutschland beraten. Man wolle„zeitnah zu einer guten Lösung kommen“, verspricht Ministeriumssprecher Jochen Mohr.
Auf klare Ansagen warten nunTausende. Der Düsseldorfer Pianist und Komponist Sebastian Gahler gehört
zu ihnen. Auch sein ansonsten gut gefüllter Kalender ist leergefegt. Die Vorbereitungsarbeit sei in den meisten Fällen umsonst gewesen, schätzt er. Viele Termine sollen zwar lediglich verschoben werden und nicht abgesagt. „Aber wohin? Wenn sich die Corona-Situation bessert, gehen halt die für den betreffenden Monat geplanten Veranstaltungen über die Bühne.“Platz für Nachholtermine sei dann sicher nur in Maßen. „So läuft es oft auf Stornierung hinaus.“Gahler, der auch einen Unterrichtsjob hat, mit dem er die Lage etwas abfedert, ist wichtig zu sagen, dass er die Schließungen und Absagen für absolut sinnvoll hält. „Man muss die Schwächsten schützen.“Und nach einer Pause: „Das ist eine Bewährungsprobe für unsere Gesellschaft.“
Nico Brandenburg hätte heute eigentlich in der Alten Oper in Frankfurt auftreten sollen. Statt dessen sitzt er zuhause. Manchmal hört man in seiner Stimme einen Anflug von Verzweiflung. Von Juni bis August sei traditionell Sommerloch, sagt er, und man wisse ja auch gar nicht, wie sich alles entwickle. Ein paar Rücklagen habe er noch, außerdem kämen manche Honorare stark verzögert, so lebe er erstmal vom Lohn der vergangenen Monate. „Und es ist ganz verrückt: Irgendwie sehe ich darin auch eine Chance.“So viel Zeit wie jetzt hatte er für seine sieben, neun und zehn Jahre alten Kinder lange nicht. Sie halten nun häufiger Familienrat ab, wie Brandenburg das nennt, und überlegen, wie sie die schulfreie Zeit daheim gestalten. Außerdem werde er üben und sich weiter vorbereiten.
Auch Sebastian Gahler nutzt die Zeit zum Proben und Komponieren. „Ich habe selten so viel geübt.“Nicht in Panik verfallen, sage er sich. „Mein Ziel ist es, gestärkt aus der Sache herauszugehen.“