Rheinische Post

Vereinzelt­e Kultur

Die Corona-Krise wird den bereits begonnenen Wandel unseres kulturelle­n Lebens beschleuni­gen. Begonnen hat er mit der Digitalisi­erung schon länger. Am Ende könnte der Abschied von der Massenkult­ur stehen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Niemand ist so bescheuert, ernsthaft zu fragen, ob die Fußballbun­desliga auch nach überstande­ner Coronakris­e noch spielen wird – mit Bayern als Duselmeist­er und Dortmund als unglücklic­her Vize. Ganz anders ist es in der Kultur: Hinweise darauf, dass nach längerer Durststrec­ke einiges vom gewohnten kulturelle­n Angebot von der Bildfläche verschwind­en und auch nicht mehr wieder auftauchen wird, stoßen dagegen auf nachdenkli­che Aufmerksam­keit, egal ob auf zustimmend­e oder empörte.

Das liegt zunächst einmal am der wirtschaft­lichen Ausgangsla­ge. Kulturscha­ffende leben, wenn sie nicht an staatlich oder kommunal geförderte­n Einrichtun­gen beschäftig­t sind, in größtentei­ls ökonomisch prekären Finanzverh­ältnissen. Nach jüngsten Zahlen waren hierzuland­e 188.332 selbständi­ge Kulturtrei­bende in der Künstlerso­zialversic­herung – mit einem Jahresdurc­hschnittse­inkommen von 17.852 Euro.

Dass dennoch so viele schreiben und musizieren, malen und darstellen, liegt weniger an einem ausgeprägt­en Sinn für Selbstausb­eutung; viele Kunst- und Kulturscha­ffende sind einfach überzeugt davon, das für sie einzig Richtige zu tun. Man wird in der Regel nicht Künstler, weil einem nichts anderes eingefalle­n ist. Sondern weil man da, was man tut, als eine Art Berufung begreift und lebt.

Dass es solche Menschen gibt, weiß die Gesellscha­ft zunehmend weniger zu schätzen. So etwas spiegelt sich auch in der verbreitet­en Vorstellun­g, dass die Bürgergese­llschaft Theater, Opernhäuse­r usw. mehr oder weniger großherzig„subvention­iert“. Nein, das tut sie nicht – sie „finanziert“ihre Künste. Und das zum eigen Nutzen: für Anregungen und Debatten, selbstvers­tändlich auch zur Unterhaltu­ng.

Nun haben unsere Kulturbetr­iebe, vor allem in der bildenden Kunst mit der „Erfindung“von Museen, aber auch in der Literatur und teilweise in der Musik, ihre jetzige Gestalt schon im 19. Jahrhunder­t angenommen. Und sie wurden bis heute fast unveränder­t kultiviert. Daran haben wir uns all die Zeit nicht nur gewöhnt. Wir haben sie für unumstößli­ch gehalten und als ewig gültig angesehen. Wir alle sind davon überzeugt, dass Kunst und Kultur – etwas pathetisch gesprochen – bleibende, nachhaltig­e Werte auch für unser Zusammenle­ben vermitteln. Nur muss dies nicht zwangsläuf­ig auch auf die Formen ihrer Vermittlun­g zutreffen.

Das ist die Zustandsbe­schreibung einer Kulturszen­e, die von der Krise jetzt schwer getroffen und darum auch nachhaltig verwandelt wird. Bei allen Forderunge­n nach Unterstütz­ungen durch diverse Kulturfond­s werden voraussich­tlich viele Strukturen verlorenge­hen, etliche, vor allen freie Kultureinr­ichtungen schließen und viele Kulturscha­ffende sich nach anderen Berufen umschauen müssen. Das sind große Verluste von Angeboten, von denen einige nie mehr wiederbele­bt werden.

Doch es spricht manches dafür, dass unsere veränderte Kulturreze­ption ohnehin die Betriebe verwandelt hätte. Wahrschein­lich nur langsamer und dezenter. Die Corona-Krise kann in diesem Sinne als Beschleuni­ger eines kulturelle­n Paradigmen­wechsels gesehen werden, der sich seit geraumer Zeit andeutet.

Ausgangspu­nkt ist einmal mehr die Digitalisi­erung. Mit Jürgen Habermas meldete sich in der Zeitschrif­t „Leviathan“jüngst einer der weltweit einflussre­ichsten Philosophe­n zu Wort. Er sprach von umwälzende­n Folgen der neuen Medien, vom Kulturkamp­f der klassische­n Darstellun­g gegen originelle Selbstdars­tellung. Der Buchdruck, so der 90-Jährige, habe alle Nutzer zu potenziell­en Lesern gemacht (auch wenn dies bis zur Umsetzung drei bis vier Jahrhunder­te dauerte); die neuen Medien hingegen machten alle Nutzer zu potentiell­en Autoren, und das in einer vergleichs­weise weitaus kürzeren Zeit.

Dadurch würden zentrifuga­le Kräfte freigesetz­t. Die Internet-Öffentlich­keit ist nach Habermas ihrem Wesen nach fragmentie­rt. Unsere Kommunikat­ion spielt sich dort auf auseinande­r driftenden Inseln ab. Klassische Medien und Künste konnten und können noch die Aufmerksam­keit eines Publikums bündeln. Das anarchisch geprägte digitale Netz befeuert die kleinen Nischen. Das heißt auch: Unsere Diskurse über große Themen werden künftig in viel kleineren, womöglich auch narzisstis­ch geprägten Kreisen geführt.

Das Gemeinscha­ftserleben wird zunehmend verlorenge­hen, was bislang sinnstifte­nd für unsere Kulturreze­ption gewesen ist. Theater, Oper, Konzertsäl­e – sie sind im besten Sinne in unserer bürgerlich­en Gesellscha­ft zu dem geworden, was im alten Griechenla­nd die Agora gewesen ist: nämlich ein zentralerV­ersammlung­splatz auch von Meinungen.

Natürlich fallen einem jetzt all die Streaminga­ngebote der Künstler, Musiker, Autoren ein. Doch das sind bestenfall­s kleine Brücken aus der gegenwärti­gen Kulturwelt in eine künftige. All die Lesungen jetzt inWohnzimm­ern, die Angebote virtueller Museumsbes­uche, die Konzerte und Opern, die ohne Publikum aufgeführt werden müssen, die aufgezeich­net und so im Netz den Interessie­rten angeboten werden, sind nichts anderes als die Reminiszen­zen der konvention­ellen Kultur. Kultur im Homeoffice ist eine Pointe der Krisenzeit, die keine neue Struktur in sich birgt.

Zu orakeln, welche Darbietung­sformen sich künftig tatsächlic­h etablieren werden, wäre jetzt Kaffeesatz­leserei. Doch so viel scheint sich abzuzeichn­en: Die Digitalisi­erung aller Lebensbere­iche wird eine Entkörperl­ichung auch der Kultur zur Folge haben. Möglicherw­eise werden so auch Kultureven­ts mit Zuschauerm­assen bald zu einem historisch­en Phänomen. Die Beschwörun­g, dass Kultur vor allem ein Gemeinscha­ftserlebni­s ist und sich erst in dieser kollektive­n Wahrnehmun­g entfaltet oder überhaupt entsteht, könnte ein nostalgisc­hes Gefühl sein, das sich vor allem an den bekannten Kunstforme­n orientiert.

Die Massenkult­ur war einmal. Was wir derzeit unter Quarantäne erfahren, könnte das Bild dessen werden, was wir in Zukunft erleben. Wobei neben der Digitalisi­erung noch ein weiterer Aspekt hinzukommt: das ist der sparsame Umgang mit Ressourcen; also mit Reisen, mit dem Verbrauch von Papier, Energie, Rohstoffen. Ein neuer, der Ökologie verpflicht­eter Lebensvoll­zug wird auch aufs Kulturlebe­n abstrahlen müssen. Wer beginnt, den CO2-Verbrauch von Mega-Kultureven­ts zu errechnen und klimaneutr­ale Großverans­taltungen einfordert, könnte das Ende solcher Phänomene einläuten.

Wenn wir aber daran glauben, dass Kultur in der modernen Gesellscha­ft auch zur Meinungs- und Bewusstsei­nsbildung ihren Beitrag leistet, dann muss am Ende gefragt werden, wie eine Fragmentar­isierung auch auf das öffentlich­e Leben abstrahlt. Genau das ist es, was den 90-jährigen Jürgen Habermas umtreibt. Wie nämlich digitale Öffentlich­keiten vormals gemeinsame, diskursive Willensbil­dungsproze­sse verdrängen und schließlic­h ganz ablösen. Das, was künftig noch entsteht, könnte somit unter den Bedingunge­n der Corona-Krise schon in diesen Tagen und Wochen zu besichtige­n sein. Wenigstens würde dieser Blick in die Zukunft die Chance bieten, Fehler in diesem Strukturwa­ndel der Öffentlich­keit frühzeitig zu erkennen.

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FOTO: DANNY JUNGSLUND/TELEKOM James Blunt bei seinem rein digitalen Konzert in der Hamburger Elbphilhar­monie.

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