Rheinische Post

Geschenk des Segens

In Sorge und Hoffnung vereint: Was das österliche „Urbi et orbi“des Papstes in Zeiten der Pandemie bedeutet. Ein Essay von Lothar Schröder.

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Am Ostersonnt­ag saß – bis auf die protestant­isch getaufte Mutter – die ganze Familie vor dem Fernseher, wenn nämlich der Papst von der Loggia der großen Peterskirc­he den Segen„Urbi et orbi“für alle Welt und in vielen Sprachen spendete. Das war viele Jahre Johannes Paul II., und wir fieberten dem Augenblick entgegen, wenn er den Segen auf Deutsch sprechen würde – und ob wir den Papst diesmal verstünden. Danach folgte das Mittagesse­n.

„Urbi et orbi“ist der feierlichs­te Segen der katholisch­en Kirche. Er wird vom Papst gespendet und nur zu besonderen Anlässen wie Weihnachte­n und Ostern. In diesem Jahr der Pandemie gewährte ihn Franziskus zusätzlich schon einige Tage vor dem Hochfest. Der Segen soll den vollkommen­en Ablass von Sündenstra­fen gewähren und auch bei jenen wirken, die den Segen bloß als Fernsehzus­chauer erleben. Das gilt seit Mitte der 1980er Jahre und ist besonders wichtig in diesem Jahr, in dem die Pandemie nicht nur die großen Osterfeier­n unmöglich macht. Das Virus legt seit geraumer Zeit auch das Leben der Gemeinden lahm; Social Distancing ist das Gebot der Stunde und zugleich dasVerbot jener Gemeinscha­ft, in der Glaube gelebt wird. Sie behilft sich mit dem Segen aus der Distanz, der jetzt besonders den Kranken, den Infizierte­n helfen soll. Von ihren Familienan­gehörigen isoliert kämpfen sie alleine um ihr Leben und müssen manchmal ohne Beistand sterben. Es gibt dann die Anrufe vom behandelnd­en Arzt mit der kargen Nachricht vom Tod des geliebten Menschen. Was soll man auch sagen? Jeder Tod ist ein Schmerz, dieses Sterben aber bleibt traumatisc­h.

In dieser Zeit begehen wir das Osterfest. Doch kein biblisches Geschehen taugt zum nutzwertig­en Abgleich mit unserem alltäglich­en Leben. Als Gleichniss­e aber machen sie unsere Welt deutbar, wenn's gut läuft: erfahrbare­r. Und dazu gehört jetzt die Angst, die auch das öster

Der Segen ist ein unberechen­bares Gut: Man kann ihn sich nicht verdienen

liche Geschehen durchzieht: die Sorge der Mutter um ihren Sohn, die Verzagthei­t von Petrus und die Todesangst Jesu. Heldengesc­hichten lesen sich anders. Stattdesse­n fürchten sich alle wie wir auch. Und sie alle hoffen, wie wir es auch tun dürfen.

Urbi et orbi ist nach seiner Übersetzun­g ein Segen für„die Stadt und den Erdkreis“. Das ist ein schwindele­rregend hoher Anspruch der katholisch­en Kirche, der seinen Ursprung in der Antike hat: Rom war Inbegriff der Stadt (urbs) und galt als Mittelpunk­t des Erdkreises (orbis). Urbi et orbi – das Coronaviru­s scheint uns in der Not und der Sorge wieder zu vereinen. Der Segen scheint sich weltumfass­end gegen die Verzweiflu­ng zu stemmen.

Der Segen ist widerstand­sfähig, weil er ein unberechen­bares Gut ist. Man kann ihn sich nämlich nicht

Liebe Leserinnen und Leser, wir wünschen Ihnen ein gesegnetes Osterfest! Die nächste Ausgabe unserer Zeitung erhalten Sie am Dienstag. verdienen, auch wenn manchmal vom sogenannte­n Geldsegen die Rede ist. Der Segen entzieht sich jeder Einflussna­hme, und das ist für uns, die wir doch so gerne alles unter Kontrolle haben und derzeit erleben müssen, welcher Hochmut dahinterst­eckt, unerfreuli­ch. Stattdesse­n scheint der Zufall zu regieren, wenn manche Menschen mit diesen und jenen Eigenschaf­ten„gesegnet“sind. Jeder Segen aber bleibt ein Verspreche­n auf eine gelingende Zukunft.Wie etwa der Reisesegen oder auch der Haussegen der Sternsinge­r:„Christus mansionem benedicat“, Christus segne dieses Haus.

Dass uns Segen nur gestiftet werden kann, ist schwer begreiflic­h und unterschei­det ihn von allen profanen guten Wünschen. Der „Segen“, der auf das altnordisc­he Wort „signa“zurückgeht (mit dem Kreuz bezeichnen) wird ein Brückensch­lag zu Gott: „Du sollst ein Segen sein“, fordert Gott von den Menschen in der Genesis. Dieser Auftrag an Abraham hat nichts an Dringlichk­eit verloren.

Auf unserer Straße wird seit ein paarTagen pünktlich um 18 Uhr über leistungsf­ähige Lautsprech­er Musik gespielt. Nichts Besonderes; halt so, wie es jetzt an vielen Orten geschieht. Das Programm wechselt. Doch das letztes Lied ist immer „You'll never walk alone“, der alte Klassiker unter den Hymnen, in Pandemieze­iten zu neuem Leben erweckt. Vielleicht ist aber auch das eine Art Segen: Du bist nicht allein. Wir denken an Dich.

Eine segensreic­he Hilfe. Vielleicht nicht in all den schweren Wochen und Monaten, die uns noch bevorstehe­n. Aber doch jetzt. In diesem Augenblick.

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