Robert-Koch-Institut setzt auf Handydaten der Telekom
DÜSSELDORF Die Diagnose steht fest: Der Patient hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Jetzt muss es schnell gehen, um den Kreis der Infizierten möglichst gering zu halten. Glücklicherweise hat er ein Smartphone. Die Bewegungsdaten verraten, wo er sich aufgehalten hat, sie verraten, wer in seiner Nähe war, sie helfen bei der Lokalisierung von weiteren potenziell Betroffenen – und der Bekämpfung der Pandemie.
Bislang ist das nur ein Szenario, doch angesichts zunehmend steigender Infektionszahlen kommt großen Mengen an bestimmten Daten eine immer größere Bedeutung zu. Das Robert-Koch-Institut (RKI) versucht nun erstmals mit Hilfe von der Deutschen Telekom, anhand von anonymisierten Bewegungsdaten von Handy-Nutzern zu überprüfen, ob die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus Erfolg haben. „Die Daten zeigen uns, ob insgesamt die Mobilität der Bevölkerung nachgelassen hat“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Mittwoch in Berlin.
Es handelt sich dabei um anonymisierte (und nicht nur pseudonymisierte) Daten. Das Verfahren zu deren Gewinnung wurde bereits vor einiger Zeit gemeinsam mit dem
Bundesdatenschutzbeauftragten erarbeitet. Dabei werden zum Beispiel mindestens 30 Datensätze zusammengefasst, um eine nachträgliche Re-Personalisierung zu erschweren. Laut RKI handelt es sich dabei zum Beispiel um Bewegungsströme zwischen einzelnen Funkzellen. So kann man etwa sehen, wie viele Personen sich an einemWochentag zwischen zwei Stadtteilen bewegen.
Beim Kampf gegen die Ausbreitung des Virus spielen Daten vielerorts eine zentrale Rolle. Die „Süddeutsche Zeitung“berichtete zuletzt, dass Anfang Februar eines Abends alle Handys in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh vibrierten, weil eine Nachricht der Behörden mit einem Link zu einer Google-Maps-Karte angekommen war:„Haben Sie sich an einem dieser Orte am 31. Januar aufgehalten?“Verzeichnet waren vor allem Sehenswürdigkeiten, die eine mit dem Coronavirus infizierte Touristin aus Wuhan besucht hatte.
Auch bei der Überwachung der Quarantäne setzen die Behörden in Taiwan demnach auf eine Auswertung der Handydaten. In Hongkong wiederum sollen sich demnach Leute bei jedem Museumsbesuch, jedem Restaurantaufenthalt und anderen Aufeinandertreffen mit Gruppen vorab mit Name undTelefonnummer in einer App registrieren.
Auch in Deutschland wird inzwischen an einer datenschutzrechtlich konformen Umsetzung solcher Ideen gearbeitet. „Wenn Sie sich vorstellen, dass es möglich wäre, anhand einer bestimmten Applikation herauszufinden, wer in den letzten zwei Wochen in einer bestimmten Entfernung und für eine bestimmte Zeit in dieser Entfernung gewesen wäre, dann wäre das natürlich zielgenauer, diese Person direkt zu kontaktieren“, sagte RKI-Chef Wieler. Das sei technisch und datenschutzrechtlich möglich. Man arbeite seit Wochen an einem Konzept.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagt dazu: „Ich sehe, dass in anderen Staaten während der Corona-Pandemie der Datenschutz teilweise vernachlässigt wird. In Deutschland sehe ich dafür keinen Grund, denn alle Lösungen lassen sich auch grundrechtskonform gestalten.“
Die für Digitalpolitik zuständige Europa-Abgeordnete der Grünen, Alexandra Geese, ist hingegen alarmiert:„Wir dürfen nicht die ,Büchse der Pandora` öffnen.“Jede Polizeistreife könne genauso überprüfen, ob die Menschen zu Hause bleiben, sagt Geese: „Diese Aufgabe mit Bewegungsprofilen zu übernehmen, wären ein Dammbruch und blinder Daten-Aktionismus.“