„Wir sind das Orchester auf der Titanic“
Es ist ein Jammer. Und das im doppelten Sinn. Erstens, weil die Premiere von „Extrawurst“am Freitag im Theater an der Kö wegen des Spielverbots nicht stattfinden darf. Und zweitens, weil die genial gebaute Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjacob garantiert ein Renner würde – davon gleich mehr. Die Schließung seiner Bühne auf unbestimmte Zeit beschert Theaterleiter René Heinersdorff ein Riesenloch im Etat und stellt ihn vor eine ungewisse Zukunft. Jegliches Planen ist zwecklos. „Eine Situation, die keiner kennt“, sagt er. „Aufbegehren macht keinen Sinn. Wir haben x Modelle durchdiskutiert, aber niemand weiß, wie lange das alles dauert.“Wie viele ihrer Kollegen geraten auch die fünf „Extrawurst“-Schauspieler in eine prekäre Lage. Sie werden gemeinhin pro Vorstellung bezahlt. Wird nicht gespielt, fließt auch kein Geld. Wer kommt nun für welchen Schaden auf? „Wir sitzen alle in einem Boot und wollen uns ja nicht gegenseitig vernichten“, stellt René Heinersdorff klar. „Was mich nur wundert, ist die ständige Beteuerung unserer Politiker, die Kassen seien voll, es stünden viele Millionen für Hilfsmaßnahmen zur Verfügung. Wir haben in unserer Not angefragt, doch davon wollen weder die Arbeitsämter noch die Banken etwas wissen.“
In der kleinen Runde im Foyer waren die Emotionen mit Händen zu greifen. Womit füllen die Schauspieler nun ihre Zeit? „Mit der Erziehung meines elfjährigen
Kindes“, antwortet Stefan Bockelmann und rückt etwas zurecht: „Wir wohnen im Kreis Heinsberg. Dort geht es längst nicht so katastrophal zu wie berichtet. So viel Hilfsbereitschaft und Solidarität habe ich noch nie erlebt.“Bis zum letzten Moment hielt René
Heinersdorff die Proben für „Extrawurst“aufrecht. „Wir sind das Orchester auf der Titanic. Die Produktion sollte vollständig fertig sein. Wenn es weitergeht, können wir sofort loslegen.“
Zum finalen Durchlauf fanden sich gestern auch einige Verantwortliche aus Privattheatern in den Schadow Arkaden ein, um danach die derzeitige Situation zu diskutieren. Christiane Reichert, die Chefin im Theater an der Luegallee, versuchte es mit Galgenhumor: „Es ist gruselig, aber auch faszinierend, weil auf einmal alles andere so klein wird. Die Theater rücken zusammen, ein Lichtblick in dem ganzen Wahnsinn.“Bei der Probe verteilte sich ein Dutzend Zuschauer im Gestühl, darunter Kom(m)ödchen-Chef Kay Lorentz und Gianni Sarto vom Theaterlabor Traumgesicht.
Die Rechte an „Extrawurst“hatte sich Heinersdorff als zweite Bühne nach dem „Ohnsorg-Theater“gesichert: „Das Stück ist so gut, das hätte ich als Autor nicht hingekriegt.“Schauplatz ist eine Versammlung im Tennisclub, die Theaterzuschauer sind als Mitglieder eingebunden. An einem Grill, der angeschafft werden soll, entzündet sich ein Streit mit weit reichenden Folgen. Soll das einzige türkische Vereinsmitglied, das kein Schweinefleisch isst, einen extra Grill bekommen? So banal die Frage klingt, so gnadenlos und sarkastisch werden dabei Toleranzgrenzen ausgetestet und verdeckte Vorurteile entlarvt. Regisseur Volker Schmalöer: „Als würde man eine Zwiebel schälen.“Den fünf fabelhaften Schauspielern war das fehlende Publikum nicht anzumerken. Gewiss dachte jeder im Saal wehmütig an die ausgefallene Premiere. Doch irgendwann dürfen sich die Düsseldorfer dann erst recht auf „Extrawurst“freuen.
Regina Goldlücke