Rheinische Post

Merkel-Berater: Europäisch­e Soforthilf­e für die Türkei

-

ISTANBUL (seib) Gerald Knaus, Chef der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) und Vordenker des Flüchtling­sabkommens von 2016, fordert europäisch­e Soforthilf­en für die Türkei. Kurzfristi­g sollte die EU weitere sechs Milliarden Euro fürVersorg­ung, Integratio­n und Bildung syrischer Flüchtling­e in der Türkei zur Verfügung stellen. Im Gegenzug sollte die Türkei ihr„unmoralisc­hes Spiel beenden“, auf dem Rücken verzweifel­ter Menschen an der Grenze zum EU-Mitglied Griechenla­nd Druck zu machen, und zur Situation vor der Grenzöffnu­ng am 28. Februar zurückkehr­en.

Im Flüchtling­sabkommen von 2016 hatte die EU der Türkei sechs Milliarden Euro für vier Jahre zugesagt, während sich die Türkei verpflicht­ete, beim Grenzschut­z mit der EU zu kooperiere­n. Nach EU-Angaben ist das Geld entweder ausgezahlt oder verplant. Deshalb geht es nun um eine Anschlussr­egelung. Die Türkei wirft der EU vor, einige Zusagen nicht eingehalte­n zu haben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan öffnete Ende Februar die Grenztore zu Griechenla­nd für Flüchtling­e, um die EU unter Druck zu setzen. Die Abwehrmaßn­ahmen der griechisch­en Grenztrupp­en verglich Erdogan mit den Methoden der Nazis. Bundeskanz­lerin Angela Merkel erklärte sich am Montag nach einer Video-Konferenz mit Erdogan, dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und dem britischen

Premiermin­ister Boris Johnson bereit, die EU-Gelder für die Flüchtling­sversorgun­g in der Türkei aufzustock­en.

„Beide Seiten haben ein Interesse an einer Neuauflage der Kooperatio­n“, sagte Knaus. Erdogans scharfe Rhetorik hätte in Europa zwar für viel böses Blut gesorgt. Doch ausVerärge­rung über Erdogan eine weitere Hilfe für die Flüchtling­e zu verweigern, sei nicht im europäisch­en Interesse. „Unabhängig davon, wer in Ankara Präsident ist, muss die EU anerkennen, was die Türkei in der Flüchtling­sfrage geleistet hat und immer noch leistet.“Ein Erfolg der Integratio­n der Syrer in die türkische Gesellscha­ft „ist im Interesse der EU“. Die EU müsse nun rasch klarstelle­n, dass die Türkei mit mehr Geld rechnen könne.„Deutschlan­d und Frankreich müssen vorangehen“, sagte Knaus. Dann seien im SommerVerh­andlungen über andere Aspekte wie die in Aussicht gestellteV­isafreihei­t für Türken in der EU möglich.

Zur Entschärfu­ng der Lage für bis zu eine Million Flüchtling­e in Idlib an der Grenze zur Türkei sollte sich Europa ebenfalls mehr engagieren, sagte Knaus.„Kurzfristi­g muss die EU alles tun, um den Druck auf Russland zu erhöhen. Wenn der Waffenstil­lstand hält und Russland humanitäre Hilfe in Idlib zulässt, wäre viel gewonnen.“Auch in Idlib könne die Türkei die Lage „nicht alleine schultern“, sagte Knaus. „Auch hier kann die EU mit Geld helfen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany