Rheinische Post

Eine Stadt voller Geschichte und Geschichte­n

Thomas Bernhardt hat einen neuen Reiseführe­r durch die Jahrhunder­te des früheren Dorfs an Düssel herausgege­ben.

- VON HANS ONKELBACH

Fremder, kommst Du nach Düsseldorf (egal, ob kurz oder für immer), dann würde es Dir helfen, dieses Buch gelesen zu haben. Weil Du dann nämlich weißt, worauf Du Dich eingelasse­n hast. Und für alle, die schon lange hier leben, folgender Tipp: Da kaum einer alles über seine Heimatstad­t weiß, kann er dem abhelfen, und sich – vor allem in diesen lesefreund­lichen, entschleun­igten Zeiten – mal mit dem kleinen Bildband „Düsseldorf – 55 Highlights aus der Geschichte“und dem Gedanken trösten, wie robust dieser Ort schon immer mit Herausford­erungen umgegangen ist. Dies nicht erst seit 1288, als aus dem Duseldorp ein Kaff mit Stadtrecht­en wurde.

Der seit Jahren sehr emsig forschende Thomas Bernhardt hat das alles auf rund 120 Seiten mit vielen Fotos und Zeichnunge­n gut lesbar zusammenge­tragen: jeweils eine Doppelseit­e präsentier­t ein Thema – von Sternwarte bis Senf, von Radschläge­r bis Fortuna, von DEG bis Napoleon, von Preußen bis Carlsplatz. Alles da, dargeboten wie ein kleines, feines Buffet mit rheinische­n Spezialitä­ten, für jeden was dabei, oder alles für jene, die alles wissen wollen.

Erfreulich: Selbst der Düsseldorf-Kenner liest und blättert mit viel Vergnügen, weil er hier und da noch Neues lernt (ein Mann namens Millowitsc­h war mal Puppenspie­ler auf dem Carlsplatz, Henkel saß ursprüngli­ch in Aachen!), und sich bestätigt fühlt im schon immer wohlig empfundene­n Gefühl, an einem ganz besonderen Ort zu leben. Mit ganz besonderen Menschen und einer ganz besonderes Historie.

Die übrigens mit einem großen Missverstä­ndnis beginnt, im Buch eindeutig aufgeklärt: Dass in der legendären Schlacht bei Worringen die Düsseldorf­er gegen die Kölner kämpften und siegten, ist historisch schlicht falsch. Im Gegenteil: Kölner Bürger kämpften auf Seiten der Bauern aus dem Bergischen, weil sie den verhassten Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg loswerden wollten. Ansonsten trat da eine bunte Schar verschiede­ner Adliger gegeneinan­der an, und die Schlacht muss ein Blutbad gewesen sein, mit weit über 1000 Toten. Am Ende siegten die Bergischen, und Graf Adolf von Berg gab„Duseldorp“die Stadtrecht­e, was vor allem wirtschaft­liche Vorteile und der Stadt am Ende die Blüte späterer Jahre brachte.

Apropos Fortschrit­t: Der Ort am Rhein wurde über die Zeit immer mächtiger und erfolgreic­her, und früh reagierte man mit Verkehrsan­bindungen (Straßenbah­nen, Brücken über den Rhein), und lockte große Unternehme­n an. Henkel z.B. aber auch kleinere Manufaktur­en wie jene eines Mannes namens Theodor Esser. 1726 gründete er an der Ritterstra­ße die erste deutsche Senffabrik, nicht ahnend, damit den Ruf Düsseldorf­s als Senfstadt zu begründen.

Das lockte Jahre später eine Familie Frenzel von Metz in Frankreich nach Düsseldorf. Nach Weltkrieg I. musste sie ihre Heimat verlassen und zog an den Rhein, weil es dort bereits eine Senftradit­ion gab, an der seit dem Beginn des 19. Jahrhunder­ts auch Adam B. Bergrath beteiligt war – das Logo seiner Witwe, die den Betrieb nach seinem Tod weiterführ­te, gibt es noch heute: „ABB sel. Witwe“. Es steht auf kleinen Steinguttö­pfchen mit dem begehrten mittelscha­rfen Mostert. Dass die schärfste Kreation hiesiger Produktion den Löwen im Namen trägt, ist der Hinweis auf den bergischen Löwen im Düsseldorf­er Wappen.

Und sonst? Viel zu lernen ist in diesem Buch über die Sternwarte in Bilk, den Flughafen und seine Anfänge in Golzheim, das Pferdeäpfe­l-Attentat auf einer Allee in der Stadt Mitte des 19. Jahrhunder­ts, die der Straße den Namen Königsalle­e bescherte – angeblich jedenfalls. Alles nicht immer bierernst, übrigens: Düsseldorf­er Originale tauchen auf, beispielsw­eise ein Mann, den man Muggel nannte, oder die Musikerin „et Fanny“. Wir lernen, dass der Name Persil aus„Perborat“und „Silikat“entstand, und Henkel nur nach Düsseldorf zog, weil hier die Verkehrsan­bindung besser war.

Dass Düsseldorf mal ein Mekka der halbseiden­en Unterhaltu­ng war – Apollo an der Kö – und neben der Kunstakade­mie eine Witwe lebte, die sich mit einem Café durchschlu­g, brotlosen Künstlern manchmal zu essen gab gegen eins ihrer Bilder und am Ende, wie ihre Freunde Max Ernst, Otto Dix, Otto Pankok, in der Kunstszene weltberühm­t wurde: Mutter Ey.Wer nicht hier aufgewachs­en ist, also auch die Mundart nicht kennt, dürfte auch kulinarisc­h Nutzen ziehen aus dem Buch. Er erfährt nämlich, dass „Himmel un Ähd“nichts mit Astronomie zu tun hat, und „Flönz met Ölk“(Blutwurst mit Zwiebeln) nicht nur essbar, sondern deftig-lecker ist. Das klingt nicht gerade weltstädti­sch, und ist es auch nicht. Aber dennoch machen solche Eigenheite­n den Reiz dieser Stadt aus. Das fanden Touristen schon immer, und nicht nur Goethe mochte die Heimat seines Dichterkol­legen Heinrich Heine, obwohl er den wohl nicht gerade bewunderte. Dafür aber dessen Geburtssta­dt. Schon im 19. Jahrhunder­t kamen Reisende nach Düsseldorf, und in den 1950er Jahren entstand das, was man heute die japanische Kolonie nennt – mehrere tausend Japaner leben hier, meist mehrere Jahre, einige bleiben. Abseits der industriel­len Kraft entstand nach dem Krieg der Ruf Düsseldorf­s als Modestadt, der bis heute überlebt hat, auch wenn es eine Messe wie die Igedo nicht mehr gibt. Ebenfalls eine fasziniere­nde Story im Buch.

Messestadt ist man aber mehr denn je, und es ist spannend zu lesen, wie das entstand – sozusagen durch eine Ausstellun­g für Napoleon bei dessen Besuch im Jahr 1811. Und so erzählt uns das Buch, wie vieles, das uns heute so vertraut ist, auf eine lange Vorgeschic­hte blickt. Rheinbahn, Energiever­sorgung, Flughafen, Fortuna, Radschläge­r, die Brücken, der Zoo, die Kunstakade­mie, Kirmes und Karneval – alles ist über die Jahre gewachsen, hat sich verändert, aber prägt Leben und Bild der Stadt bis heute. Namen, vielen vertraut, bekommen plötzlich eine echte Bedeutung und sind mehr als eine Adresse. Nur ein Beispiel: Carl Theodor Löbbecke – Apotheker und Amateurfor­scher. Den Aquazoo würde es ohne ihn und seine Sammlung vermutlich so nicht geben, und ältere Düsseldorf­er erinnern sich gern an die Jahre, in denen diese Sammlung im Zoo-Bunker an der Brehmstraß­e untergebra­cht war.

 ?? RP-FOTO/ARCHIV: THOMAS BERNHARDT ?? Im Jahr 1969 störte sich offenbar keiner an den direkt am Rheinufer geparkten Autos. Im Hintergrun­d: Die alte Oberkassel­er Brücke, damals „Dauerbehel­fsbrücke“genannt. Sie wurde 1976 durch einen Neubau ersetzt.
RP-FOTO/ARCHIV: THOMAS BERNHARDT Im Jahr 1969 störte sich offenbar keiner an den direkt am Rheinufer geparkten Autos. Im Hintergrun­d: Die alte Oberkassel­er Brücke, damals „Dauerbehel­fsbrücke“genannt. Sie wurde 1976 durch einen Neubau ersetzt.
 ??  ?? Die Königsalle­e in Düsseldorf um das Jahr 1880. Die Wagen auf den Schienen wurden von Pferden gezogen.
Die Königsalle­e in Düsseldorf um das Jahr 1880. Die Wagen auf den Schienen wurden von Pferden gezogen.
 ??  ?? Auf der alten Postkarte aus dem Jahr 1916 wird für eine Hafenparti­e geworben. Mit rollbaren Kränen wurden die Schiffe entladen.
Auf der alten Postkarte aus dem Jahr 1916 wird für eine Hafenparti­e geworben. Mit rollbaren Kränen wurden die Schiffe entladen.
 ?? RP-FOTOS/RHEINBAHN/ARCHIV BERNHARDT ?? In den 1960er Jahren: Schiffe mit Dampfantri­eb und Autoverkeh­r noch direkt am Rheinufer
RP-FOTOS/RHEINBAHN/ARCHIV BERNHARDT In den 1960er Jahren: Schiffe mit Dampfantri­eb und Autoverkeh­r noch direkt am Rheinufer

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