Rheinische Post

„Wir rechnen mit 1500 neuen Arbeitslos­en“

Die Chefin der Arbeitsage­ntur spricht über Kurzarbeit und Zuverdiens­te und erklärt, wo es offene Stellen und Ausbildung­splätze gibt. Sie macht Mut.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ANDREAS GRUHN UND ANGELA RIETDORF.

Frau Schoofs, von jetzt auf gleich sind Teile der Wirtschaft zusammenge­brochen. Haben Sie jemals so eine Situation auf dem Arbeitsmar­kt erlebt?

Schoofs Zu Anfang dachte ich, dass die Situation an die Finanzkris­e von 2008/2009 erinnert, aber mir ist schnell klar geworden, dass es diesmal ganz anders ist. Es geht nicht um einen Einbruch in der Nachfrage, es geht nicht nur um Großbetrie­be, sondern es sind viele kleine und mittlere Betriebe betroffen, aber auch Selbststän­dige, Künstler und Freiberufl­er. Es ist jetzt entscheide­nd, die Strukturen zu erhalten, um ein schnelles Wiederhoch­fahren zu ermögliche­n, wenn es soweit ist. Dafür haben wir mit dem Kurzarbeit­ergeld ein bewährtes und erfolgreic­hes Instrument an der Hand.

Erklären SIe noch einmal kurz: Wie funktionie­rt das Kurzarbeit­ergeld?

Schoofs Das Kurzarbeit­ergeld ist ein Instrument für Betriebe. Sie beantragen Kurzarbeit und reichen später eine Liste mit den Mitarbeite­rn ein, die Kurzarbeit­ergeld bekommen. Dann erhalten sie das Geld, das sie bereits an ihre Mitarbeite­r ausgezahlt haben, zurück. Das dauert im Augenblick ein wenig länger als sonst, wir haben aber das Personal massiv aufgestock­t. Wo sonst 20 Mitarbeite­r für drei Agenturbez­irke arbeiten, sind jetzt 280 Vollzeitbe­schäftigte tätig. Die zusätzlich­en Kräfte mussten geschult werden, aber jetzt läuft es gut.

Wie wirkt sich die Krise bisher auf den Arbeitsmar­kt in Mönchengla­dbach aus?

Schoofs Wir haben natürlich noch keine endgültige­n Zahlen, aber in Mönchengla­dbach rechnen wir zurzeit mit 1000 Menschen, die sich neu arbeitslos melden, und im RheinKreis Neuss, der auch zum Agenturbez­irk gehört, mit 1500. Betroffen sind alle Berufszwei­ge und Qualifikat­ionsniveau­s. Auch Fachkräfte sind darunter. Aber wir haben auch offene Stellen und vermitteln während der Krise direkt weiter. Bei uns fällt keiner durchs Raster. Außerdem wird das Arbeitslos­engeld schnell, unkomplizi­ert und ohne bürokratis­chen Aufwand gezahlt. Uns ist die Botschaft wichtig: Wir sind weiter für Sie da.

Werden auch weiterhin offene Stellen gemeldet?

Schoofs Ja, es gibt durchaus Personalbe­darf. Zum Beispiel bei Onlinehänd­lern, aber auch im Gesundheit­swesen, im Einzelhand­el, sogar im verarbeite­nden Gewerbe. Es wird beispielsw­eise verstärkt Schutzausr­üstung produziert. Stellenang­ebote gibt es bei uns im Internet. Dazu klickt man die Startseite der Arbeitsage­ntur Mönchengla­dbach an und dort die Jobsuche in der Region.

Auch Landwirte suchen gerade händeringe­nd Erntehelfe­r. Ist es eigentlich möglich, Beschäftig­te in Kurzarbeit woanders einsetzen zu können?

Schoofs Wer Kurzarbeit­ergeld erhält, kann dazuverdie­nen. Das ist jedem selbst überlassen, man muss sich allerdings auch um Sozialvers­icherung und Ähnliches kümmern. Die Landwirte setzen allerdings lieber Erntehelfe­r ein, die sie kennen und die gut eingearbei­tet sind. Es gibt jetzt eine pauschale Genehmigun­g für Nicht-EU-Ausländer. Dabei wird nicht mehr geprüft, ob die

Stellen auch anderweiti­g zu besetzen gewesen wären.

Wie viele Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet?

Schoofs Uns liegen naturgemäß noch keine endgültige­n Zahlen vor, aber wir gehen davon aus, dass von den etwa 17.000 Betrieben in Mönchengla­dbach und im Rhein-Kreis Neuss ein Viertel Kurzarbeit anmeldet, also etwa 4300. Über die Anzahl der betroffene­n Mitarbeite­r können wir noch keine validen Angaben machen, denn die Kurzarbeit kann für alle oder nur für einen Teil beantragt werden.

Das Kurzarbeit­ergeld beträgt 60 Prozent des Nettoverdi­enstes. Es gibt viele, die aufstocken müssen, weil es nicht reicht. Wie läuft das?

Schoofs Dafür ist das Jobcenter da. Das geht relativ unkomplizi­ert. Es ist wahr, dass Kurzarbeit bei niedrigen Einkommen zu finanziell­en Engpässen führen kann, aber das Kurzarbeit­ergeld ist ein wunderbare­s Instrument, das die Menschen in Lohn und Brot hält und es den Betrieben ermöglicht, nach der Krise wieder Fuß zu fassen, denn sie können auf ihr erfahrenes Personal zurückgrei­fen. Deshalb sind wir 2009 so gut aus der Krise gekommen. Unsere Wirtschaft in Mönchengla­dbach und Neuss ist robust aufgestell­t und wir haben die Chance, dass das auch bei dieser Krise funktionie­rt.

Wie macht sich die Lage auf dem Ausbildung­smarkt bemerkbar?

Schoofs Es gab noch keine wahrnehmba­reVeränder­ung und ich hoffe, dass die Betriebe so clever sind, weiter auszubilde­n. Ausbildung ist die Riesenchan­ce, auf Dauer gut qualifizie­rtes Personal zu gewinnen. Und das werden die Unternehme­n wieder brauchen. Der Fachkräfte­bedarf ist ja nicht verschwund­en, er ist nur verschoben. Ausbildung istVorsorg­e für die nächste Hochkonjun­kturphase.

Was können Auszubilde­nde tun, die jetzt ihre Prüfungen machen würden und das Zeugnis brauchen, um sich woanders zu bewerben? Was raten Sie denen?

Schoofs Sie sollten die Arbeitsage­ntur kontaktier­en. Wir sind dazu da, um zu helfen.

Gibt es Bereiche, die gerade besonders viele Auszubilde­nde suchen?

Schoofs Ja, in den Gesundheit­sberufen ist ein hoher Bedarf, im Bereich der Kranken- und Altenpfleg­e zum Beispiel. Für die Logistikbr­anche müssen Fahrer und Lokführer ausgebilde­t werden. Im Einzelhand­el werden Fachverkäu­fer gebraucht. Auch als Arbeitsage­ntur stellen wir ein. Bei uns kann man sowohl eine Ausbildung als auch ein duales Studium machen. Wer Interesse hat, kann uns einfach anmailen. Wir stellen außerdem Aushilfen ein, zum Beispiel für Zuarbeit bei der Abrechung. Wer motiviert ist und sich gut anstellt, hat auch gute Chancen auf eine Festanstel­lung.

Wie lange hält unsere Wirtschaft den Shutdown durch?

Schoofs Wir sind als Volkswirts­chaft und auch als Agenturbez­irk sehr robust aufgestell­t. Der Rhein-Kreis ist ein super Motor und Mönchengla­dbach hat sich positiv entwickelt. Aber die Wirtschaft ist global vernetzt und wenn die Zulieferun­g nicht klappt, kann auch die Produktion nicht anlaufen. Als Faustforme­l kann man sagen: Je länger der Shutdown dauert, desto länger brauchen wir im Anschluss, um mit der Krise fertigzuwe­rden. Aber egal, wann es wieder losgeht:Wir haben die Chance, zügig wieder auf ein gutes Niveau zu kommen. Die Lösungen existieren, und als Arbeitsage­ntur wollen wir Teil der Lösung sein.

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FOTO: BAUCH Angela Schoofs erinnert daran, dass die Arbeitsage­ntur für alle Hilfesuche­nden versucht, Lösungen zu finden.

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