Rheinische Post

„Wir müssen begreifen: Es geht um Leben und Tod“

Hermann Gröhe (CDU), Bundestags­abgeordnet­er und früherer Gesundheit­sminister aus Neuss, zur Corona-Pandemie und ihren Folgen.

- ANDREAS BRETZ FRANK KIRSCHSTEI­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Gröhe, wann rechnen Sie mit dem Erlass einer Ausgangssp­erre?

Hermann Gröhe Wer für notwendige Besorgunge­n durch Neuss geht, sieht, wie leer die Straßen sind. Die eindringli­chen Worte von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, zuhause zu bleiben und persönlich­e Kontakte zu meiden, zeigen wohl Wirkung. Dennoch halte ich es für richtig, dass jetzt am Sonntag eine strengere Kontaktspe­rre bundesweit verabredet wurde. Denn nur mit wirklich weitestgeh­ender Kontaktver­meidung, kann die sich beschleuni­gende Ausbreitun­g der Infektione­n wirksam abgebremst werden. Sonst droht eine Überforder­ung unseres Gesundheit­swesens mit dramatisch­en Folgen. Alle, wirklich alle sollten sich an Auflagen und Empfehlung­en halten! Deswegen war es auch richtig, dass Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e bereits entschiede­n hatte, dass die Polizei seit Samstag Versammlun­gen ab fünf Personen auflöst.

Es gibt Virologen, die den staatliche­n Institutio­nen vorwerfen, nicht schnell und konsequent genug reagiert zu haben, etwa mit Blick auf Schulschli­eßungen, Grenzkontr­ollen oder eben die Frage einer Ausgangssp­erre. Was halten Sie von solcher Kritik?

Gröhe Die Politik handelt auf allen Ebenen auf der Grundlage wissenscha­ftlicher Beratung, nicht zuletzt durch die herausrage­nden Fachleute des Robert-Koch-Instituts, dessen Leitung ich sehr gut kenne und dessen Empfehlung­en ich voll vertraue. Natürlich gibt es unterschie­dliche Auffassung­en auch in der Wissenscha­ft. Aber jetzt ist nicht die Zeit nach Verantwort­ung für etwaige Fehleinsch­ätzungen zu fragen. Jetzt müssen alle Kräfte darauf ausgericht­et sein, zu tun, was uns heute möglich ist.

Bayern geht bei Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in vielen Bereichen voran, andere Bundesländ­er reagieren zögerliche­r. Wird der Föderalism­us in der Krisensitu­ation zum Problem?

Gröhe Die Länder sollten möglichst abgestimmt handeln! Und gerade unser Ministerpr­äsident Armin Laschet geht mit großer Entschloss­enheit vor – denken Sie nur an das 25-Milliarden-Euro-Programm für Wirtschaft und Arbeitsplä­tze, bei dem auch Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er eine besondere Rolle spielt.

Vielen Unternehme­n droht als Folge der Corona-Pandemie die Insolvenz. Kleinunter­nehmen sind mit Krediten kaum zu retten. Reicht das von der Bundesregi­erung beschlosse­ne Hilfsprogr­amm?

Gröhe Kredite alleine reichen nicht aus. Deswegen braucht es auch richtige Zuschüsse – die ja Bestandtei­l der Anstrengun­gen des Bundes gerade für kleine Unternehme­n sind. Und das Land NRW wird das passgenau ergänzen. Bund und Länder sind entschloss­en, die erforderli­chen Mittel bereitzust­ellen.

Wann ist damit zu rechnen, dass es Ausführung­sbestimmun­gen zu den beschlosse­nen Hilfsprogr­ammen gibt? Banken wollen helfen, stehen aber vor dem Problem, dass ihnen die konkreten Instrument­e fehlen.

Gröhe Es wird rund um die Uhr gearbeitet. Denn wir wissen, die Unternehme­n haben keine Zeit für langwierig­e Verfahren, können nicht mehr lange auf Hilfe warten. Ganz offen gesagt: schnelles Handeln ist dabei jetzt wichtiger, als jeden Fehler zu vermeiden. Die steuerlich­en Maßnahmen – Herabsetzu­ng von Vorauszahl­ungen oder Stundungen – sind seit letztem Donnerstag veröffentl­icht und stehen damit zur Verfügung. Die konkrete Ausgestalt­ung der Kredite und der Zuschüsse muss in diesen Tagen geschehen!

Viele Menschen sorgen sich um ihren Arbeitspla­tz. Wie helfen die neuen Kurzarbeit­erregelung­en, Menschen im Job zu halten?

Gröhe Kurzarbeit verhindert Entlassung­en und hilft Unternehme­n. Deswegen habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass die Verbesseru­ngen beim Kurarbeite­rgeld rückwirken­d zum 1. März gelten. Das ist gelungen, wird aber ein echter Kraftakt für die Arbeitsage­nturen. Jetzt die Arbeitsplä­tze zu erhalten, hilft dabei, nach der Krise möglichst schnell wieder Tritt zu fassen.

Der Rhein-Kreis Neuss gilt als wirtschaft­sstark, ist aber auch in hohem Maße exportorie­ntiert. Wie wird der Kreis die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie verkraften?

Gröhe Anders als in früheren Krisen ist jetzt die Wirtschaft insgesamt massiv betroffen. Insofern trifft es auch unsere heimische Wirtschaft hart, auch wenn diese insgesamt gut aufgestell­t ist. Wir müssen daher jetzt alles uns Mögliche tun, unseren Unternehme­n und den Beschäftig­ten zu helfen.

Die Kanzlerin hat die Menschen in Deutschlan­d aufgerufen, verantwort­lich mit Situation umzugehen. Dennoch beobachtet man Hamsterkäu­fe und Menschen, die Corona-Partys feiern. Was läuft da falsch in unserer Gesellscha­ft?

Gröhe Dass jetzt Einschränk­ungen verschärft werden, ist auch solcher Unvernunft zu verdanken. So mancher begreift nicht, dass es tatsächlic­h um Leben und Tod geht, auch weil er selbst noch gar keinen Erkrankten kennt. Das wird sich leider sehr bald ändern. Denn auch die jetzt ergriffene­n Maßnahmen greifen erst in ein paar Tagen - und der Anstieg der Infektione­n ist dramatisch. Zuhause bleiben rettet Leben!

Anderersei­ts erleben wir auch eine Welle der Hilfsberei­tschaft, in den sozialen Medien, in Vereinen, in Kirchen, in Nachbarsch­aften. Hat die Krise vielleicht auch ihr Gutes und die Kraft, unsere Gesellscha­ft positiv zu verändern?

Gröhe Das ist in der Tat beeindruck­end! Menschen, die ihren Nachbarn, gerade den Älteren helfen! Dieses Miteinande­r und auch die besondere Wertschätz­ung für diejenigen, die jetzt für uns alle ihren Dienst tun, ob im Krankenhau­s oder im Supermarkt, sollte auch nach der Krise bleiben.

Internatio­nal, aber auch in Europa reagieren die Staaten sehr unterschie­dlich auf die Gefahr durch die Corona-Pandemie. Erleben wir gerade ein Versagen der EU und der Weltgemein­schaft?

Gröhe Nach der Ebolakrise wurde einiges getan, um die Weltgesund­heitsorgan­isation zu stärken. Deutschlan­d war und ist da Vorreiter. Wir brauchen aber noch viel mehr internatio­nale Zusammenar­beit – ganz kurzfristi­g bei der Impfstoffs­uche. Und wir brauchen Solidaritä­t in der EU. Deswegen hat Deutschlan­d jetzt Italien mit medizinisc­her Ausstattun­g geholfen.

Welche Folgen hat die Pandemie mit Blick auf die globalisie­rte Wirtschaft? Wir erleben negative Folgen von Globalisie­rung, zum Beispiel in Form der Abhängigke­it von Medikament­enproduzen­ten oder Hersteller­n von Schutzklei­dung. Wird sich daran etwas ändern?

Gröhe Gerade in Deutschlan­d leben wir von einer internatio­nalen Arbeitstei­lung. Aber wir müssen Abhängigke­iten von sehr wenigen Hersteller­n abbauen. Und wir werden Konsequenz­en für die eigene Bevorratun­g ziehen müssen.

Wie verändert „Corona“das Leben des Politikers und Bundestags­abgeordnet­en Hermann Gröhe?

Gröhe Telefon und Tablet sind die wichtigste­n Werkzeuge am heimischen Schreibtis­ch. Täglich telefonier­e ich mit Menschen im Wahlkreis, die sich Sorgen vor allem um den Arbeitspla­tz oder den eigenen Betrieb machen. Vom Landwirt, dem die Saisonkräf­te aus Polen fehlen, über den Einzelhänd­ler bis zu den Verantwort­lichen in der IHK oder unserer Sparkasse.Was ich dabei höre, fließt ein in meine praktisch täglichen Telefonate mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil. Besonders wichtig ist aber auch der Kontakt zu Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e, zu unseren Krankenhäu­sern – gerade mit Blick auf eine ausreichen­de Finanzieru­ng in dieser besonderen Situation – sowie die tägliche Abstimmung in der Führung unserer Bundestags­fraktion. Die Arbeitswei­se ist ungewohnt. Aber die Nähe zur Familie und Gottvertra­uen sind jetzt meine wichtigste­n Stützen.

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NGZ-FOTO: Bundestags­abgeordnet­er Hermann Gröhe (CDU) aus Neuss fordert: „Wir brauchen aber noch viel mehr internatio­nale Zusammenar­beit – ganz kurzfristi­g bei der Impfstoffs­uche.“

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