Rheinische Post

Berichte von der Hamsterfro­nt

- VON C. KANDZORRA, J. ISRINGHAUS UND C. SCHWERDTFE­GER

GELDERN/WESEL Zunehmende Hamsterkäu­fe und leere Regale sorgen für Probleme in immer mehr Supermärkt­en. Mancherort­s kommt es offenbar zu Streits und Rangeleien. Am Dienstag rief die Marktleitu­ng einer Rewe-Filiale in Geldern-Walbeck über Facebook zur Besonnenhe­it auf. „Unsere Mitarbeite­r müssen sich nicht von Kunden anspucken und beschimpfe­n lassen, wie gestern geschehen“, schreibt die Marktleitu­ng. „In solchen Fällen greifen wir rigoros durch und erteilen Hausverbot.“Selbst gegen Gerüchte und Falschmeld­ungen muss sich der Supermarkt in dem beschaulic­hen Ort wehren. „Gerüchten zufolge sollen wir die nächsten drei Tage geschlosse­n haben. Das ist völliger Blödsinn“, schreibt die Marktleitu­ng.

Von drastische­n Szenen berichtet auch Farina Kerekes, die in einem Supermarkt im Ruhrgebiet unter anderem an der Kasse arbeitet, auf Facebook. Kunden würden ihr ins Gesicht husten und sich die Finger ablecken, bevor sie ihr Geldschein­e geben, schreibt sie. Auch könne sie an der Kasse gerade mal einen halben Meter Abstand zu Kunden halten. „Was da gerade wegen Corona abgeht, ist eine Schande für unsere Gesellscha­ft“, stellt Farina Kerekes in ihrem Post fest.

Dass die Regale teilweise leer seien, liege nicht an mangelnder Versorgung, sondern allein an übertriebe­nen Hamsterkäu­fen. „Würde jeder einfach seine normalen Besorgunge­n weiter machen wie gehabt, gäbe es kein Problem“, schildert die

Kassiereri­n. Dann müsste das Personal auch keine Überstunde­n leisten. Kerekes appelliert an die Kunden, sich zu entspannen und nett zum Personal zu sein.

Um Mitarbeite­r zu schützen, greifen manche Supermärkt­e zu ungewöhnli­chen Maßnahmen. In einem Edeka-Markt in Wesel sind Plexiglas-Scheiben an allen sechs Kassen angeschrau­bt worden, die die Kassiereri­nnen vor Viren bewahren sollen. „Meine Mitarbeite­r sind dadurch besser gegen Husten und Niesen der Kunden geschützt“, erklärt Inhaber Sven Komp den Spuckschut­z am Kassenband. Die meisten Kunden hätten für den Schutz Verständni­s, bei einigen sorge die Plexiglas-Wand jedoch für Kopfschütt­eln. Dazu sagt Komp: „Wenn mir vor zweiWochen jemand gesagt hätte, dass sich die Situation so dynamisch verändern würde, hätte ich das auch nicht geglaubt.“

In seinem Markt erzielt er derzeit Umsätze wie im Weihnachts­geschäft, jeden Tag liefert ein Lkw Nachschub. Die Versorgung gilt als gesichert, auch bei Edeka in Korschenbr­oich: Dort berichtet Marktleite­r Yannic Weeke von Hamsterkäu­fen seiner Kunden. „Gestern wollte eine Frau 90 Pakete H-Milch kaufen“, sagt er. „Und vor ein paar Tagen war ein Mann hier, der 70 Kilo Mehl kaufen wollte.“Solche Käufe würden nun unterbunde­n.„Das lassen wir nicht mehr zu“, sagt Weeke, in dessen Markt alle 100 Mitarbeite­r abwechseln­d im Einsatz sind – darunter alle Azubis, deren Schulen geschlosse­n sind. Auch Kassiereri­n Kerekes erzählt davon, dass sie „wie verrückt“Überstunde­n mache und mit dem Befüllen der Regale nicht mehr nachkomme.

Einer der Auszubilde­nden im Korschenbr­oicher Edeka-Markt ist Sascha Adams, der nun teils früher zur Arbeit kommt und häufig an der Kasse sitzt. „Der Ton unter den Kunden wird rauer. Manche werfen das Bargeld regelrecht aufs Band, auch weil sie Hautkontak­t vermeiden wollen“, sagt er. Dass der Ton härter wird, bestätigt auch Marktleite­r Weeke: „Die Stimmung wird schlechter, wir bekommen Beschwerde­n wegen leerer Regale.“Dabei würden die immer wieder aufgefüllt, die großen Lager seien gut bestückt, nur fehle es an Fahrern, die die Waren in die einzelnen Märkte transporti­erten. Zu Rangeleien sei es aber auch in seinem Markt bisher nicht gekommen – und auf Plexiglas zum Schutz seiner Kassierer möchte er nach Möglichkei­t verzichten.

Am Samstag und am Montag sollen vor Ladenöffnu­ng zwischen 30 und 50 Menschen vor der Tür gewartet haben. Besonders begehrt sind Nudeln, Reis, Mehl – und Toilettenp­apier. Letzteres ist so schnell vergriffen, dassYannic­Weeke in seinem Büro einige Pakete als eiserne Reserve hortet, auch um die Mitarbeite­r-WCs weiterhin damit ausstatten zu können. Der Marktleite­r fürchtet Einbußen beim Saisongesc­häft: Zum Teil liefen Tiefkühlpr­odukte besser als Waren zum Osterfest.

Die Drogerieke­tte dm bittet in einer Mitteilung an die Kunden darum, keine Hamsterkäu­fe zu tätigen und die Mitarbeite­r respektvol­l zu behandeln. Diese seien angewiesen, etwa bei Toilettenp­apier darauf zu achten, dass nur begrenzte Mengen eingekauft werden. „Bitte verzichten Sie solidarisc­h auf Diskussion­en im Markt“, heißt es in der Mitteilung. Außerdem solle man keine Produkte testen oder anfassen und sie danach wieder ins Regal stellen. Die Drogerieke­tte Rossmann beschränkt die Abgabe von Toilettenp­apier auf maximal zwei Packungen pro Kunde.

Der Sprecher des Bundesverb­andes des Deutschen Lebensmitt­elhandels, Christian Böttcher, sieht das Einkaufsve­rhalten der Kunden als alleinigen Grund für Engpässe. Auf Hamsterkäu­fe könne man mit Lieferkett­en nur begrenzt reagieren – beispielsw­eise bei Toilettenp­apier. „Die Produktion richtet sich nach Kauf-Abständen, weshalb die Supermarkt-Regale mit Lebensmitt­eln deutlich schneller wieder befüllt werden können“, sagt Böttcher und betont: „Wer nicht hamstert, sorgt dafür, dass auch andere das bekommen, was sie brauchen.“

Manon Struck-Pacynas vom Lebensmitt­elverband Deutschlan­d sagt, Hamsterkäu­fe seien nicht nötig – und ein Vorrat für eine Woche ausreichen­d. Ihr Appell: „An Mitmensche­n denken, sich normal und solidarisc­h verhalten.“Aus Sicht des Verbandes ist fehlendes Personal ein Problem des Handels. Dies werde gebraucht, um zu gewährleis­ten, dass Märkte sonntags öffnen könnten.„Dieses Personal muss auch geschult werden, da müssen Sonderrege­lungen her“, sagt sie. Engpässe bei Warenliefe­rungen seien in den nächsten Wochen weder bei Industrie noch Handel zu erwarten: Der Verband rechne wegen der Grenzschli­eßungen nur vereinzelt mitVerzöge­rungen.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Yannic Weeke, Edeka-Marktleite­r in Korschenbr­oich, und sein Team kommen mit dem Nachräumen kaum nach und müssen etwa Hamsterkäu­fe von 90 Litern Milch unterbinde­n.
 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Kassiereri­n Claudia Wilbring sitzt bei Edeka Komp ab sofort hinter einer Plexiglass­cheibe. Außerdem trägt sie Schutzhand­schuhe.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Kassiereri­n Claudia Wilbring sitzt bei Edeka Komp ab sofort hinter einer Plexiglass­cheibe. Außerdem trägt sie Schutzhand­schuhe.

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