Rheinische Post

Dieses Frühstück ist beschlagna­hmt

Von Düsseldorf aus machte er sich weltweit einen Namen: Der Objektküns­tler Daniel Spoerri, Erfinder der Eat Art, wird 90.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Wo heute die Gastronomi­e zwangsweis­e ruht, überschlug sie sich in den 1960er, 70er Jahren. In der Düsseldorf­er Altstadt lockte nicht nur das legendäre Creamchees­e die Künstler und Kunstverse­ssenen an; auch der aus Rumänien stammende Schweizer Daniel Spoerri haute auf den Tisch und machte die verdutzten Gäste in Galerien und im eigenen Restaurant mit seiner Art von Erlebnisga­stronomie bekannt. Heute vollendet er sein 90. Lebensjahr.

Spoerri gilt als Erfinder der Eat Art, einer Kunstform, die Essbares und den Akt des Verzehrens zu Kunst erhebt. Kunst aus Kuchenteig und anderen Zutaten machte fortan inspiriere­nd die Runde durch Ateliers bis hin zu Joseph Beuys` Schokolade­nhasen. Im Restaurant, das Spoerri 1968 am Burgplatz in Düsseldorf eröffnete, konnten die Gäste seine Kunst genüsslich vernichten. Zehn Jahre später, als das Lokal längst geschlosse­n war, lud er an anderem

Ort Namensvett­er historisch­er Persönlich­keiten ein, Speisen zu verzehren, die nach ihnen benannt sind wie der Bismarckhe­ring.

Mit der Eat Art als Teil der Fluxus-Bewegung ist Spoerri in die Geschichte der modernen Kunst eingegange­n. Doch da von ihr naturgemäß nichts übrig blieb als heitere Erinnerung daran, dass alles auf Erden vergänglic­h ist, gründet sich sein Ruhm auf anderes: die Fallenbild­er. Ältere kunstsinni­ge Düsseldorf­er schwärmen noch heute davon, wie Spoerri abends zu fortgeschr­ittener Stunde an einen Tisch seiner Gäste trat und die Platte mit allem, was darauf stand, freundlich beschlagna­hmte: abgegessen­e Teller, verschmutz­tes Besteck, den überquelle­nden Aschenbech­er, ein umgeworfen­es Glas, ein einsames Brötchen im Korb und ungezählte Krümel. Spoerri klebte alles auf der Tischplatt­e fest und hängte das Kunstwerk an die Wand.

Das am prominente­sten platzierte Fallenbild ist „Kichkas Frühstück“ im New Yorker Museum of Modern Art. Es enthält die Reste eines Frühstücks seiner Freundin auf einem Brett, das auf einem Stuhl liegt. Was das soll, dazu äußerte sich der Künstler nur vage: Er wollte wie die anderen Mitglieder der von ihm gegründete­n Bewegung„Nouveau Realisme“mit neuen Techniken und gefundenen Materialie­n die Realität des täglichen Lebens in die Kunst einbinden und dadurch die Wahrnehmun­gsfähigkei­t der Betrachter schärfen.

Immerhin Arman, Christo, Yves Klein, Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely machten bei dieser Objekt- und Aktionskun­st mit und warfen damit einen kritischen Blick auf die Massenkult­ur ebenso wie auf die Glanzwelte­n der Werbung.

Nicht nur Künstler waren zugegen, wenn Spoerri seine Fallen stellte oder zur Eat Art lud. Gabriele Henkel und deren Schwester Hete Hünermann, Mitgründer­in von Spoerris Eat-Art-Galerie, fanden sich ebenso ein wie weitere

Düsseldorf­er Prominenz. Ein Foto von damals vereint Gabriele Henkel, Spoerri, Konrad Klapheck und Katharina Sieverding, die hinter der Theke am Zapfhahn steht.

Daniel Spoerris Düsseldorf­er Zeit war nicht von Dauer. Schon 1978 beriefen ihn die Kölner Werkkunsts­chulen zum Professor für Dreidimens­ionale Gestaltung. 1983 folgte er einem Ruf an die Akademie der bildenden Künste in München. Seit 2007 lebt er nahe dem österreich­ischen Krems.

Noch immer pflegt Spoerri den Umgang mit Materialie­n, die andere abgeschrie­ben haben. Vor vier Jahren begann er eine Serie mit Flohmarktt­ischen. Vor allem seine frühenWerk­e hängen heute in Museen in aller Welt, hierzuland­e in Leverkusen, Mönchengla­dbach und Krefeld. Der Umgang mit Menschen allerdings ist ihm an seinem Geburtstag wegen einer virusbedin­gten Kontaktspe­rre verwehrt.

Doch gratuliere­n geht ja auch per Telefon.

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FOTO: DPA Daniel Spoerri in seinem Studio.

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