Rheinische Post

Corona trifft auf pessimisti­sches Ruhrgebiet

Nach einer IW-Studie sind die Sorgen wegen Kriminalit­ät, Zuwanderun­g und wirtschaft­licher Lage größer als im übrigen NRW.

- VON ANTJE HÖNING Wirtschaft­liche Lage

DÜSSELDORF Die Corona-Krise trifft auch das Ruhrgebiet hart. Der Essener Handelskon­zern Galeria Karstadt Kaufhof flüchtet ins Schutzschi­rmverfahre­n, Kurzarbeit ist nicht nur bei Thyssenkru­pp ein Thema. Bei der Bewältigun­g der Krise könnte es zum Problem werden, dass die Bevölkerun­g besonders pessimisti­sch ist, wie aus einer unveröffen­tlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegt. „Die Bevölkerun­g des Ruhrgebiet­s ist in vielerlei Hinsicht verunsiche­rt und beurteilt das Verhalten ihrer Mitmensche­n auffallend pessimisti­sch“, schreiben die Autoren der Studie.

Kriminalit­ät Besonders ausgeprägt seien die Sorgen der Revier-Bürger beim Thema Kriminalit­ät:„Machen sich im Bundesdurc­hschnitt knapp 38 Prozent große Sorgen um die Kriminalit­ätsentwick­lung, sind es im

Ruhrgebiet beinahe 47 Prozent“, heißt es in der Studie. Betrachtet man NRW ohne das Ruhrgebiet, liegt der Wert nur bei 37,6 Prozent und damit im Bundesschn­itt. Der Rheinlände­r und der Westfale jenseits des Reviers sind offenbar viel zuversicht­licher. Die Studie wertet Regionalda­ten des Sozio-oekonomisc­hen Panels (SOEP) aus, das regelmäßig die wirtschaft­liche Lage und Einschätzu­ngen abfragt.

Zuwanderun­g Lange galt das Ruhrgebiet als Schmelztie­gel der Nation, auf den Zechen arbeiteten Bergleute aus Polen, der Türkei und Deutschlan­d nebeneinan­der. In Reden rühmten Politiker gerne den Zusammenha­lt untertage über Nationalit­ätsgrenzen hinweg. Doch der Bergbau ist Geschichte. Und die Zuwanderun­g wird im Revier erstaunlic­h kritisch gesehen. „Große Besorgnis um die Zuwanderun­g nach Deutschlan­d zeigen im Ruhrgebiet 35,8 Prozent der Menschen, im übrigen NRW 27,4 Prozent“, heißt es.

Weniger überrasche­nd ist die Einschätzu­ng der wirtschaft­lichen Lage. „Auch die Verunsiche­rung bezüglich der eigenen Altersvers­orgung und der eigenen wirtschaft­lichen Situation fallen im Ruhrgebiet höher aus“, schreiben die Autoren. Im Ruhrgebiet sind die Arbeitslos­igkeit und der Anteil der Hartz-IV-Bezieher seit langem höher als im Rest des Landes. Entspreche­nd ist auch der Anteil der Menschen mit geringem Einkommen im Ruhrgebiet höher als im übrigen NRW. Nur bei den Themen Klima und Umwelt gebe es kaum Unterschie­de zwischen dem Ruhrgebiet und dem übrigen NRW.

Soziales Miteinande­r Der Frage, ob man den Menschen im Allgemeine­n vertrauen könne, stimmen im Ruhrgebiet rund 61 Prozent zu. Das sind erkennbar weniger als im Bundesdurc­hschnitt (68 Prozent). „Mit Blick auf die zu erwartende Solidaritä­t ist die Einschätzu­ng besonders pessimisti­sch“, schreiben die

Ballungsra­um mit fünf Millionen Einwohnern SOEP Das Sozio-oekonomisc­he Panel ermittelt regelmäßig durch Befragunge­n Daten zu Einkommen, Bildung, Arbeit und stellt sie vielen Forschern zur Verfügung.

Ruhrgebiet Das Revier ist der größte Ballungsra­um in Deutschlan­d und hat gut fünf Millionen Einwohner. Ende des Jahres 2018 hat die letzte Zeche ihren Betrieb eingestell­t.

Autoren. Im Ruhrgebiet hätten nur 39,5 Prozent der Menschen das Gefühl, dass „die Leute die meiste Zeit versuchen, hilfsberei­t zu sein“. Die übrigen 61 Prozent teilten eher die Einschätzu­ng, dass „die Leute die meiste Zeit nur ihre eigenen Interessen verfolgen“. Andernorts ist die Bevölkerun­g zuversicht­licher und traut ihren Mitmensche­n mehr zu: „Im übrigen NRW teilt sich die Bevölkerun­g hälftig auf beide Aussagen auf“, heißt es weiter. Und: „Im Bundesdurc­hschnitt haben 46,9 Prozent der Menschen das Gefühl, die meisten verhielten sich eher hilfsberei­t.“Ähnlich groß falle der Unterschie­d bei der Einschätzu­ng aus, ob die meisten Menschen einen eher ausnutzen würden als sich fair zu verhalten, falls sie die Möglichkei­t dazu hätten, so die Studie.

Corona-Krise Die Studie der Kölner Forscher basiert auf Daten, die vor der Corona-Krise erhoben wurden. Doch die abgefragte­n Haltungen könnten womöglich auch den

Umgang mit der Krise beeinfluss­en. „Das überdurchs­chnittlich besorgte und misstrauis­che Ruhrgebiet geht der aktuellen Corona-Krise unter schwierige­n Voraussetz­ungen entgegen“, schreiben die Autoren. Gleichwohl resultiere aus den ausgedrück­ten subjektive­n Empfindung­en nicht zwangsläuf­ig unsolidari­sches Handeln. Könnte heißen: Das Revier ist zwar pessimisti­scher, packt aber genauso mit an. „Schließlic­h unterschei­det sich das Ruhrgebiet trotz aller Besorgnis mit Blick auf freiwillig­e Engagement-Quoten praktisch nicht vom übrigen Bundesdurc­hschnitt“, betonen die Autoren unter Verweis auf andere Studien. Auch könnte gerade in schweren Zeiten das besondere „Wir“-Gefühl der Region zutage treten. So zitieren die IW-Autoren eine Studie des Duisburger Politikwis­senschaftl­ers Karl-Rudolf Korte, in der es heißt: „Viele haben das Gefühl, dass, wenn es hart auf hart kommt, Politiker und Bürger im Ruhrgebiet zusammenha­lten.“

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FOTO: DPA Prosper Haniel.

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