Die Renaissance der großen Koalition
In der Krise setzen die Bürger auf Bewährtes. Die Umfragewerte von CDU/CSU und SPD steigen. Am Ende profitiert aber die Union.
BERLIN Die ungewollte und ungeliebte große Koalition gewinnt in der Corona-Krise erheblich an Zuspruch und Ansehen in der Bevölkerung. Eine alte Gesetzmäßigkeit ist allerdings nicht aufgehoben: In den Umfragen profitiert die Union, während sich dieWerte der Sozialdemokraten kaum bewegen. „Es ist gut, dass die SPD jetzt mitregiert, und sie macht das durchsetzungsstark und effizient. Olaf Scholz zeigt, wie Führung in schweren Zeiten geht. Merkel und Scholz sind ein starkes Team“, sagt derVorsitzende des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. So ähnlich äußern sich viele Sozialdemokraten dieser Tage und klingen dabei ein bisschen, als hätten sie zumindest mit dieser amtierenden Groko ihren Frieden gemacht.
Allerdings wenden sich die Bürger in der Krise der Kanzlerpartei zu. Alle großen Umfrageinstitute sahen die Union in der vergangenen Woche wieder um 30 Prozent. Die Sozialdemokraten hingegen verharren deutlich unter 20 Prozent. In der Finanzkrise vor gut zehn Jahren war das nicht viel anders, auch wenn die Sozialdemokraten damals noch Zuspruchswerte aufwiesen, über die sie heute jubeln würden.
SPD-Chef NorbertWalter-Borjans verweist auf die Rolle seiner Partei in der Krise. „Natürlich achten wir ganz besonders auf die Folgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle, die am wenigsten über starke Interessenvertretungen verfügen – bei der medizinischen Versorgung genauso wie bei der Gefährdung der Arbeitsplätze.“Das schweiße die Partei spürbar zusammen, betont Walter-Borjans. Er sei überzeugt davon, dass auch die Bürgerinnen und Bürger das erkennen. Jetzt geht es aber nicht um Umfragewerte, sondern darum, gemeinsam eine Bedrohung bisher unbekannten Ausmaßes abzuwenden.“
Die Union ist zwar längst nicht zu alter Stärke zurückgekehrt. Dennoch vermitteln die aktuellen Umfragewerte den Eindruck, als habe Angela Merkel überhaupt nicht angekündigt, im kommenden Jahr nicht wieder anzutreten, als tobe in der CDU kein Machtkampf, als gebe es mit dem angekündigten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer gerade kein Machtvakuum in der Führungsspitze.
Angesichts der Erholung der Umfragewerte ist für die Union auch der Druck weg, ihre Machtfrage schnell zu klären. Der wegen der Ausbreitung des Coronavirus abgesagte Parteitag wird möglicherweise nicht mehr vor der Sommerpause stattfinden, auch weil parteiinterne Debatten angesichts der Größe der Krise unangemessen erscheinen. „Wir leben in schweren Zeiten. Alle politisch Verantwortlichen sind rund um die Uhr damit beschäftigt, die Corona-Krise zu bewältigen“, sagt der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans. „Es gibt für uns also drängendere Fragen als die, wer in Zukunft die CDU führen wird“, betont er. Er verweist auf die gewählte Parteivorsitzende, die ihren Job gut mache. Deshalb bestehe aus seiner Sicht keine Hektik, den Bundesparteitag vorzuverlegen. „Ich bin daher der Meinung, der Parteitag sollte – wie ursprünglich geplant – im Dezember stattfinden, und dort sollten wir dann unseren neuen Vorsitzenden wählen.“
Die Frage, wann die CDU ihren neuen Parteichef wählt, dürfte auch an diesem Montag im Präsidium, dem höchsten Gremium der Partei, eine Rolle spielen. Eine endgültige Entscheidung zum Parteitag kann nicht fallen. Denn dafür ist der Parteivorstand zuständig, der an diesem Montag gar nicht zusammenkommt. „Die Frage, wer die CDU führt, steht aktuell nicht im Vordergrund. Deshalb gibt es auch keine Notwendigkeit, jetzt schon zu entscheiden, ob ein vorgezogener Parteitag nötig ist“, meint NRW-Landesgruppenchef Günter Krings.
Bei der Entscheidung über den Parteitag spielt nicht nur die Frage eine Rolle, wann sich wieder mehr als 1000 Delegierte sowie Hunderte von Journalisten und Gästen versammeln dürfen. Auch das Thema Chancengerechtigkeit fließt in die Abwägung ein. Als NRW-Ministerpräsident ist Armin Laschet der einzige der Bewerber, der in der Krise als Manager auch sichtbar ist – mit gleichermaßen hohen Chancen und Risiken, was seine politische Zukunft betrifft. Seine Konkurrenten, der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der Außenpolitiker Norbert Röttgen, können sich mit Ideen und Konzepten einbringen. Aber auch für sie gilt, dass in einer solchen Krise die Regierungen in Bund und Ländern gefragt sind.
Wer in der Krise die größteVerantwortung trägt, kann gleichermaßen dauerhaft politisch profitieren wie Schaden nehmen. Das gilt für Parteien wie für Einzelpersonen.