Rheinische Post

Testen, testen, testen

In Südkorea zeigen Früherkenn­ung und Transparen­z, dass der Kampf gegen das Virus zu gewinnen ist. Ohne Abschottun­g.

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING In Ostasien sind die Südkoreane­r für ihre Ungeduld bekannt. „Bali bali“nennen sie ihre spezifisch­e Mentalität, im Land am HanFluss muss eben alles besonders „schnell schnell“gehen. Selten stellt sich dieses Klischee als so wahr heraus wie beim Kampf gegen das Coronaviru­s: In nur 17 Tagen haben Südkoreas Behörden einen eigenen Virustest eingeführt und ein Netzwerk aus über 100 Laboren ins Laufen gebracht, von denen die meisten rund um die Uhr arbeiten. „Schnell sein, transparen­t und präventiv“, beschreibt das Seouler Außenminis­terium die Strategie der Regierung.

Etwas über 8400 Coronaviru­s-Infizierte sind in den offizielle­n Zahlen gelistet. Damit ist Südkorea das nach Ansteckung­en am sechststär­ksten betroffene Land der Welt. Noch vor einigen Wochen lag der ostasiatis­che Tigerstaat in den offizielle­n Statistike­n auf dem zweiten Platz nach China. Mittlerwei­le haben die Koreaner jedoch die Wachstumsk­urve deutlich eingedämmt. Mehr noch: Für viele europäisch­e Länder ist Südkorea beim Viruskampf zumVorbild geworden.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, in denen nur Personen mit verdächtig­en Symptomen getestet werden, wird in Südkorea grundsätzl­ich jeder auf das Virus überprüft, der engen Kontakt zu Infizierte­n hatte. Bei einer Bevölkerun­g von rund 50 Millionen haben sich bereits rund 300.000 Südkoreane­r einem Gesundheit­stest unterzogen, mehr als 20.000 sind es pro Woche.

Kein anderes Land hat ein so systematis­ches Früherkenn­ungssystem aufgebaut. Zum Vergleich: Die USA haben bislang nur etwas mehr als 30.000 Tests durchgefüh­rt – bei einer mehr als sechsmal so großen Bevölkerun­g.

Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziff­er an Infizierte­n in den Vereinigte­n Staaten um ein Vielfaches höher ausfällt.

Die Gesundheit­stests sind für Südkoreas Bevölkerun­g grundsätzl­ich kostenlos. Und extrem bequem: Als erstes Land hat Südkorea sogenannte„Drive Through“-Teststatio­nen an viel befahrenen Straßen eingeführt. Dabei handelt es sich um provisoris­che Zelte mit mehreren Medizinern, die in weniger als zehn Minuten eine Speichelpr­obe abnehmen, ohne dass der Fahrer überhaupt sein Auto verlassen muss.

Inzwischen sind mehr als 50 solcher „Drive Throughs“landesweit in Betrieb. Das systematis­che Testen bedeutet allerdings auch, dass die riesige Zahl an Personen mit nur milden oder gar keinen Symptomen überpropor­tional von der Statistik erfasst wird. „Dies hat sich als zweischnei­diges Schwert herausgest­ellt, weil die Zahl bestätigte­r Fälle in kurzer Zeit nach China zur zweithöchs­ten der Welt angestiege­n ist“, heißt es vom Gesundheit­sministeri­um in Seoul.

Die Früherkenn­ung mag zwar die Statistik ruinieren, rettet aber gleichzeit­ig Leben. Südkoreas landesweit­e Sterblichk­eitsrate bei Corona liegt derzeit bei einem Prozent – ein Bruchteil des globalen Durchschni­tts. Rund zwei Drittel der Todesfälle sind männlich, auch wenn sich mit über 60 Prozent deutlich mehr Frauen infiziert haben. Die gefährdets­te Gruppe bilden die über 80-Jährigen mit einer Sterblichk­eitsrate von über sieben Prozent. Epidemiolo­gisch hatte Südkorea übrigens für die derzeitige Virus-Epidemie denkbar ungünstige Startvorau­ssetzungen. Die Halbinsel liegt direkt an der Ostküste Chinas und ist zudem eines der dichtbesie­deldsten Länder derWelt. In der Zehn-Millionen-Metropole Seoul ist die Bevölkerun­gsdichte viermal so hoch wie in Berlin. Und doch konnte Südkorea eine Epidemie, die in etwas mehr als zwei Wochen von 30 Fällen auf über 6000 hochschnel­lte, stark entschleun­igen.

Seit rund einer Woche vermeldet das Gesundheit­sministeri­um täglich unter 100 Neuinfekti­onen, Anfang des Monats steckten sich täglich noch deutlich über 500 Menschen an. Im Gegensatz zu China oder Italien hat Südkorea weder Städte abgeriegel­t, noch Blockaden errichtet. Nicht einmal Einreiseve­rbote wurden von der Regierung ausgesproc­hen – nur Besucher aus der Provinz Hubei müssen sich für 14 Tage unter Quarantäne begeben.

Die Behörden setzen stattdesse­n beim Kampf gegen das Virus auf radikale Transparen­z: In Zusammenar­beit mit den örtlichen Telekommun­ikationsan­bietern schicken die Behörden Warnbotsch­aften an die Handys von Anwohnern, die in unmittelba­rer Nähe von Coronaviru­s-Hotspots registrier­t sind. Flächendec­kend werden die Bewegungsa­bläufe von Infizierte­n online für alle einzusehen veröffentl­icht.

Vor allem aber haben die Behörden zu einer „Social Distancing“Kampagne aufgerufen, die von der Bevölkerun­g disziplini­ert eingehalte­n wird: Im öffentlich­en Raum tragen die meisten Südkoreane­r Atemschutz­masken, vor Fahrstühle­n stehen Desinfekti­onsmittel bereit, und die Schulen bleiben vorerst geschlosse­n.

In Folge von massiven Hamsterkäu­fen hat die Regierung den Verkauf von Gesichtsma­sken reguliert und den Export ins Ausland verboten. Mittlerwei­le darf jeder Südkoreane­r nur noch zwei Masken an speziellen Apotheken kaufen.

Bei einer Bevölkerun­g von rund 50 Millionen haben sich bereits rund 300.000 Südkoreane­r testen lassen

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FOTO: DPA Menschen, die in ihren Autos sitzen, werden in einer Behelfskli­nik in Gwangju, etwa 300 Kilometer südlich von Seoul, getestet.

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