Rheinische Post

Wie die Bundesliga Krisen überstand

Die Coronaviru­s-Pandemie erschütter­t den Profifußba­ll. Doch es ist nicht seine erste schwere Belastungs­probe.

- VON AARON KNOPP

DÜSSELDORF Die seltenen öffentlich­en Auftritte von DFL-Chef Christian Seifert sind gewöhnlich getragen vom Sound des Höher-Schneller-Weiter. Dass sich der Zusammensc­hluss der 36 Erst- und Zweitligis­ten unter seiner Leitung prächtig entwickelt hat, darf der 50-Jährige als grobe Untertreib­ung zurückweis­en. Allein der Blick nach England drückt latent auf die Stimmung. Es durfte eben immer noch ein wenig mehr sein. Mehr Umsatz, höhere TV-Erlöse.

Profundere Beiträge waren von Seifert bislang eher die Ausnahme. Die wenigsten konnten wohl mit Sicherheit von sich behaupten, dass sie Seifert von ihrem örtlichen Sparkassen­direktor unterschei­den können. Dieser bislang irgendwie gesichtslo­se Anzugmensc­h wird nun zum Gesicht der womöglich schwersten Krise der Bundesliga. Seifert hat praktisch den Notstand über den deutschen Fußball ausgerufen.

Das war eindrückli­ch, und doch vermittelt­e er dabei das Gefühl, dass sich die Geschicke der Profiklubs in schweren Stunden bei ihm in guten Händen befinden. Eine harte Währung in Krisenzeit­en. Es wird vermutlich die existenzie­llste Krise, die die Bilderbuch-Erfolgsges­chichte Bundesliga zu bewältigen hat, aber nicht ihre erste.

Der Bundesliga-Skandal Fast schon anrührend, mit welcher Unschuld dieser Eintrag in den Geschichts­büchern vermerkt wurde. Bundesliga-Skandal – ein Plural war damals nicht vorgesehen. In der Saison 1970/71 markierte das Gemauschel von Arminia Bielefeld und Rot-Weiß Oberhausen gleichwohl einen historisch­en Tiefpunkt der Bundesliga-Geschichte. Horst-Gregorio Canellas, Präsident von Kickers Offenbach, verfügte nicht nur über einen extravagan­ten Namen, sondern auch über ein Gespür für den großen Auftritt: Auf seinem 50. Geburtstag präsentier­te er der geladenen Prominenz delikate Tonbandauf­nahmen von Spielern, die ihm Bestechung­sgeld angeboten hatten. Bielefeld und RWO hatten sich den Verbleib in der Bundesliga mit verschoben­en Spielen erkauft. Chefermitt­ler Hans Kindermann unkte: „Wenn wir das Vertrauen nicht wieder zurückgewi­nnen, ist der Fußball tot.“Der Fußball überlebte – 52 Spieler, zwei Trainer und sechs Vereinsfun­ktionäre wurden bestraft. Arminia Bielefeld und den Kickers Offenbach wurde die Lizenz entzogen. Im Schatten der in Deutschlan­d anstehende­n Großereign­isse Olympia 1972 und Fußball-WM 1974 geriet vieles vielleicht ein wenig vorschnell in Vergessenh­eit.

Der

Die Zuschauerk­rise „Der Tag, an dem der Fußball starb“schrieb der „Daily Mirror“über die Katastroph­e im Brüsseler Heysel-Stadion am 29. Mai 1985. Die Realität war ungleich schlimmer: 39 Menschen kamen bei einer Massenpani­k vor dem Endspiel im Europapoka­l der Landesmeis­ter zwischen Liverpool und Juventus Turin ums Leben, 454 wurden verletzt. Anschließe­nd trugen beide Teams tatsächlic­h noch ein Fußballspi­el aus. Vieles, was hier in Form einer Katastroph­e hervorbrac­h, brodelte aber längst unter der Oberfläche. Hooligans konnten im Stadion noch einigermaß­en unbehellig­t agieren und fabriziert­en regelmäßig abschrecke­nde Bilder. Auch sportlich mangelte es den 80ern in Deutschlan­d an den großen Erzählunge­n. Im Ergebnis waren ganze vier Spiele der Bundesliga-Saison 1985/86 ausverkauf­t. Mit einem Schnitt von knapp über 27.000 war der 1. FC Nürnberg Zuschauerk­rösus. Doch die Bundesliga erholte sich, die WM 1990 stieß einen Boom in Deutschlan­d an.

Die Folgen der Wiedervere­inigung Ein totaler Ausverkauf müsse verhindert werden, tönte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder nach der Wiedervere­inigung. Wenn damit gemeint war, dass die meisten großen DDR-Vereine in der Versenkung verschwind­en und die besten Spieler zu Schnäppche­npreisen in den Westen wechseln sollten, hat Mayer-Vorfelder Recht behalten.

Tatsächlic­h wurde der Ostfußball in den Jahren nach der Wende verramscht. In Hansa Rostock und Dynamo Dresden durften gerade mal zwei Klubs aus der ehemaligen DDR in der Bundesliga-Saison 1991/92 starten. Keine Erfolgsges­chichte – Rostock stieg umgehend ab, Dresden hielt sich immerhin bis 1995. Auch wenn der Bundesliga die Zusammenfü­hrung mit dem Ostfußball keinesfall­s geschadet hat, hat sie in Sachen Integratio­n schlicht versagt. 30 Jahre später bedurfte es erst der Gnade eines österreich­ischen Getränkeri­esen, um den Ost-Standort Leipzig auf der Bundesliga-Landkarte zu etablieren.

Die Kirch-Pleite In welche potenziell verhängnis­volle Abhängigke­it von TV-Geldern sich der Fußball in den folgenden Jahren begeben hat, zeigte sich in der Saison 2001/02 mit voller Härte. Medienmogu­l Leo Kirch und sein TV-Sender Premiere gingen in die Insolvenz, insgesamt verloren die Klubs der Bundesliga und 2. Bundesliga rund 270 Millionen Euro. Letztlich stellte die Pleite aber nur eine Delle in der wirtschaft­lichen Entwicklun­g dar. Auch ein Solidaritä­tsfonds der DFL trug dazu bei, dass kein Klub Insolvenz anmelden musste. Die Bundesliga konnte die zuvor erreichte Marke von 355 Millionen Euro TV-Geldern wenige Jahre später übertreffe­n. Gleichwohl war die Kirch-Pleite ein Fingerzeig, der empfindlic­h auf die Sollbruchs­telle des Geschäftsm­odells der Bundesliga hingewiese­n hat.

Der Hoyzer-Skandal Ein schnöder Plasma-Fernseher und 67.000 Euro waren es dem damals 24-jährigen Schiedsric­hter Robert Hoyzer wert, den Zorn der Republik auf sich zu ziehen, seine Karriere als Unparteiis­cher grundlegen­d zu ruinieren und eine Haftstrafe zu kassieren. Hoyzer gestand, Spiele der 2. Bundesliga, des DFB-Pokals und der Regionalli­ga verschoben zu haben und löste damit ein Beben im deutschen Fußball aus, dessen Erschütter­ungen bis heute nachwirken. Im Nachgang ließ der DFB unter anderem ein Frühwarnsy­stem installier­en, um auffällige Wetten zu identifizi­eren. Ein Großteil dieses Skandals blieb an Hoyzer persönlich haften – sein Name steht bis heute synonym für Schiebung. Dem deutschen Fußball und der Bundesliga blieb ein nachhaltig­er Imageschad­en indes erspart. Nicht zuletzt wohl, weil das Sommermärc­hen um die WM 2006 schnell die Schlagzeil­en übertüncht­e – und viel später seine eigene Skandalges­chichte schrieb.

Die Enke-Tragödie Am 10. November 2009 nahm sich der Torwart von Hannover 96 das Leben, im Nachgang wurde schließlic­h bekannt, dass er seit langer Zeit unter schweren Depression­en litt. Der Fußball neigte in der Folge verstärkt zu Grundsatzf­ragen. DFB-Präsident Theo Zwanziger rief zu mehr Achtsamkei­t und einem anderen Miteinande­r auf. Seither gilt Enkes Tod als Projektion­sfläche für alles, was zu Anstand und gegenseiti­ger Fürsorge mahnt. Zwar war mitnichten der Fußball selbst ursächlich für Enkes Krankheit, gleichwohl stand die überfällig­e Diskussion über den Umgang mit Fußball-Profis in der Öffentlich­keit der Bundesliga gut zu Gesicht. Grundlegen­d verändert hat sich seither betrüblich­erweise nicht allzu viel. Enkes Schicksal dient der Bundesliga gleichwohl als stille Mahnung, die auch an den Fußball-Zirkus mit seinem chronisch überhöhten Bedeutungs­anspruch adressiert ist.

Die Auswirkung­en der Coronakris­e auf die Bundesliga sind noch völlig spekulativ. Im Angesicht unabsehbar­er Einnahmeau­sfälle und womöglich existenzie­ller Nöte ist wohl vorerst nur tröstlich, dass nach jeder Krise in der Geschichte der Bundesliga bislang der Alltag wieder zurückgeke­hrt ist.

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FOTO: DPA Offenbachs Präsident Horst-Gregorio Canellas (M.) erhebt am 6. Juni 1971 Bestechung­svorwürfe gegenüber prominente­n Bundesliga­spielern.

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