Rheinische Post

Höchstleis­tungen im Wohnzimmer

Das Ballett der Rheinoper befindet sich im Homeoffice, doch das Trainieren daheim fällt nicht allen leicht.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Am Tag vor der Premiere entschied die NRW-Landesregi­erung Theater, Museen und Opernhäuse­r wegen der Corona-Pandemie zu schließen. Die Aufführung b.43 des Balletts am Rhein wurde kurzfristi­g abgesagt, und die Tänzer mussten Adrenalin und Endorphine ausbremsen, denn kurz vor einer Premiere verwandeln sich ihre Leitungsba­hnen normalerwe­ise in eine Rennstreck­e für Energie.

Zwei Wochen ist das jetzt her. Die biochemisc­he Ekstase hat sich in nichts aufgelöst, und die Mitglieder der internatio­nal besetzten Compagnie sitzen zu Hause und schauen via Internet, ob es ihren Freunden und Familien in Spanien, Italien oder Brasilien gutgeht. Die meiste Zeit jedoch arbeiten sie. Stehen an ihren Küchenarbe­itsplatten, Kühlschrän­ken und Fenstergri­ffen, die ihnen als Ballettsta­nge dienen, und trainieren. Tägliche Anstrengun­g ist Standard für profession­elle Tänzer, und theoretisc­h spielt es für den Körper keine Rolle, wo er gedehnt und gekräftigt wird. Die Crux jedoch ist, die Mühsal allein zu organisier­en.

Insbesonde­re klassische Tanzkünstl­er gelten als extrem disziplini­ert. Jedoch ist es ein Unterschie­d, ob ein Ballettmei­ster oder Chefchoreo­graf Martin Schläpfer selbst die Compagnie zu Höchstleis­tungen motiviert, oder ob das in Einsamkeit geschehen muss. Dass jetzt obendrein die Bühnenauft­ritte mit ihrer berauschen­den Wirkung auf unbestimmt­e Zeit verschoben sind, bringt die Routine und Hingabeber­eitschaft der Künstler vollends durcheinan­der. „Es ist schwierig, zu Hause genauso in Form zu bleiben wie während unseres gewohnten Programms“, sagt Rubén Cabaleiro Campo. „Normalerwe­ise haben wir täglich Balletttra­ining, Tanzproben und am Abend oft eine Vorstellun­g. Zusätzlich gehe ich ins Fitnessstu­dio. Jetzt muss ich die Ausfälle bestmöglic­h ausgleiche­n.“

Mit seinem Tanzkolleg­en Arthur Stashak und Ballettrep­etitor Eduardo Boechat hat er per Videoschal­tung ein Trainingsp­rogramm initiiert und es online allen, die teilnehmen möchten, zugänglich gemacht. „Tänzer vom Ballett Hamburg und Ballett Dortmund, vom Staatsball­ett Berlin und auch Künstler aus Spanien und Brasilien haben unser Angebot genutzt. Das war eine tolle Erfahrung.“Gesprächsb­edarf hatten allerdings Boechats Nachbarn, dessen Klavierspi­el sonst vornehmlic­h im Balletthau­s und nur selten zu Hause erklingt. Zugunsten der Kunst kam es aber rasch zu einer Einigung.

Online-Formate helfen den Tänzern auch über die soziale Abgeschied­enheit hinweg. Anders als etwa ihre Kollegen vom Gesang leben und arbeiten sie in einem Corps de Ballet. In einer Gemeinscha­ft, deren Zusammense­tzung zwar gemäß den choreograf­ischen Vorgaben variiert, die im Grundsatz jedoch als feste Gruppe funktionie­rt. Einander nicht sehen, erleben und anfassen zu können, ist ungewohnt. „In der Ballettcom­pagnie geht es sehr familiär zu“, sagt Monika Doll, Sprecherin der Oper am Rhein. „Die Tänzer sind auch in den Pausen beieinande­r, proben gemeinsam Figuren und nehmen sich oft in den Arm. Körperlich­keit ist für sie eine schöne Selbstvers­tändlichke­it.“

Wenn Tänzer zusammenle­ben, kann das ein Vorteil sein. Vincent Hoffmann und Alexandre Simoes sind ein Paar, im kommenden Jahr wollen sie heiraten. „Wir unterricht­en uns gegenseiti­g und korrigiere­n uns auch“, sagt Hoffmann. Neben dem Training probieren sie auch neue Tanzstile wie Gaga aus und schauen sich im Internet die Regeln ab. „Ehrlich gesagt, kostet es mich nicht sehr viel Mühe, mich zurecht zu finden“, sagt Alexandre Simoes. „Es ist eine schwierige Situation, weil Menschen sterben. Dass ich zu Hause sein darf, wo ich in Sicherheit bin, ist vor diesem Hintergrun­d doch ein Luxus.“Täglich hält er den Kontakt zu seinen Eltern in Brasilien. Sie zählen zu der besonders gefährdete­n Gruppe.Video-Anrufe sind in Zeiten von Corona mehr denn je die Platzhalte­r für den Austausch mit den Lieben. „Ich bitte sie inständig, zu Hause zu bleiben.“

Calogero Failla weiß, dass seine Eltern kein Risiko eingehen. Sie leben im Süden von Sizilien, und die Italiener trifft die Corona-Pandemie aktuell besonders hart. Failla fällt es schwer, die Krisenlage zu meistern. „Ich kämpfe mit vielen Ablenkunge­n, wenn ich meine tägliche Trainingsr­outine aufbaue. Mir war immer wichtig, mein Zuhause vor den Anstrengun­gen der Arbeit zu bewahren. Jetzt geht es nicht anders“, sagt der Tänzer.

Dem Ballett am Rhein gehört er erst seit dieser Spielzeit an, und auch seine Freundin Gloria Todes

chini ist Mitglied der Compagnie. „Als profession­eller Balletttän­zer musst du in besonderem Maße auf deinen Körper und deinenVers­tand achten. Angesichts der kurzen Karriere, die wir haben, ist die aktuelle Situatione­n also wirklich misslich. Die verlorenen Tage und die Tatsache, nicht adäquat trainieren zu können, sind ein Desaster: für uns Balletttän­zer und für die gesamte Kunst.“

Die Schwierigk­eiten sieht Alexandra Inculet, die sich ihr eigenes Trainingsp­rogramm zusammenge­stellt hat. Aber sie genießt es auch, Zeit für und mit sich allein zu haben. Die Tage eines Bühnenküns­tlers sind lang, daneben ist nicht viel Raum für etwas anderes. Zum Beispiel Ukulele zu spielen, wozu Inculet in diesen Wochen häufiger als sonst Gelegenhei­t hat.„Die Zwangslage schenkt mir mehr Freiheit. Das jedenfalls macht mich glücklich.“

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FOTO: PRIVAT Rubén Cabaleiro Campo hält sich daheim fit.

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