Eine virtuelle Wanderung durch den frühlingshaften Herrenbusch.
Der Wald erwacht gerade zum Leben, die regelmäßigen Touren des Hegerings fallen aber aus. Ein Ersatz in Text und Bild.
MEERBUSCH Ausgefallen, verschoben, abgesagt, so ist es im Moment bei den meisten Veranstaltungen. Den Wald kümmert das wenig. Gerade sprießt und blüht alles im Herrenbusch, Tiere erwachen aus dem Winterschlaf und begeben sich auf Partnersuche. Zum Frühlingsbeginn ist Birgit Jansen vom Hegering, einem Zusammenschluss von fast 200 Jägern aus Meerbusch, viel unterwegs imWald. Jetzt würde sie normalerweise Gruppen von Menschen hindurch führen und sie in seine Geheimnisse einweihen. Sie würde ihnen zu jeder aufblühenden Blume spannende Geschichte erzählen, die Eigenarten der einzelnen Bäume beschreiben und über Pilze philosophieren. Weil das viel zu schön ist, um darauf zu verzichten, gibt es die Tour von Ende März nun an dieser Stelle – mit Text und Bild.
Birgit Jansen streift mit Headset, Kamera und Hund durch den Wald. Um ihre Begeisterung für den Herrenbusch und seine Bewohner zu spüren, muss man ihr nur kurz zuhören. „Ich sehe gerade eine Wiese voller Buschwindröschen, wir haben richtig Glück mit dem Wetter“, ruft sie entzückt ins Mikrofon. Die weißen Blüten, erklärt Jansen, öffnen sich nur bei Sonnenschein, prächtig sei das. Ohnehin sei die Jahreszeit gerade „ein absoluter Traum“. Die
Buchen haben ihr Laub noch nicht ausgebreitet, die Sonne sei überall im Wald. Birgit Jansen, Jägerin beim Hegering, findet im Wald vieles, was die meisten übersehen. Die Gelbflechte, die abgeworfene Rinde des Ahornbaums, der Baumkrieg.
Wie bitte, der Baumkrieg? Wenn Birgit Jansen über Bäume spricht, wirkt es so, als spräche sie über Menschen. In ihren Erzählungen haben Bäume Babys, auf die man aufpassen muss, wenn man durch den Wald geht. Deswegen wird sie manchmal ganz still und achtet auf jeden Schritt. „Hier sind ganz viele Baby-Ahorne, daraus könnte mal ein großer Ahorn werden.“
In den Erzählungen von Birgit Jansen können Bäume keine Diät machen und werden mit dem Alter deswegen immer dicker. Sie müssen sich deswegen etwas überlegen. Der Ahorn werfe zum Beispiel seine Rinde immer wieder ab, während sich die Buche für ein dünnes, dehnbares Gewand entschieden hat.
In den Erzählungen der Jägerin kämpfen Bäume miteinander. „Es sind Schlachten, die sich sehr langsam abspielen, sie können auch mal 40 Jahre dauern.“Die Buche ist in diesem Krieg gesetzter Favorit. Ihre Waffe sind die vielen Blätter, sie bekommt mehr als die meisten Bäume und verdeckt den Himmel.„Damit nimmt sie den unteren Pflanzen und Bäumen die Sonne weg.“Aber die anderen wissen sich zu wehren. Sie hätten sich auch was überlegt, so beschreibt es Jansen: „Sie treiben einfach früh aus, bevor die Buchen kommen, das ist ihre Strategie zum Überleben.“
Sie sei mehr oder weniger täglich imWald, meistens für mehrere Stunden am Stück. „Wegen Henry“, sagt Jansen. Henry, das ist ihr Hund, ein Golden Retriever, der viel Auslauf braucht. Aber die Besitzerin hat an den Herrenbusch genauso viel Freude wie Henry, wahrscheinlich sogar mehr.
„Es tut mir wirklich leid, dass Sie jetzt im Büro sitzen“, sagt sie über ihr Headset. „Haben Sie gerade den Specht gehört?“Ein cleveres Tier sei das, der Specht. Er baue sich sein Haus gar nicht selbst, sondern ließe die Natur für sich arbeiten. Zuerst mache der Specht ein Loch in die Rinde des Baums, um ihn angreifbar zu machen für den Pilz. Dieser wiederum weiche das Holz so auf, dass der Specht ohne große Mühe den modrigen Rest herauspicken könne. Wer länger mit Birgit Jansen durch den Wald streift, und sei es nur virtuell, schärft seinen Blick dafür, dass es in der Natur nicht um Gut und Böse geht, selbst wenn sie von Krieg spricht. „Bis ein kranker Baum stirbt, dauert es manchmal 50-60 Jahre“, sagt sie. Wenn er beschädigt oder umgekippt ist, nutzen ihn Tiere für ihr Zuhause. Und wenn er tot ist, liefert er anderen Lebewesen Nahrung. Wenn man sich im Wald auskennt, erscheint manches in neuem Licht.
Zum Beispiel Flechten. „Sie sind ein Zeichten für gute Luftqualität“, erklärt Jansen. Die Pilzorganismen, die oft an Baumrinden zu finden sind, seien gar nicht schädlich für den Baum. Vielmehr seien sie zarte Organismen, die sich nicht gegen Luftverschmutzung wehren könnten. Sobald die Luft schlecht wird, verlassen sie den Wald. „Sie sind eine der ältesten Lebewesen überhaupt. Aber man beachtet sie viel zu selten.“
In letzter Zeit trifft Birgit Jansen seltener Menschen im Wald, meistens sind es andere Hundebesitzer. Dass die Besucher weniger geworden sind, hat Vorteile. „Es ist ruhiger, die Kaninchen zeigen sich öfter.“So lauscht Jansen dem Specht, beobachtet Pilze, Bäume und Insekten, und häufig ist sonst nur Henry dabei. Jansen würde gern wieder den Menschen einen Einblick in ihre Welt gewähren.
Aber das geht jetzt nicht. Nicht in den nächstenWochen, wahrscheinlich auch nicht mehr in diesem Frühling. Und auch wenn ein Text nicht so schön ist, wie im Wald zu sein und Birgit Jansen zuzuhören, ist dieser vielleicht ein kleiner Ersatz. Bis sie wieder persönlich durch den Herrenbusch führen kann.