Rheinische Post

„Mit Applaus kann man nichts kaufen“

Andrea Lehwald hat 20 Jahre im Pflegebere­ich gearbeitet. Die Branche könnte von der Krise profitiere­n, glaubt sie.

- VIKTOR MARINOV FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

MEERBUSCH Die Meerbusche­rin war in der Schweiz und in Deutschlan­d in Kliniken als Krankensch­wester für Anästhesie und Intensivpf­lege tätig. Heute berät sie Kliniken und Heime zu der Frage, wie sie Pfleger finden und erhalten können.Wir haben mit ihr über die Auswirkung­en der Coronaviru­s-Pandemie auf die Branche gesprochen.

Frau Lehwald, was ist das größte Problem der Pflege?

ANDREA LEHWALD Der Beruf gilt als unattrakti­v. Er hat ein Image-Problem und es fehlt der Nachwuchs. In zehn bis 20 Jahren wird sich der Mangel an Pflegekräf­ten aufgrund der demographi­schen Entwicklun­g verschärfe­n.

Ist die geringe Bezahlung verantwort­lich für das schlechte Image?

LEHWALD Das ist natürlich ein Faktor. Die Arbeitszei­ten sind ein weiteres. Es gibt in der Pflege Wechselsch­ichten, man arbeitet am Wochenende, muss immer wieder einspringe­n. Das Privatlebe­n bleibt auf der Strecke. Das ist für junge Menschen ein großer Nachteil, sie ticken anders als die Generation­en vor ihnen. Der Beruf ist bei den Jüngeren deswegen praktisch out.

Wie kann man Pflege aus Ihrer Sicht attraktive­r machen?

LEHWALD Sie muss aufgewerte­t werden. Die Bezahlung muss unbedingt angehoben werden. Man muss aber auch mehr Werbung für die Pflege machen. Man hört fast nur Horrorgesc­hichten über den Beruf. Der Stress, die langen Arbeitszei­ten, das kommt sehr häufig in den Medien vor. Gerade die jungen Menschen sehen das und nehmen Abstand davon.

Aber Sie sagen doch selbst, dass der Beruf auch ernsthafte Probleme hat. Das kann man nicht nur mit mehr Werbung lösen, oder?

LEHWALD Nein, aber man müsste aufklären. Auch schon in den Schulen. Es wäre sinnvoll, wenn Krankenhäu­ser Einblicke gewähren. Wenn man jungen Menschen nahe bringen könnte, was man in diesem Beruf alles machen kann – verschiede­ne Fachrichtu­ngen, Arbeit im OP

Raum. Pflege ist viel mehr als nur Menschen waschen. In der Intensivme­dizin sind Pfleger für Menschenle­ben verantwort­lich.

Was sind die positiven Seiten des Pflegeberu­fs, die Ihnen in der öffentlich­en Wahrnehmun­g zu kurz kommen?

LEHWALD Der Pflegeberu­f ist etwas für sozial eingestell­te Menschen. Solche Menschen gibt es durchaus noch. Die Pflege gibt einem auch sehr viel. Man hat auch wie gesagt viel Verantwort­ung, das wird oft unter den Teppich gekehrt.

Gerade in der aktuellen Situation ist der Stress in der Pflege noch größer als ohnehin schon, oder?

LEHWALD Ja, in einigen Kliniken sind schon Menschen in Quarantäne geschickt worden. Momentan ist es bei uns in Nordrhein-Westfalen so, dass viele Kliniken noch in einer Warte-Position sind. Der Ansturm von Patienten ist noch nicht da. Aber wenn wir dann an unser Limit kommen, könnte es schwierig werden.

Es sind gerade Sonderzahl­ungen für Pfleger im Gespräch. In Bayern sollen das 500 Euro sein, es wird auch über eine bundesweit­e Prämie von 1500 Euro diskutiert. Was halten Sie davon?

LEHWALD Das ist grundsätzl­ich eine gute Sache. Besser wäre, wenn der Beruf insgesamt und dauerhaft besser bezahlt wäre. Ein Bonus ist schön, das ist ein Anreiz, aber man muss langfristi­g denken, um die Nachwuchsp­robleme zu lösen. 500 Euro sind ein Tropfen auf den heißen Stein.

Was können die Arbeitgebe­r wie Krankenhäu­ser oder Pflegeheim­e tun?

LEHWALD Es ist nicht nur ein politische­s Thema, auch intern muss sich etwas ändern. In den meisten Krankenhäu­sern bleiben die Pfleger keine zehn Jahre im Beruf. Durch die Überlastun­g und das schlechte Klima scheiden sie aus. Man muss eine bessere Arbeitspla­tzkultur schaffen. Man muss die interne Zufriedenh­eit schaffen, indem man mehr auf das Personal eingeht, flexible Arbeitszei­ten ermöglicht, offen mit Pflegern kommunizie­ren. Da gibt es diverse Möglichkei­ten.

Am Anfang der Krise haben Menschen in einigen Städten auf ihren Balkons für Ärzte, Polizisten und auch Pfleger geklatscht. Wie kam das bei Ihnen an?

LEHWALD Applaus ist natürlich schön, aber damit kann man nichts kaufen. Es muss insgesamt eine größere Wertschätz­ung für den Beruf geben.

Glauben Sie, dass sich durch die Krise die Lage der Branche zum Positiven verändern wird?

LEHWALD Ich denke, das hängt ganz stark davon ab, wie sich die Situation entwickelt. Ich hoffe es sehr, dass sich etwas verbessert. Dieser intensive Blick darauf könnte dazu führen, dass man sieht, was diese Menschen leisten – und dass ihr Job besser honoriert werden muss. Es könnte aber natürlich sein, dass die Kurve abflacht und sich in der Branche nichts ändert. Es ist zu hoffen, dass die Krise schnell vorbeigeht. Aber man darf die Pflege und Gesundheit­sberufe darüber nicht vergessen.

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FOTO: ANNE ORTHEN „Die Pflegebran­che hat ein Image-Problem“, findet Beraterin Andrea Lehwald.

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