Neuer und die Gier
ANALYSE Der Nationaltorwart will einen neuen Vertrag, der ihm 20 Millionen Euro pro Jahr bringt. Der ehemalige Nationalspieler Mario Götze will keinen Gehaltsverzicht akzeptieren. In Zeiten der Corona-Krise wirkt das unmoralisch.
DÜSSELDORF An Lobeshymnen mangelt es schon mal nicht. Eine hat Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge noch vor zweieinhalb Monaten angestimmt. „Manuel Neuer“, sagte er, „ist der beste Torwart, den die Welt je hatte.“So viel Wertschätzung war offenbar angezeigt, weil sich der Klub in Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung mit dem „besten Torwart, den die Welt je hatte“, begeben wollte. Neuer wollte das auch.
Das war vor Corona. Inzwischen muss man sich den„besten Torwart, den die Welt je hatte“, als den sauersten Torwart, den die Welt je hatte, vorstellen. Denn die Verhandlungen haben begonnen. Aber zum einen drückt sich die gegenseitige Wertschätzung nicht so in Zahlen aus, wie Neuer sich das vorstellt. Und zum anderen ist er alles andere als begeistert darüber, dass Details der anscheinend recht unterschiedlichen Vorstellungen beider Verhandlungspartner an die Öffentlichkeit gerieten.
Es darf vermutet werden, dass es sich nicht um eine zufällige Panne handelt, sondern dass dahinter eine Absicht steckt. Wer wieder mal die „Bild“in den vorzeitigen Genuss der Details versetzte, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass der Verein diesen Weg schon mal beschreitet, wenn er seine Positionen öffentlich festigen will. Jedenfalls schrieb das Blatt in dieser Woche, Neuer (34) habe um eine Verlängerung seines Vertrags um vier Jahre (bis 2025) nachgesucht und verlange ein Jahresgehalt von 20 Millionen Euro. Neuer seinerseits zeigte sich pikiert über die Berichterstattung und klagte ausgerechnet in der„Bild am Sonntag“:„Das ärgert mich. Das kenne ich so nicht beim FC Bayern.“
Im Internet brach der große Sturm los um den vermeintlichen Gierhals Neuer. Experten wie der Doppelpass-Plauderer und frühere Fußballkommentator Marcel Reif bezeichneten die Forderung des Torwarts als „obszön“in der Corona-Krise, deren wirtschaftliche Folgen nicht absehbar seien. Und natürlich wurde eifrig dem kolportierten Angebot des Klubs zugestimmt, der eineVerlängerung um zwei Jahre und ein
Jahresgehalt von 15 Millionen Euro geboten haben soll.
Das ist immer noch ein bisschen mehr als Kleingeld. Doch Neuer geht es um Anerkennung in der inneren Gehaltshierarchie. Der „beste Torwart, den die Welt je hatte“, will an die Spitze der Lohnliste im Klub, die Stürmer Robert Lewandowski mit geschätzten 19,5 Millionen Euro einnimmt. In der Sache ist Neuers Forderung sogar berechtigt, weil er eine sportlich herausragende Führungsfigur im Team ist. Der Zeitpunkt seiner Forderung ist allerdings völlig falsch gewählt. Mit ein wenig Gefühl für die Lage der Nation wäre Bescheidenheit angezeigt – und wenn diese Bescheidenheit mit 15 Millionen im Jahr honoriert wird, gibt es ja eigentlich keinen Grund zur Aufregung.
Deshalb versucht der Verein, den „besten Torwart, den die Welt je hatte“, als einen der habgierigsten, den die Bayern je hatten, hinzustellen. Das ist natürlich nicht die feine Art. Und es ist vielleicht Ausdruck einer gestörten Beziehung zwischen Manager Hasan Salihamidzic und Neuer. Es hatte sich nämlich ebenfalls öffentlich herumgesprochen, dass der Sportdirektor dem für den Sommer verpflichteten Schalker Schlussmann Alexander Nübel (23) einen Einsatz in zehn Pflichtspielen garantiert habe. Neuer kommentierte das so: „Ich bin kein Statist, ich bin Protagonist. Ich will immer spielen.“
Das Image eines kalten Profis, der den Hals nicht voll kriegt, haben die Bayern-Bosse dem Torwart trotzdem verpasst. Im Sommer 2021 könnte es Neuer zu Manchester City oder dem FC Chelsea ziehen.
Schon weit vor Corona hat sich Neuers Mitweltmeister Mario Götze den Ruf eingehandelt, ein unverbesserlicher Gierhals zu sein. Nach zuverlässigen Schätzungen streicht Götze bei Borussia Dortmund rund acht Millionen Euro im Jahr ein. Damit gehört er zu den Spitzenverdienern im Klub. Der wiederum hat bereits um den Jahreswechsel eine Vertragsverlängerung zu deutlich niedrigeren Bezügen angeboten, weil die Form des Finaltorschützen von Rio gehobenen Gehaltsansprüchen schon lange nicht mehr entspricht. Dieses Angebot ließ Götze wohl verstreichen.
Dann kam die Corona-Krise. Sie könnte Götzes Rechnung durchkreuzen, dass sich schon jemand finden werde, der ihn mit einem üppigen Salär bedenkt – zumal weil er im Sommer nach Ablauf seines Vertrages ablösefrei auf den Markt kommt. Aber die große Krise wird die fröhliche Geldverbrennung im Profifußball zumindest vorübergehend beenden. Das glaubt nicht nur DFB-Direktor Oliver Bierhoff. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „Gazzetta dello Sport“sagte er: „Die Preise werden sinken. Ein Spieler am Ende desVertrags wie Mario Götze zum Beispiel wird nicht mehr die bisherigen Beträge erhalten. Bisher wollte man im Fußball immer mehr. Jeder überlegte, wie man immer mehr verdienen kann. Gier galt als oberstes Prinzip. Am Schluss explodiert das System.“Den Begriff Gier im Zusammenhang mit dem Namen Götze platzierte der mit allenWassern gewaschene Funktionär sicher nicht zufällig.
Zu Neuer hat sich Bierhoff nicht geäußert. Das ist auch nicht zu erwarten. Denn die Nationalmannschaft braucht ihren Kapitän Neuer noch, während Götze nicht mehr auf der DFB-Liste steht. Ob wiederum der FC Bayern in naher Zukunft so leicht auf ihn verzichten kann, ist nicht heraus. Nübel hat bislang nicht mehr als Talent bewiesen. Zumindest wurde er noch nicht mit dem Vorwurf der Gier überzogen. Und das ist ja schon was im Fußball in Zeiten von Corona.