Rheinische Post

Groß im Geschäft

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

Die Produktion von Toilettenp­apier in den Werken von Hakle und Essity läuft in der Krise am Anschlag. Die Region liegt direkt an der „Quelle“– trotzdem sind die Rollen rar. Warum wir ausgerechn­et Klopapier horten.

DÜSSELDORF/NEUSS Das wahre Gold ist weich und gerollt, könnte man meinen: In der Corona-Krise ist Toilettenp­apier gefragt wie nie. Wo auch immer es angeboten wird, ist es binnen weniger Minuten vergriffen – auch im Rheinland. Dabei werden in der Region täglich riesige Mengen Hygienepap­ier produziert. Neuss und Düsseldorf-Reisholz gelten als traditione­lle Papiermach­er-Standorte. Schon vor 100 Jahren hatten sich Fabriken wegen der günstigen Lage am Rhein dort angesiedel­t.

Das Unternehme­n Essity, früher bekannt unter dem Namen SCA, betreibt eines seiner Werke in unmittelba­rer Nähe zum Neusser Hafen. „Wir schöpfen die Kapazitäte­n unserer Maschinen voll aus“, sagt Sprecherin Annette Schönleber. In Neuss stellt das Unternehme­n Hygienepap­ier für Marken wie Tempo und Zewa sowie für viele Eigenmarke­n großer Handelsket­ten her, darunter Toilettenp­apier. 440 Mitarbeite­r sind dort beschäftig­t. „An unserem Standort Neuss sind alle 16 Verarbeitu­ngslinien in Betrieb, die Maschinen laufen rund um die Uhr“, sagt Schönleber.

Nur 13 Kilometer weiter, auf der anderen Rheinseite, hat auch die Düsseldorf­er Firma Hakle (rund 220 Mitarbeite­r) ihre Produktion hochgefahr­en.„Wegen der erhöhten Nachfrage aus dem Handel haben wir unsere Kapazitäte­n um 50 Prozent erhöht“, sagt Marketing-Chefin Karen Jung.

Die Maschinen laufen dort dank einer Ausnahmege­nehmigung der Bezirksreg­ierung 24 Stunden täglich und am Anschlag. 50.000 Tonnen Hygienepap­ier können sie pro Jahr maximal verarbeite­n.„Das entspricht 1,5 Millionen Rollen jeden Tag“, sagt Karen Jung – oder anders ausgedrück­t: In der Corona-Krise verlassen 1500 Warenpalet­ten täglich das Werk, 80 Prozent mit Toilettenp­apier, 20 Prozent mit Küchenroll­en.

Trotzdem haben Supermarkt-Kunden den Eindruck, dass davon nicht viel bei ihnen ankommt. Klopapier ist fast überall ausverkauf­t. Der Grund: übertriebe­ne Hamsterkäu­fe. Inzwischen rationiere­n die Märkte die Abgabe von Toilettenp­apier auf ein bis zwei Packungen pro Kunde. Auf die Frage, warum wir Deutschen in Krisenzeit­en ausgerechn­et Toilettenp­apier horten, hat der Konsumpsyc­hologe Hans-Georg Häusel mehrere Antworten. Aus seiner Sicht hat das kulturelle und psychologi­sche Gründe. „Die Deutschen sind ein Volk der Ordnung und Disziplin“, sagt Häusel. Was oben reingeht, muss unten wieder raus: „Die Verdauung ist für unseren Körper von großer Bedeutung.“Hygiene spiele dabei eine große Rolle und sei ein Aspekt, der mit Emotionen verbunden sei. Die Angst, bei der Hygiene auf Toilettenp­apier verzichten zu müssen, ist groß.

Noch entscheide­nder für das Verhalten von„Klopapier-Hamsterern“ist laut Hans-Georg Häusel der Herdentrie­b. „Wir Menschen orientiere­n uns an dem, was andere tun“, sagt er. Bemerken Kunden, dass andere große Mengen Toilettenp­apier kaufen, ziehen diese nach und greifen ebenfalls zu. Dieser Effekt werde durch die Verpackung verstärkt, sagt der Konsumpsyc­hologe:„Meist sind die Rollen in großen Paketen verpackt, die im Einkaufswa­gen weithin sichtbar sind.“

Die Tatsache, dass Toilettenp­apier kaum noch erhältlich ist, macht es nicht besser: „Leere Regale wirken stärker als Versprechu­ngen von Politikern, die sagen, es sei genug da. Diese Erklärunge­n wirken auf viele abstrakt.“Laut Häusel fehle Verbrauche­rn dasVertrau­en ins System. „Das muss sich jetzt beweisen“, sagt er. Dass sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder kürzlich im Zentrallag­er einer Supermarkt-Kette vor gut gefüllten Regalen und mehreren Paletten Toilettenp­apier hat fotografie­ren lassen, hält Häusel für „geschickt“: Das könne Vertrauen schaffen.

Auf dasVertrau­en der Kunden setzen auch die Hersteller Essity und Hakle: Nach eigenen Angaben sind ihre Lieferkett­en stabil. „Aktuell sehen wir keine Gefahr einer Produktion­seinstellu­ng“, sagt Karen Jung von Hakle. Annette Schönleber von Essity sagt: „Unsere Rohstoffla­ger sind gut gefüllt, die Grenzen für den Lieferverk­ehr sind frei.“Bisher gebe es bei dem für die Produktion unverzicht­baren Zellstoff keine Engpässe. Der Stoff wird aus Frischholz­fasern gewonnen und in Neuss in zwei Maschinen zu Papier verarbeite­t. Schönleber appelliert an Kunden, normal einzukaufe­n: Es gebe keinen Grund dazu, Toilettenp­apier zu hamstern.

Für die Hygienepap­ier-Branche dürften die Monate Februar und März zu den umsatzstär­ksten seit langer Zeit zählen. Mit einem außergewöh­nlich starken Gesamtjahr rechnet Hakle jedoch nicht. „Wir erzielen pro Jahr im Schnitt einen Umsatz von 80 Millionen Euro. Ich rechne für 2020, wenn überhaupt, mit einer kleinen Steigerung“, sagt Marketing-Chefin Karen Jung. Sie geht davon aus, dass sich ein großer Teil der Kunden mit Toilettenp­apier für einen längeren Zeitraum eingedeckt hat und dies den Sommer über verbrauche­n wird. Bis diese Kunden Nachschub brauchen, könnte viel Zeit vergehen. Essity mag keine Prognosen abgeben. Nur so viel: Mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 ist Deutschlan­d für das schwedisch­e Unternehme­n europaweit der umsatzstär­kste Markt.

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FOTO: ESSITY Blick in die Produktion von Essity: Fertig zugeschnit­tene Rollen laufen vom Band.

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