Vermissen heißt Wertschätzen
Vieles haben wir in unserem Alltag als selbstverständlich angesehen.
GOTT UND DIE WELT
Allmählich haben wir uns alle eingelebt in diesen Zustand der peniblen Vorsichtnahme. Wir haben uns an Videokonferenzen mit Freunden, den Arbeitskollegen und der Familie derart gewöhnt, dass wir uns schon zu fragen beginnen, wie vorher ein Austausch überhaupt möglich war. Auch schieben wir keinen Einkaufswagen mehr vor uns her, der nicht zweieinhalb Sekunden zuvor von Mitarbeitern des Supermarktes sorgsam desinfiziert wurde. Und Umarmungen erinnern uns immer mehr an vorsintflutliche Begrüßungsrituale. Kurzum: Wir sind größtenteils angekommen in der Corona-Krise – bis auf gestern, als plötzlich die Frage nach der Osternacht aufkam. Findet die jetzt etwa vor dem Fernseher statt? Das lässt sich durchaus sinnlich inszenieren: in einem verdunkelten Raum mit geweihter Osterkerze zum Beispiel. Und wenn man einfach in der Nacht durch die Stadt geht? Ein bisschen schweigt, vielleicht auf den Fluss oder auch in den sternenklaren Himmel schaut und zu erfahren versucht, welcher Trost im Glauben ruht. Es wird auf jeden Fall ein anderes Osterfest sein, und dass wir dabei etwas vermissen, ist ein gutes Zeichen. Eins der Wertschätzung. Verluste kann man immer nur empfinden, wenn das abhanden Gekommene zuvor bedeutsam gewesen ist.
Die Corona-Krise mit ihren Einschränkungen, Ungewissheiten und Gefahren sollte unseren Blick aber nicht nur nach vorn lenken, auf die Entwicklung eines Impfstoffes möglicherweise oder die Rückkehr zum normalen Leben. Sondern eben auch zurück: Warum man nämlich Vieles so gleichgültig und so selbstverständlich hingenommen hat. Warum uns die Wertschätzung auch kleiner Dinge schwergefallen ist. Eine ehrliche Selbstbefragung zu dem, was gewesen ist, eröffnet die Chance auf ein anderes Leben, das noch kommen wird.