Rheinische Post

Wir sind in eine andere Zeit katapultie­rt

Jeden Tag gibt es in der Corona-Krise neue Nachrichte­n, Gewissheit­en fallen weg. Verstand und Emotion kommen nicht recht mit.

- UWE-JENS RUHNAU

Wenn ein Urlaub vollgepack­t ist mit anregenden Erlebnisse­n, dann denkt man nach einer Woche: Was, das war nur eine Woche? Die verflossen­e Spanne empfindet der Urlauber wie zwei oder drei Wochen, so reich war die erlebte Zeit, und in unserer Erinnerung dehnt sie sich. Was war denn genau vor drei Tagen, wo waren wir da, und wo vor fünf Tagen? Jetzt merken wir: Dieses Zeitgefühl haben wir nicht nur in schönen, sondern auch in diesen merkwürdig-erschütter­ten Tagen, da unsere Selbstgewi­ssheiten, Routinen und Sicherheit­en durch die Corona-Krise zur Dispositio­n stehen.

Schauen wir ein paar Tage zurück. Am Mittwoch letzter Woche, genauer am 11. März, verkündete Ministerpr­äsident Armin Laschet auf der Titelseite der Rheinische­n Post, die NRW-Städte müssten Großverans­taltungen mit mehr als 1000 Besuchern absagen. Zwei Tage später ließ die Bundeskanz­lerin an gleicher Stelle wissen, „Schulschli­eßungen sind eine Option“. Die Düsseldorf­er Stadtspitz­e winkte merkwürdig selbstbewu­sst ab und meinte, dass sie die Schulen offen halten will. Wie wir wissen, hatte diese breite Brust nur ein kurze Halbwertsz­eit.

Einen Tag später wurde in Folge einer Ansprache von Laschet die Schließung der Kulturstät­ten angesagt, von Sportstätt­en, Bürgerhäus­ern, Seniorenze­ntren, Bädern etc. Als dies in der Zeitung erschien, am Samstag, war das Wetter schön, die Menschen strömten in Massen ans Rheinufer und saßen nah beieinande­r an den Kasematten.

Die Nachricht der Schließung­en und das gleichzeit­ige Open-Air-Vergnügen wirken heute so, als stammten sie aus Parallelun­iversen. Dann wurde in der nun abgelaufen­en Woche eine Folge von Nachrichte­n in Gang gesetzt, die ein wenig irreal wirkt. Hätte man vor drei Monaten jemandem die Schlagzeil­en vorgelesen, es wäre die Frage gestellt worden, ob diese für den 1. April gedacht seien. Die Stadt Düsseldorf gibt die drei Umweltspur­en wieder für den „normalen“Verkehr frei? Macht der Geisel nie, wäre die Antwort gewesen. Das Parken auf öffentlich­en Parkplätze­n wird gebührenfr­ei? Niemals! Und die Rheinbahn bittet am Donnerstag auf Facebook die Düsseldorf­er, doch bitte nicht mit Bus und Bahn zu fahren? Träum weiter...

Wir sind in eine andere Zeit katapultie­rt – Verstand und Emotion kommen da noch nicht ganz mit. Klar ist: Es kommt auf uns an, das hat die Kanzlerin mit wohlgesetz­ten Worten deutlich gemacht.

Es wäre schön, wenn unser Gesundheit­sdezernent Andreas Meyer-Falcke recht gehabt hätte. Der Professor meinte Anfang Februar, zu Karneval habe die Zahl der Corona-Infektione­n ihren Höhepunkt überschrit­ten...

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