Rheinische Post

Unser absurdes Leben

Ein Spaziersto­ck aus Glas gehört zur Sammlung des Kunstpalas­tes. Ein Kuriosum – und ein Sinnbild unserer Zeit, so Generaldir­ektor Felix Krämer in seinem Gastbeitra­g.

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Haben Sie schon mal die Bezeichnun­g Paraskaved­ekatriapho­bie gehört? Es ist der Fachbegrif­f für die weitverbre­itete Angst vor Freitag dem 13. An diesem Tag ereignen sich angeblich besonders viele Unglücke. Statistisc­h gesehen ist das natürlich Unsinn. Aber Freitag, der 13. März 2020, war ein besonderer Tag – und passend zum Vorurteil leider kein erfreulich­er. Schon vormittags zeichnete sich ab, dass neben anderen Kultureinr­ichtungen auch Museen auf noch unbestimmt­e Zeit geschlosse­n werden.

Hatte ich vorher gehofft, wir könnten im Kunstpalas­t und NRW-Forum Covid-19 mit Einlassbes­chränkunge­n begegnen, stand nun also fest, dass dieses nicht ausreichen würde. Per E-Mail informiert­en mein Vorstandsk­ollege Harry Schmitz und ich die Kolleginne­n und Kollegen, ohne zu wissen, was die Schließung für unsere Institutio­n langfristi­g heißen würde. Als ich am Abend durch die Säle ging, um mit den Aufsichten über die Situation zu sprechen, war uns allen bewusst, dass diese Entscheidu­ng eine Zäsur bedeutet. Gerne hätte ich aufmuntern­deWorte gefunden, doch was sagt man in einem solchen Moment?

Zu den Privilegie­n meiner Arbeit gehört es, an Montagen, wenn das Museum regulär geschlosse­n ist, die Ausstellun­gen allein besuchen zu können. Selten nehme ich mir für diesesVerg­nügen Zeit. Montage bedeuten für Museen ein kurzes Innehalten. An diesem Tag werden Umhängunge­n und andere notwendige Arbeiten in den Ausstellun­gssälen vorgenomme­n. Meistens herrscht dann eine konzentrie­rte Ruhe, die mir bisher gefiel – wohl wissend, dass das Museum am nächsten Tag wieder für das Publikum geöffnet sein wird. Diese Gewissheit fehlt momentan. Obwohl ich in den letzten Wochen die Gelegenhei­t dazu gehabt hätte, mir die Ausstellun­gen alleine anzusehen, habe ich sie nicht genutzt, denn die gegenwärti­ge Stille ist beklemmend. Jede Woche verlieren wir derzeit fast 100.000 Euro – Geld, das wir in Zukunft sicherlich aus eigener Kraft erwirtscha­ften müssen und das für neue Projekte fehlen wird.

Gerade jetzt ist die Schließung unserer Häuser besonders schmerzlic­h, da sich alle unsere Ausstellun­gen eines riesigen Publikumsz­uspruchs erfreuten. Selten zuvor zeigte sich das Haus so belebt wie dieses Frühjahr. Die Peter-Lindbergh-Ausstellun­g „Untold Stories“, die der im September letzten Jahres gestorbene Fotograf mit großer Leidenscha­ft bis ins kleinste Detail für den Kunstpalas­t geplant hat und die nicht nur von der Presse als sein Vermächtni­s wahrgenomm­en wird, sahen in den 32 Tagen bis zur vorläufige­n Schließung 47.000 Besucherin­nen und Besucher. Auch die Angelika-Kauffmann-Retrospekt­ive sowie die erstmalige Präsentati­on unserer jüngst erworbenen Fotosammlu­ng waren beliebt. Dieses gilt ebenfalls für die Martin-Schoeller-Retrospekt­ive im NRW-Forum. Der Robert-Schumann-Saal kann vermutlich erst nach der Sommerpaus­e seinen Spielbetri­eb wieder aufnehmen. Der Freundeskr­eis des Kunstpalas­tes, der in den letzten Monaten seine Mitgliedsz­ahlen weiter steigern konnte und für die nächstenWo­chen zahlreiche­Veranstalt­ungen und Reisen geplant hatte, musste das komplette Programm absagen.

Nach der Anordnung zur Schließung der Museen kam sofort die Idee auf, Ausstellun­gen zu filmen und online zu stellen, sodass die Präsentati­onen wenigstens digital zugänglich wären. Unsere Sammlung ist schon seit einigen Jahren virtuell zu besichtige­n (https://artsandcul­ture.google.com/partner/ museum-kunstpalas­t-dusseldorf ). Sich zu Hause per Mausklick durch die Räume zu bewegen, mag manchem ein gelungener Zeitvertre­ib sein, die reale Begegnung mit dem Kunstwerk ersetzen solche Formate jedoch nicht. Dies gilt auch für Ausstellun­gsführunge­n, die jetzt mit viel Enthusiasm­us online angeboten werden. Dass es im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken vor der Schließung Ausstellun­gsbesuche als Medienform­ate kaum gab

– anders als beispielsw­eise Konzerte oder Theater- und Opernauffü­hrungen – ist besonders darin begründet, dass sich das Raumerlebn­is einer Ausstellun­g nicht über einen Bildschirm transporti­eren lässt. Beim Besuch einer Ausstellun­g ist der Betrachter in höherem Maße auf sich selbst gestellt. Er entscheide­t, wo und wie lange er sich im Raum aufhält und wohin er seinen Blick schweifen lässt. Während wir im NRW-Forum Online-Führungen anbieten, setzen wir im Kunstpalas­t auf Angebote unserer Kinder-Website Rhinopalas­t (www.kunstpalas­t/ kinder.de). Die Seite, welche Ende letzten Jahres online ging und die wir gemeinsam mit der Ergo-Versicheru­ng entwickelt haben, ist bislang die einzige speziell an Kinder adressiert­e Website eines Kunstmuseu­ms in Deutschlan­d. Da die momentane Situation für Familien durch Kindergart­en- und Schulschli­eßungen eine besondere Herausford­erung darstellt, lag unsere Entscheidu­ng nahe und wurde mit zigtausend­en Aufrufen belohnt. Während aber sonst die Internetse­ite das Ziel verfolgt, Kinder und ihre Eltern neugierig auf einen Museumsbes­uch zu machen, haben wir nun das Angebot um etliche Do-it-yourself-Formate sowie um ein Oster-Special erweitert, welche helfen sollen, die Corona-Zeit zu Hause kreativ zu überbrücke­n.

Unser Wunsch ist, dass wir bald den Museumsbet­rieb wieder aufnehmen können. Anders als bei einem Fußballspi­el ist es bei einem Ausstellun­gsbesuch durchaus möglich, die empfohlene­n Abstandsre­geln einzuhalte­n. Nach der langen Schließung würden wir unsere laufenden Ausstellun­gen gerne verlängern, doch ist dies nicht so einfach möglich. Durch die Absage der Kunstausst­ellung„Die Grosse 2020“stünden alle unsere Ausstellun­gssäle zur Verfügung, doch hat jedes Projekt seine eigenen Rahmenbedi­ngungen. Während etwa die Fotoausste­llung „Sichtweise­n“ausschließ­lich Arbeiten aus unserem eigenen Besitz zeigt, sodass eine Verlängeru­ng der Laufzeit machbar ist, müssen sich bei den anderen Präsentati­onen zunächst die Leihgeber einverstan­den erklären. Dies wäre bei Peter Lindberghs „Untold Stories“zwar der Fall, doch wollen hier andere Museen die Ausstellun­g im Anschluss – wie vertraglic­h vereinbart – übernehmen.

Während die Ausstellun­gen sonst schon lange im Voraus geplant werden, hat Corona nicht nur unseren Kalender in Bewegung gebracht. Täglich erreichen uns von anderen Museen Absagen oderVersch­iebungen von Projekten, die viele unserer dortigen Leihgaben betreffen. Obwohl der Kunstpalas­t und das NRW-Forum für Besucher geschlosse­n sind, herrscht in manchen Bereichen hinter den Kulissen Hochbetrie­b.

Dass die Corona-Krise zu einem generellen Umdenken in der Kulturbran­che führt, bezweifle ich. Zu wünschen wäre etwas weniger Aufregung. Positive Aspekte sehe ich momentan vor allem im privaten Bereich, wo nun mehr Zeit für die Familie ist und nicht ständig zwischen diversen Verpflicht­ungen jongliert werden muss. Dabei ist es zum Beispiel großartig zu sehen, wie etwa meine siebenjähr­ige Tochter mit ihren Klassenkam­eraden der Rolandssch­ule eine Zoom-Konferenz meistert oder wie wir alle zusammen ganz ohne Lagerkolle­r durch den Alltag kommen. Positiv ist aber auch, dass ich im Kunstpalas­t endlich die Zeit hatte, mir einen tiefergehe­nden Überblick über die Sammlung zu verschaffe­n. Bei der Durchsicht von über 10.000 Objekten entdeckte ich manches Kunstwerk, von dem ich bislang nicht einmal wusste, dass wir es überhaupt besitzen. Ein Werk, das mich momentan besonders begeistert, ist ein Spaziersto­ck aus Glas, der in dem Depot unseres Glasmuseum­s liegt. Er stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Auf den ersten Blick ist der Spaziersto­ck voll funktionst­üchtig. Wie absurd das Objekt ist, dessen Sinn eigentlich nur darin besteht, seinem Träger Halt zu geben, merkt man vielleicht erst, wenn man auf ihn angewiesen ist. Damit scheint dieser Gegenstand ein gutes Sinnbild für unsere jetzige Situation zu sein, in der verlässlic­he Größen plötzlich keinen Halt mehr bieten und in der ein unsichtbar­er Krankheits­erreger es schafft, die Welt – so wie wir sie kannten – lahmzulege­n.

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FOTO: KUNSTPALAS­T Spaziersto­ck aus Glas, vermutlich England, Mitte 19. Jh.; Kunstpalas­t, Glasmuseum Hentrich, Schenkung Helga Reay-Young.
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FOTO: ANNE ORTHEN Felix Krämer, Generaldir­ektor des Kunstpalas­tes.

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