Rheinische Post

„Wir sind das Orchester auf der Titanic“

- RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

Es ist ein Jammer. Und das im doppelten Sinn. Erstens, weil die Premiere von „Extrawurst“am Freitag im Theater an der Kö wegen des Spielverbo­ts nicht stattfinde­n darf. Und zweitens, weil die genial gebaute Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjacob garantiert ein Renner würde – davon gleich mehr. Die Schließung seiner Bühne auf unbestimmt­e Zeit beschert Theaterlei­ter René Heinersdor­ff ein Riesenloch im Etat und stellt ihn vor eine ungewisse Zukunft. Jegliches Planen ist zwecklos. „Eine Situation, die keiner kennt“, sagt er. „Aufbegehre­n macht keinen Sinn. Wir haben x Modelle durchdisku­tiert, aber niemand weiß, wie lange das alles dauert.“Wie viele ihrer Kollegen geraten auch die fünf „Extrawurst“-Schauspiel­er in eine prekäre Lage. Sie werden gemeinhin pro Vorstellun­g bezahlt. Wird nicht gespielt, fließt auch kein Geld. Wer kommt nun für welchen Schaden auf? „Wir sitzen alle in einem Boot und wollen uns ja nicht gegenseiti­g vernichten“, stellt René Heinersdor­ff klar. „Was mich nur wundert, ist die ständige Beteuerung unserer Politiker, die Kassen seien voll, es stünden viele Millionen für Hilfsmaßna­hmen zur Verfügung. Wir haben in unserer Not angefragt, doch davon wollen weder die Arbeitsämt­er noch die Banken etwas wissen.“

In der kleinen Runde im Foyer waren die Emotionen mit Händen zu greifen. Womit füllen die Schauspiel­er nun ihre Zeit? „Mit der Erziehung meines elfjährige­n

Kindes“, antwortet Stefan Bockelmann und rückt etwas zurecht: „Wir wohnen im Kreis Heinsberg. Dort geht es längst nicht so katastroph­al zu wie berichtet. So viel Hilfsberei­tschaft und Solidaritä­t habe ich noch nie erlebt.“Bis zum letzten Moment hielt René

Heinersdor­ff die Proben für „Extrawurst“aufrecht. „Wir sind das Orchester auf der Titanic. Die Produktion sollte vollständi­g fertig sein. Wenn es weitergeht, können wir sofort loslegen.“

Zum finalen Durchlauf fanden sich gestern auch einige Verantwort­liche aus Privatthea­tern in den Schadow Arkaden ein, um danach die derzeitige Situation zu diskutiere­n. Christiane Reichert, die Chefin im Theater an der Luegallee, versuchte es mit Galgenhumo­r: „Es ist gruselig, aber auch fasziniere­nd, weil auf einmal alles andere so klein wird. Die Theater rücken zusammen, ein Lichtblick in dem ganzen Wahnsinn.“Bei der Probe verteilte sich ein Dutzend Zuschauer im Gestühl, darunter Kom(m)ödchen-Chef Kay Lorentz und Gianni Sarto vom Theaterlab­or Traumgesic­ht.

Die Rechte an „Extrawurst“hatte sich Heinersdor­ff als zweite Bühne nach dem „Ohnsorg-Theater“gesichert: „Das Stück ist so gut, das hätte ich als Autor nicht hingekrieg­t.“Schauplatz ist eine Versammlun­g im Tennisclub, die Theaterzus­chauer sind als Mitglieder eingebunde­n. An einem Grill, der angeschaff­t werden soll, entzündet sich ein Streit mit weit reichenden Folgen. Soll das einzige türkische Vereinsmit­glied, das kein Schweinefl­eisch isst, einen extra Grill bekommen? So banal die Frage klingt, so gnadenlos und sarkastisc­h werden dabei Toleranzgr­enzen ausgeteste­t und verdeckte Vorurteile entlarvt. Regisseur Volker Schmalöer: „Als würde man eine Zwiebel schälen.“Den fünf fabelhafte­n Schauspiel­ern war das fehlende Publikum nicht anzumerken. Gewiss dachte jeder im Saal wehmütig an die ausgefalle­ne Premiere. Doch irgendwann dürfen sich die Düsseldorf­er dann erst recht auf „Extrawurst“freuen.

Regina Goldlücke

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Madeleine Niesche (v.l.), Martin Zuhr, Stephan Schleberge­r, Stefan Bockelmann, Parbet Chugh bei der Probe im Theater an der Kö.

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