Rheinische Post

Das Virus überlebt drei Tage auf Flächen

Die Desinfekti­on von Türklinken ist sinnvoll. Im Supermarkt sollte man lernen, Menschen auszuweich­en.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Eine der zentralen Fragen dieser Tage lautet: Wenn jetzt doch alle Menschen seit mehreren Wochen gebetsmühl­enartig gelernt haben, dass sie Abstand halten sollten – warum kommt es dann trotzdem zu einer exponentie­ll wachsenden Zahl von Neuinfekti­onen in Deutschlan­d?

Darauf gibt es mehrere plausible Antworten. Ganz sicher ist, dass es eine hohe Zahl von Infizierte­n gibt, die von ihrer Infektion nichts wissen, aber trotzdem andere anstecken. Deshalb fordern Experten, dass die Tests deutlich ausgedehnt werden müssen, damit sich die Dunkelziff­er besser einschätze­n lässt. Sicher ist aber auch, dass viele Menschen bei Nahkontakt­en den Abstand aus Gewohnheit deutlich unterschre­iten. Und dann gibt es auch unwahrsche­inliche, aber dennoch nicht unmögliche Infektions­möglichkei­ten – etwa über Flächen.

Wie kommt das Virus vom einen zum anderen Menschen?

Die langläufig­e Meinung, dass es ausschließ­lich das Husten oder Niesen ist, das Viren überträgt, ist längst überholt. Mittlerwei­le weiß man, dass es auch beim Sprechen und sogar beim Atmen übertragen wird. Deshalb ist der Mindestabs­tand von anderthalb oder besser zwei Metern so wichtig. So weit können Tröpfchen, in die die Viren eingehüllt sind, nicht fliegen; das gilt auch für die noch feineren Aerosole.

Von wem geht derzeit die größte Gefahr aus?

Von jüngeren, sorglosen Menschen, die selbst infiziert sind und Viren übertragen, aber das nicht merken, weil sie aufgrund ihres kompetente­n Immunsyste­ms keine Symptome spüren. Die derzeitige­n gesetzlich­en Regelungen verhindern nicht, dass diese infizierte­n, aber asymptomat­ischen Jungen in häufig wechselnde­n Zweierkont­akten fortwähren­d andere Menschen anstecken können. Kranke Menschen zumal mit Fieber gehen derzeit hingegen kaum auf die Straße.

Wo ist die Wahrschein­lichkeit einer Infektion besonders hoch?

Im längeren Nahkontakt von weniger als anderthalb Metern Entfernung.

Wie hoch ist sie im Supermarkt?

Sie sollte eigentlich gering sein, doch sobald die Leute die Karawane verlassen und ihre Einkaufswa­gen irgendwo stehenlass­en, um mal eben zurück zum Obst oder zum Mehl zu gehen, kommt es dort oder auf dem Weg dorthin immer wieder zu Nahkontakt­en. Darauf achten viele Menschen eindeutig zu wenig. Und die Gefahr, dass es dabei zur Infektion kommt, ist möglicherw­eise größer als gedacht. Für eine Infektion ist zwar auch die Dauer des Kontakts, aber auch die Intensität relevant. Jemand, der lauthals über den Zustand der Äpfel schimpft, der überträgt – vorausgese­tzt, er ist infiziert – Viren in großer Zahl in die direkte Umgebung.

Wie sieht es im Treppenhau­s des Mietshause­s aus?

Ja, dort besteht sie auch. Die Gefahr wird fortwähren­d unterschät­zt.

Auf dem Bürgerstei­g oder dem Feldwegkom­meneinemzw­eiMenschen entgegen, die nebeneinan­der gehen. Bei der unmittelba­ren Begegnung würde der Soll-Abstand deutlich unterschri­tten. Was soll man tun?

Die Gefahr, dass Viren zumal bei Wind durch die Luft direkt in unseren Hals fliegen, ist äußerst gering, aber trotzdem nicht auszuschli­eßen. Das gilt auch für Jogger, die schwer atmen. Über solche Menschen, die keinen Abstand wahren, darf man irritiert sein. Man kann sie ansprechen und fragen, warum sie nicht hintereina­nder gehen. Man kann aber auch die Kunst des Ausweichen­s üben und ihnen den Rücken zuwenden, bis die Leute vorbeigega­ngen sind. Das ist eine virologisc­h perfekte und kommunikat­ionstechni­sch eindeutige Botschaft.

Ist es sinnvoll, sich Atemschutz­masken zu nähen, sofern man keine richtigen besitzt?

Ja, das ist es. Wichtig ist es aber zu wissen, dass man damit vor allem andere schützt, weniger sich selbst. Derzeit gibt es wie gesagt viele Menschen, die nicht wissen, dass sie selbst infiziert sind. Deshalb ist das Tragen einer Atemschutz­maske auch Marke Eigenbau hilfreich, denn damit verbleiben die allermeist­en Tröpfchen sozusagen im eigenen Strafraum. Man muss sich das vorstellen wie mit Tönen aus einer Trompete. Ein Schalldämp­fer in ihrem Trichter oder eine Acrylglass­cheibe direkt vor dem Instrument senkt den sogenannte­n Schalldruc­k deutlich stärker, als wenn sich der

Hörer die Ohren zuhält oder eine Scheibe vors Ohr hält.

Wie lange halten sich Coronavire­n auf Oberfläche­n?

Das hängt vom Material und von einigen äußeren Faktoren ab. Mehrere unabhängig­e Studien sagen: Es können mehrere Stunden bis zu drei Tagen sein, dass sich das Sars-CoV-2 etwa auf Türklinken, Haltegriff­en in der U-Bahn, auf Möbeloberf­lächen oder aufVerpack­ungen hält. Das gilt auch für Lebensmitt­el, Obst und Gemüse. Faustregel: Je glatter und härter die Oberfläche, desto länger die Haltbarkei­t des Virus. Sogenannte Schmierinf­ektionen werden stets als unwahrsche­inlich etikettier­t, aber es mangelt an Studien, die diese Unwahrsche­inlichkeit belegen. Tipp: Obst kann man lange unter sehr heißem Wasser aus dem Wasserkran abspülen (mindestens 65 Grad), das vernichtet einen Großteil der Viren. Brötchen kann man in die Mikrowelle oder den Backofen legen, das vernichtet auch das letzte verblieben­e Virus. Kälte dagegen ist wirkungslo­s.

Ist es möglich, dass man sich an Lebensmitt­eln infiziert?

Ja, weil es niemand ausschließ­en kann, dass jemand sie vorher angeatmet oder mit kontaminie­rten Fingern berührt hat. Der Kontakt vollzieht sich dann über die Hände, weswegen man sie mit Seife waschen sollte. Trotzdem ist es sehr unwahrsche­inlich, dass man sich beispielsw­eise beim Bäcker am Brötchen ansteckt, zumal dort hohe hygienisch­e Standards herrschen.

Kann man sich an Geldschein­en und Münzen anstecken?

René Gottschalk, Leiter des Gesundheit­samtes der Stadt Frankfurt und selbst Infektiolo­ge, sagt: „Es gibt Erreger, die über Oberfläche­n, also auch über Geldschein­e, sehr leicht übertragen werden und Krankheite­n auslösen können.“Ein Beispiel sei das Norovirus. Für Grippevire­n, aber auch für Coronavire­n gelte dies jedoch ausdrückli­ch nicht. Dabei sei es auch völlig egal, wie lange solche Viren auf diesen Oberfläche­n überleben können. Entscheide­nd sei, dass darüber ganz offensicht­lich keine Übertragun­g stattfinde. „Wäre das so, dann hätten wir inzwischen schon ganz andere Fallzahlen“, sagt der Experte. Das Gleiche gelte für Münzen.

Wie sollte man nach dem Einkauf mit Verpackung­en verfahren?

Man kann sie unbesorgt ins Regal stellen, wenn man den Inhalt nicht sofort benötigt, sondern erst in ein, zwei Wochen. Wenn man sie allerdings direkt auspackt, sollte man sich gleich danach die Hände waschen. Man kann Verpackung­en aber auch mit Seifenlaug­e abwaschen.

Wer seine Hände nicht waschen kann – wie kann er sie desinfizie­ren?

Dazu gibt es bestimmte Tücher und Lotionen. Wichtig ist, dass die den Aufdruck „begrenzt viruzid“enthalten – nur dann zerstören sie das Sars-CoV-2-Virus.

Ist das Desinfizie­ren von Gegenständ­en und Flächen sinnvoll?

Wer sich beim Betreten seines Hauses oder seiner Wohnung als erstes die Hände wäscht, muss nicht auch noch alles desinfizie­ren. Das ist überflüssi­g. Wer im eigenen Haushalt gelegentli­ch den äußeren Türknauf und die Türklinken desinfizie­rt, macht aber nichts falsch.

Gibt es mangels vorhandene­r Desinfekti­onsmittel Alternativ­en?

Ja, hochgradig alkoholisc­he Lösungen, etwa Franzbrann­twein oder Melissenge­ist, den viele Menschen noch im Haushalt haben.Wie der Infektiolo­ge Ojan Assadian sagt, sollte man die Haut damit gar nicht mal so oft einreiben, weil sie dann mangels Rückfettun­g Schaden nimmt. Aber zur Flächendes­infektion können diese alkoholisc­hen Lösungen hilfreich sein. Allerdings sollte man darauf achten, dass sie nicht das Material, das sie desinfizie­ren sollen, zerstören oder durch Schlieren verunreini­gen.

Warum desinfizie­ren die Südkoreane­r und Franzosen Straßen und Bürgerstei­ge?

Das wissen nur sie selbst, es sind reine Beruhigung­smaßnahmen für die Bevölkerun­g, pure Kosmetik. Melanie Brinkmann,Virologin am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung, nennt es „totalen Unsinn“. Von Straßen können keine Viren in die Luft gelangen.

Und wie ist das in U-Bahnen, Straßenbah­nen und Bussen?

Hier sind Maßnahmen zur Desinfekti­on viel sinnvoller, weil sehr viele Menschen im Laufe eines Tages etwa mit Stangen oder Haltegriff­en in Berührung kommen. Und da das Sars-CoV-2 mehrere Tage überleben kann, käme da im schlimmste­n Fall einiges anViruslas­t zusammen. Anders sieht das Matthias Pesch, Sprecher der Kölner Verkehrsbe­triebe: „Die Züge zu desinfizie­ren ist nicht wirksam, sobald die ersten Fahrgäste drin sind, hat sich das erledigt.“

Viele Menschen tragen jetzt Handschuhe. Helfen sie wirklich?

Ja, auf Handschuhe­n halten sich Viren nicht so gut wie auf Händen. Der Vorteil von Handschuhe­n liegt auch darin, dass man sich mit ihnen nicht ins Gesicht packt. Man sollte übrigens mehrere Paare abwechseln­d in Gebrauch haben und sie auch regelmäßig waschen.

Händewasch­en ist das beste Mittel gegen das Coronaviru­s. Und wie heiß sollte man die Textilien waschen, die man trägt?

Seife auch in Waschmitte­ln zerstört das Coronaviru­s immer, weswegen in der Waschmasch­ine keine höheren Temperatur­en nötig sind, da bewirken es die Tenside imWaschmit­tel, dass die Virushülle zerstört wird.

Muss man sie in die Heißmangel bringen?

Das ist überflüssi­g.

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FOTOS: DPA, ISTOCK | GRAFIK: ZÖRNER

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