„Corona wird ästhetische Spuren hinterlassen“
Bis mindestens 31. Mai wird das Schauspielhaus nicht mehr vor Publikum spielen. Auch für Herbst rechnet der Intendant mit Veränderungen des Spielplans.
Intendant Wilfried Schulz ist im engen Austausch mit seinem Ensemble und den Regisseuren. Geprobt wird derzeit über das Internet, der Spielplan für den Herbst wird anders aussehen als geplant.
Womit rechnen Sie im Moment mit Blick auf die laufende Spielzeit?
SCHULZ Wir gehen davon aus, dass wir den Spielbetrieb bis zum 31. Mai an keinem unserer Häuser wieder aufnehmen dürfen. Das hat Kulturdezernent Hans-Georg Lohe in Abstimmung mit Kollegen anderer Städte so angekündigt. Ich denke sogar, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass wir bis zum Ende der Spielzeit, also bis zum 28. Juni, nochmal spielen werden. Kein Intendant in der Republik, ich bin mit vielen in Kontakt, hält das derzeit für möglich.Wir wären glückliche Menschen, wenn wir zur nächsten Spielzeit Anfang September wieder starten könnten. Allerdings wird der Spielplan sicher anders aussehen, als wir das geplant hatten.
Sie setzen auch nicht darauf, vor einem reduzierten Publikum spielen zu können?
SCHULZ Die Zuschauerzahl ist nicht entscheidend, sondern die Frage des Abstands zwischen den Leuten. Mir scheint nach Aussage der Virologen, dass das Abstandsgebot noch lange erhalten bleiben wird. Niemand wird es in den nächsten Monaten wagen zu sagen, dass Menschen wieder Schulter an Schulter in einem Theater oder Kino sitzen dürfen.
Aber Sie könnten über Schutzmaßnahmen nachdenken, um Beisammensein doch zu ermöglichen.
SCHULZ Ich würde mir niemals anmaßen, die 1,50-Meter-Abstandsregel in Frage zu stellen und zu sagen, eine Sitzbreite Abstand ist genug. Wenn wir uns aber an das Abstandsgebot halten, können wir im großen Haus nur vor 130 bis 180 Leuten spielen, je nachdem wie viele Zuschauer zu einer Familie gehören und nebeneinander sitzen dürften. Die Publikumsströme im Foyer, in den Toiletten etc. könnte man sicher in den Griff bekommen, aber wir nehmen Corona ernst, wir sehen, dass Menschen jeden Alters bedroht sind. Solange das Abstandsgebot gilt, kann man die Zuschauer nur in eine Plastikblase setzen oder vor extrem ausgedünnten Reihen spielen.
Das wäre nicht wirtschaftlich, aber ein Stadttheater hat ja auch einen gesellschaftlichen Auftrag.
SCHULZ Es ist auch ein Wert, wenn ein Theater ein Zeichen setzt, auch vor 150 Leuten spielt und damit dazu beiträgt, dass es wieder eine lebendige Stadtgesellschaft gibt. Spätestens für den Herbst werden wir das mit unseren Gesellschaftern, mit Stadt und Land NRW, besprechen.
Die Antwort wird auch davon abhängen, wie stark die Rezession sich etwa auf die Steuereinnahmen auswirken wird.
SCHULZ Ja, auch das kann eine Rolle spielen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass selbst im besten aller Fälle die Spielpläne des Herbstes noch sehr geprägt sein werden von den besonderen Bedingugen.
Theater sind nicht nur Kunstorte, sie regen auch notwendige Debatten in der Stadtgesellschaft an. Gibt es Überlegungen, zumindest diesen öffentlichen Raum nicht aufzugeben?
SCHULZ Wir möchten uns tatsächlich noch vor Spielzeitende wieder in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Neben den vielen Aktivitäten, die wir für das Netz entwickelt haben. Wie das möglich ist unter den aktuellen Bedingungen, planen wir gerade. Da gibt es natürlich Ideen zu speziellen Orten, Freiluft, aber im Moment fahren wir auf Sicht und können solche Dinge nur kurzfrisitg ansetzen. Bei allem Enthusiasmus für solche Spielformen, das alles wird das Gefühl nicht ersetzen, das ein Zuschauer hat, der mit 750 Menschen aus der gesamten Stadtgesellschaft bei uns im Großen Haus in einem Raum sitzt. Dieses physische Gemeinschaftserlebnis werden wir noch länger schmerzlich vermissen, fürchte ich.
Wird im Moment geprobt?
SCHULZ Ja. Das Ensemble arbeitet etwa sehr intensiv über das Internet an dem neuen Stück von Ferdinand von Schirach. Diese Inszenierung wollen wir auch zu Ende bringen für den Herbst. AndereVorhaben, die jetzt angestanden hätten, etwa Volker Löschs Inszenierung von„Volksfeind“, möchten wir auch voranbringen, da gibt es gerade Gespräche mit dem Sicherheitsbeauftragen, dem Betriebsrat und so weiter.
Wird Corona auch Spuren in der Theaterästhetik hinterlassen?
SCHULZ Es gibt Theater, etwa in Österreich, die sich durch die aktuelle Lage nicht zu ästhetischen Experimente zwingen lassen wollen. Wir überlegen aber schon jetzt, ob es zum Beispiel in Stücken, die wir für den Herbst geplant hatten, Liebesszenen gibt und wie man die umsetzen kann, ohne, dass Schauspieler einander zu nahe kommen müssen. Oder welche Stoffe sich jetzt eignen. Nicht die nahliegenden, nicht „Pest“und „Decameron“, aber vielleicht Stücke von Autoren, bei denen die Sprache im Vordergrund steht. Corona wird also in jedem Fall ästhetische Spuren hinterlassen, wir werden Mittel finden müssen, Gefühle wie Nähe, Liebe zu substituieren, und das wollen wir auch nicht vertuschen.Wir werden mit allen Überlegungen der nächsten Monate transparent umgehen.
Haben viele Menschen mit Blick auf das Spielzeitende ihre Abos gekündigt?
SCHULZ Nein, kaum. Und das berührt uns sehr.Wir bekommen auch sehr viele unterstützende Briefe. Wir werden im Mai ein Programm für den Herbst veröffentlichen, nicht für die gesamte Spielzeit. Dazu ist alles zu unwägbar. Wir machen Angebote. Wir bleiben transparent. Wir bitten umVertrauen. Bisher schenkt man uns das. Auch die Kunst wird lernen, mit Corona zu leben.