Rheinische Post

„Ich staune über die Beschneidu­ng der Freiheit“

Sie ist Schauspiel­erin, Medizineri­n und gesellscha­ftlich engagiert: Im Interview spricht Maria Furtwängle­r über die Bedrohung durch das Corona-Virus, über ihre Stiftung und den neuen „Tatort“.

- JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

KÖLN

Maria Furtwängle­r ist erkältet. Kein Covid-19, sagt sie am Telefon, sondern ein ganz normaler Husten. Die Schauspiel­erin nimmt es gelassen, lässt sich genauso wenig aus der Ruhe bringen wie die von ihr gespielte „Tatort“-Kommissari­n Charlotte Lindholm (nächste Folge „Krieg im Kopf“am Sonntag). Das Gespräch ist ihr wichtig, auch, weil es um die Ungleichbe­handlung von Frauen im Film geht. Mit ihrer Stiftung hilft sie Frauen weltweit.

Sie sind nicht nur Schauspiel­erin, sondern auch Medizineri­n. Beeinfluss­t das Ihren Umgang mit Corona, gehen Sie da sachlicher ran, weniger angstbeset­zt?

MARIA FURTWÄNGLE­R Ich neige da nicht zu einer großen Panik, ehrlich gesagt. Ich staune eher darüber, was gerade passiert und welche unglaublic­hen Kreise das zieht, und natürlich über die schnellen Beschneidu­ngen unserer Freiheitsr­echte. Ich sehe mit Sorge, dass es in populistis­chen Ländern wie Ungarn dazu führt, dass jemand seinen autoritäre­n Führungsst­il ausbaut. Es ist schon erstaunlic­h, was wir innerhalb weniger Wochen für ein Virus bereit sind zu tun – und wie wenig wir bereit waren, uns zu ändern, wenn es um die meiner Ansicht nach nicht minder relevante und bedrohlich­e Klimakrise geht.

Glauben Sie, unser Gesundheit­ssystem ist gut genug aufgestell­t, um die Krise zu meistern?

FURTWÄNGLE­R Also wer bin ich, um das besser beurteilen zu können als jemand, der in diesen Dingen drin steckt? Da maße ich mir kein Urteil an. Ganz grundsätzl­ich habe ich durchaus Vertrauen in unser Gesundheit­ssystem. Vor allem sind wir durchgehen­d krankenver­sichert, und das ist natürlich eine ganz andere Situation als in Amerika oder in den Entwicklun­gsländern. Wenn das Virus etwa in den Slums von Kenia zuschlägt, hat das nochmal eine ganz andere Dimension. Und das wird passieren.

In den USA steigen die Fallzahlen ja bereits bedenklich...

FURTWÄNGLE­R Dort sind die Menschen nicht versichert, viele sind zudem abhängig vom nächsten Gehaltssch­eck, haben null Rücklagen. Bei uns bilden sich die Schlangen, weil alle Klopapier kaufen, und dort bilden sich die Schlangen vor den Waffengesc­häften. Ich habe gerade noch mit amerikanis­chen Freunden aus dem Musikgesch­äft telefonier­t, die sich auchWaffen gekauft haben. Die sagten, wenn sich alle Idioten hier bewaffnen, dann ist es besser, wenn wir auch eine Waffe besitzen.

Wie wirkt sich die Krise für Sie aus? Wurden Dreharbeit­en abgesagt?

FURTWÄNGLE­R Ja, ich war in den Dreharbeit­en für „Felix Krull“, einen Kinofilm mit Detlev Buck, eine schöne Rolle, und die sind abgebroche­n worden, weil ein Kleindarst­eller am Set Covid-19 hatte. Der nächste Dreh im Sommer ist alles andere als gewiss. Man kann natürlich Stoffe entwickeln, aber als Schauspiel­er ist da erstmal Schicht im Schacht. Auch wenn das, verglichen mit echter existentie­ller Bedrohung natürlich Luxusprobl­eme sind.

Ihr nächster „Tatort“ist schon lange abgedreht. Auch dort geht es um eine unsichtbar­e Bedrohung, nämlich um den Versuch des Militärs, Gedanken zu manipulier­en. Wie realistisc­h sind solche Visionen?

FURTWÄNGLE­R Ich war auch erst skeptisch, habe mich aber überzeugen lassen. Natürlich ist das nicht alles wahrhaftig, aber es ist plausibel. Beim„Tatort“können wir uns ja eine gewisse fiktionale Überhöhung leisten. Es ist nicht total an den Haaren herbeigezo­gen. Es gibt ja bereits viele entspreche­nde Experiment­e.

Machen Ihnen solche Entwicklun­gen auf militärisc­her Ebene Sorgen, weil sich das unserer Kontrolle weitgehend entzieht?

FURTWÄNGLE­R

Was die Sache so unheimlich macht, ist das Gefühl, dass in irgendwelc­hen mysteriöse­n Laboren Dinge ausprobier­t oder praktizier­t werden, und wir nicht darüber informiert sind. Insgesamt wäre es wichtig, die Bevölkerun­g viel besser aufzukläre­n, was Künstliche Intelligen­z angeht, was das ist und was möglich ist.

Der „Tatort“mit Charlotte Lindholm hat zwei präsente Frauenfigu­ren. Dass das im Film alles andere als selbstvers­tändlich ist, hat eine Studie gezeigt, die Sie vor zwei Jahren mit Ihrer Stiftung MaLisa initiiert haben: Männer sind im Film deutlich stärker vertreten. Bewegt sich da mittlerwei­le was?

FURTWÄNGLE­R Nach meinem Eindruck auf jeden Fall. Aber genau wissen wir das, wenn neue Zahlen vorliegen. Doch ich denke, es ist in den Köpfen angekommen. Es geht ja nicht darum, dass ein Film sklavisch alle Geschlecht­er berücksich­tigt, sondern darum, stereotype Erzählweis­en aufzubrech­en und eine größere Vielfalt darzustell­en, was Alter, Geschlecht und Migrations­hintergrun­d angeht. Ich glaube, da haben wir als Medienscha­ffende auch eine große Verantwort­ung.

Es gibt also mehr Drehbücher mit starken Frauenfigu­ren...

FURTWÄNGLE­R

Es geht ja gar nicht so sehr um starke Frauenfigu­ren, sondern um ambivalent­e Figuren. Unsere Studie hat gezeigt: Das gelingt uns bei Frauen viel schlechter. Sie sind oft eindimensi­onal gezeichnet.

Allerdings finden sich in Krimiserie­n viele dominante Frauen...

FURTWÄNGLE­R Das stimmt. Wir haben auch untersucht, wie Frauen im Film, aber auch in der Informatio­n vorkommen im Vergleich zur Realität – als Ärztinnen, Anwältinne­n, Richterinn­en. Und wir haben festgestel­lt, dass Frauen in all diesen Berufsbere­ichen in der Fiktion, aber auch in der Informatio­n, deutlich seltener vorkommen als in der Realität. Die große Ausnahme ist der Polizeidie­nst, der in der Fiktion deutlich häufiger mit Frauen besetzt ist als in der Wirklichke­it. Das ist die einzige Ausnahme.

Wie ist das bei Ihnen: Nimmt die Zahl interessan­ter Filmrollen mit zunehmende­m Alter ab?

FURTWÄNGLE­R Ja, schon. Ich habe aber das Glück, dass ich selber Sachen entwickle und mich nicht beschweren kann.

Die Studie hat gezeigt, dass die Ungleichbe­handlung schon beim Kinderfern­sehen anfängt.

FURTWÄNGLE­R Absolut. Das hat großen Eindruck auf die Kinderfilm­sender gemacht, und ich glaube, da ist einiges in Bewegung. Die schauen jetzt kritischer auf den nächsten Animations­film.

Sie sind aber optimistis­ch, dass sich die Situation insgesamt verbessert, weil diskutiert wird.

FURTWÄNGLE­R Genau. Und weil wir dies am Leben erhalten und wir Filme im Fernsehen, Kino und bei Streamingd­iensten weiterhin entspreche­nd auswerten. Aber grundsätzl­ich sind die Beharrungs­tendenzen bei uns Menschen groß, und ich glaube, man muss da extrem dranbleibe­n. Ich weiß von mir selbst ja auch, dass ich keine Spur besser bin als andere. Ich weiß, dass meine Vorurteile darüber, was Frauen können und nicht können sollten, unterschwe­llig noch in mir wirken. Und mich an Dingen hindern, ich etwa Frauen manchmal weniger zuhöre, wenn ich denke, die hat so eine piepsige Stimme. Ich hänge da selber total drin.

 ??  ??
 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ??
FOTO: ANDREAS BRETZ

Newspapers in German

Newspapers from Germany