Masken-Wirtschaft
Medizinische Schutzausrüstung ist zur umkämpften Ware geworden. Händler, Behörden und Betroffene ringen um das rare Gut.
Sie ist, mehr noch als das fehlende Toilettenpapier in den Supermärkten, zum Symbol der Corona-Krise geworden: die Atemschutzmaske. Bis vor wenigen Wochen noch für Cent-Beträge gehandelt, sind die Preise für Masken förmlich explodiert. Wenn es überhaupt welche zu kaufen gibt. Der Markt ist außer Rand und Band. Er lockt Glücksritter an, er überfordert eine träge Beschaffungsbürokratie, und er lässt jene verzweifeln, die auf die rare Schutzausrüstung dringend angewiesen sind. „Stellen Sie sich nur vor, was das für ein Bild abgibt, wenn wir uns wie die Kollegen in den USA mit blauen Mülltüten schützen müssen“, gruselt sich ein rheinischer Klinikmanager, der seit Wochen nach Masken fahndet. Das Thema ist hochsensibel, denn es geht um möglichen Kontroll- und Ansehensverlust. Deswegen wollten viele der Betroffenen, mit denen wir über die Versorgungsengpässe gesprochen haben, sich nur anonym zitieren lassen.
Die Ware
Schon seit Monaten stocken die Nachschublieferungen aus Asien, wo mehr als 90 Prozent der weltweiten Maskenproduktion erfolgt. Großhändler berichten, dass zeitweilig nicht einmal mehr ein Zehntel der üblichen Mengen bei ihnen ankam, auch weil China bis Mitte März wegen des hohen Eigenbedarfs ein Exportverbot für Masken verhängt hatte. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach sogenannter persönlicher Schutzausrüstung (Atemmasken, aber auch Schutzbrillen, Handschuhe, Kittel) in Deutschland massiv gestiegen.Während einfache OP-Masken, die vor allem als Spuckschutz dienen, noch vergleichsweise leicht zu bekommen sind, herrscht bei den Masken der höheren Schutzklassen (FFP2 und FFP3) eklatanter Mangel.
Diese Masken sind aber gerade für die Ausrüstung des medizinischen Personals besonders wichtig, denn sie schützen nicht nur die Patienten, sondern auch die Träger vor Ansteckung. Bund und Länder bemühen sich darum, Nachschub zu beschaffen, allerdings mit bisher sehr überschaubarem Erfolg. Also kaufen derzeit auch alle anderen Akteure wie etwa die Kassenärztlichen Vereinigungen oder auch einzelne Pflegeeinrichtungen, was sie bekommen können. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat unterdessen auf den „erheblichen Versorgungsengpass“reagiert und stellt Importeuren und Herstellern eine Sonderzulassung für Masken in Aussicht, die nicht über die nötigen Zertifikate verfügen.
Als das Land jedoch kürzlich eine derartige Sonder-Charge an Masken verteilte, die von einem Bielefelder Autozulieferer hergestellt worden waren, gab es Probleme: Die Stadt Essen, die 60.000 Exemplare der „Made-in-NRW-Masken“erhalten hatte, beschwerte sich, die Ware sei „ungeeignet“für die geplante Verwendung in Pflegeheimen.
Die Importeure
Weil viele der etablierten Lieferketten zusammengebrochen sind, drängen jetzt auch branchenfremde Anbieter auf den Markt, die Masken jenseits der üblichen Kanäle beschaffen. Jörg Nass, Geschäftsführer des Gocher Unternehmens SiliPainter und eigentlich ein Spezialist für Baumaterialien, hat sich gleich zu Beginn der Corona-Krise mit zwei Geschäftsfreunden aus Issum und Gelsenkirchen zusammengetan. Sie nutzten ihre Kontakte, telefonierten viel und fanden schließlich drei Anbieter, zwei in der Türkei und einen in China.„Die Masken liegen auf Abruf in den Lagern“, gibt Nass an. „Und sie haben alle nötigen Zertifikate.“Es handele sich um Bestände aus der Zeit vor der Corona-Pandemie, und zwar um beeindruckende Mengen: Über 100 Millionen Einwegmasken und bis zu 50 Millionen FFP2-Masken sollen „relativ kurzfristig lieferbar“sein, sagt Nass. Kostenpunkt: 60 Cent für die Einwegmasken und 5,85 Euro für die FFP2-Modelle.
Er und seine Partner erhielten von den ausländischen Anbietern eine Provision, sollte man einen Abnehmer in Deutschland finden, erklärt er. Doch einen Kunden konnten die drei Geschäftsmänner zu ihrem Erstaunen bisher nicht auftreiben. Die Stadt Goch etwa lehnte dankend ab. „Wir brauchen keine 100 Millionen Masken“, sagte ein Sprecher. Auch im NRW-Gesundheitsministerium blitzten Nass und seine Partner ab. „Zum heutigen Stand schließen wir keine neuenVerträge im Bereich Schutzausrüstung, da gegenwärtig bereits bestehende Lieferungszusagen abgewartet werden müssen“, antwortete die Stabstelle „Corona MAGS“. „Wir bitten um Verständnis und danken Ihnen schon jetzt sehr herzlich für Ihre Unterstützung bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie.“Auch das Bundesgesundheitsministerium schickte eine ausweichende Mail. Man prüfe das Angebot.
Gerhard Schmidt aus Krefeld hatte da schon mehr Erfolg. Seinen wahren Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen: „Werbung habe ich wirklich nicht nötig“. Seit rund zehn Jahren importiert Schmidt elektronische Artikel aus China, „und als ich mitbekommen habe, dass überall großer Mangel an Masken herrscht, habe ich mich mal dahintergeklemmt. Ich muss sagen, es war wirklich kein allzu großes Problem, an Schutzmasken heranzukommen – zu, wie ich finde, vertretbaren Preisen. Alles zertifizierte Ware, ordnungsgemäß verzollt.“FFP2-Masken kaufe er derzeit abhängig von der Menge und Transportkosten direkt beim Hersteller für 1,90 bis 2,20 Euro pro Stück ein. Ein Problem sei allerdings der Transport. „Die Versandkosten bei DHL sind in den vergangenen zwei Wochen um rund ein Drittel gestiegen. Und seit dem 1. April werden in China alle Exporte von FFP2-Masken geprüft. Es muss ein Zertifikat vorliegen, gefälschteWaren werden aus demVerkehr gezogen.“Das führe allerdings zu ganz erheblichen Lieferverzögerungen. Statt drei Tage dauere der Versand nun eher zehn bis 14 Tage.
Der Import laufe über einen chinesischen Geschäftspartner in den Niederlanden. Dort sei der Zoll nicht so pingelig wie in Deutschland, wo eine Sendung schon wegen eines fehlenden deutschen Beipackzettel blockiert werden könne. „Beim ersten Mal haben wir nur 7000 Stück geordert, die haben wir an eine große Klinik und an einen Betreiber von Altenheimen weiterverkauft und zwar zu Preisen von 3,50 bis 3,65 Euro, also mit einem Aufschlag von etwa 40 Prozent. Allerdings muss die Ware in China zu 100 Prozent vorab bezahlt werden, wir tragen also auch das volle finanzielle Risiko. Für einfache OP-Masken zahlen wir im Einkauf 47 Cent und verkaufen sie dann für 65 bis 80 Cent weiter.“
Derzeit, sagt Schmidt, lägen ihm Anfragen einer großen Lebensmittelkette und eines Fast-Food-Unternehmens vor. „Die wollen bis zu fünf Millionen Masken abnehmen – proWoche wohlgemerkt.Wir können aber derzeit immer nur Lieferungen im Gesamtwert von rund 500.000 Dollar vorfinanzieren.“Er habe aber auch schon kartonweise Masken gespendet, weil er den Eindruck habe, dass ausgerechnet Einrichtungen wie Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeheime sich weiterhin äußerst schwer täten mit der Beschaffung.
Die Krankenhausträger
Der Landesverband Rheinland (LVR) betreibt zehn Kliniken, die insgesamt rund 60.000 Patienten im Jahr behandeln. Schutzausrüstung wird für alle Einrichtungen gemeinsam über den Zentraleinkauf in Viersen beschafft, aber wie ein leitender Mitarbeiter der Düsseldorfer Klinik berichtete, werden auch den einzelnen Krankenhäusern derzeit Masken angeboten. „Unter den Verkäufern sind viele ganz frisch gegründete Firmen, die teils irrsinnige Preise verlangen und natürlich auf Vorkasse bestehen.“Anfang April habe man in Düsseldorf befürchten müssen, dass die Schutzmasken bald ausgehen, und so sei man heilfroh gewesen, doch noch einen seriösen Anbieter gefunden zu haben, der kurzfristig „zu sehr korrekten Konditionen“15.000 Masken liefern konnte – gegen Rechnung.
Das ist derzeit nicht selbstverständlich. Die Nachfrage nach Schutzmasken nehme seit Anfang Februar stetig zu, und ein Ende des Anstiegs sei nicht erkennbar, bestätigt man beim LKR. Deshalb seien auch die Stückpreise bis Ostern unaufhörlich gestiegen, weil fast kein Händler ab Lager anbieten konnte. Inzwischen habe sich die Lage zwar etwas entspannt, es gebe täglich
Angebote zu Lagerware in größeren Stückzahlen. Bei FFP2-Masken hätten sich die durchschnittlichen Preise von etwa zehn Euro pro Stück auf inzwischen unter vier Euro reduziert. Allerdings müsse man dafür eine mehrwöchige Lieferzeit akzeptieren. Für kurzfristig benötigte Ware müsse 20 bis 50 Prozent mehr bezahlt werden.
Derzeit sieht man in den LVR-Kliniken angesichts der angelegten Vorräte und durch den kontinuierlichen Zukauf dieVersorgung für die nächsten sechs Wochen gesichert. Eingekauft werde bei Importeuren aus Deutschland oder dem europäischen Ausland.Vom Land habe der LVR bisher keinerlei Schutzausrüstung zugeteilt bekommen.
Ärzte und Apotheker
In einer internen Rundmail vom 6. April beklagte das Apothekerund Ärztenetzwerk Niederrhein die „unverschämt hohen Bezugspreise, der für uns und unsere Mitglieder lebenswichtigen Materialien“. Zum Glück profitiere man aufgrund der in vielen Jahren etablierten und gepflegten Kontakte von besonderen Angeboten aus den verschiedensten Quellen und könne daher Materialien für Schutz und Desinfektion zu relativ guten Konditionen anbieten. Die ursprünglich üblichen Listenpreise seien zwar nicht zu erzielen, aber man habe Preise verhandelt, „die deutlich unter den aktuellen Wucherpreisen angesiedelt sind“. Geliefert werden könne kurzfristig, hieß es.
Angeboten wurden unter anderem einfache OP-Masken, die 50-Stück-Packung zu 59 Euro. Das ist mehr als das Zehnfache der früher gängigen Tarife. Aber die anhaltend hohe Nachfrage treibt weiterhin die Preise. Allein für die rund 150.000 niedergelassenen Kassenärzte in Deutschland ermittelte deren Verband Anfang März einen Bedarf für die kommenden sechs Monate von 54,3 Millionen FFP-Masken sowie fast 115 Millionen einfachen OP-Masken, wie aus einer Mitteilung an das Bundesgesundheitsministerium hervorgeht, aus der die „FAS“zitiert. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schätzte den Jahresbedarf für Deutschland jüngst auf zwölf Milliarden Masken.
Die Landesregierung
Nordrhein-Westfalen balgt sich mit den übrigen Bundesländern, der Bundesregierung, Verbänden und zahllosen Firmen um die begehrten Masken. Um da mithalten zu können, wurden allzu sperrige Vorschriften vorübergehend abgeräumt. „Das Vergaberecht bietet aktuell die Möglichkeit, Leistungen auch oberhalb der Schwellenwerte schnell und verfahrenseffizient in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben“, teilte das Gesundheitsministerium im schönsten Behördensprech mit. Will heißen: Das eigentlich vorgeschriebene Bieterverfahren kann entfallen, die Beamten dürfen auch direkt mit Anbietern verhandeln.
Dies seien Händler, die sich meist in China eindeckten. Inzwischen hat das Land rund 177 Millionen Schutzmasken bestellt, geliefert wurde bisher aber nicht einmal ein Zehntel davon, rund 15,5 Millionen Stück. Auf eine Schätzung des künftigen Bedarfs wollten sich die Beamten von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann vorsichtshalber nicht festlegen. Dieser sei „abhängig vom weiteren Infektionsgeschehen.“
Die Kriminellen
Als wäre das ungewohnte Geschäft mit den Masken für sie nicht schon schwierig genug, treibt die Mitarbeiter in Staatskanzleien und Ministerien in diesen Tagen auch noch die Sorge um, von Corona-Trittbrettfahrern abgezockt zu werden. Mit „Wild-West-Methoden“müsse man sich herumschlagen, schimpfte Landesgesundheitsminister Laumann Anfang April. Da waren NRW und Bayern beinahe Opfer eines millionenschweren Betrugs mit nicht existenten Atemschutzmasken geworden. Bayerische Ermittler hatten den Coup gerade noch rechtzeitig aufgedeckt. Zwei Vertriebsfirmen mit Sitz in Hamburg und Zürich hatten schon eine Anzahlung von rund 2,4 Millionen Euro an die vermeintlichen Lieferanten geleistet. Als die Masken nicht wie geplant ankamen, erstattete der Geschäftsführer am 30. März Anzeige.
Mehr als zwei Millionen des überwiesenen Geldes seien inzwischen auf Konten im Ausland entdeckt und eingefroren worden, berichtete die zuständige Staatsanwaltschaft Traunstein. Auch Nordrhein-Westfalen hatte schon bezahlt, rund 14,7 Millionen Euro an das Schweizer Vertriebsunternehmen. Davon seien 12,3 Millionen Euro schon wieder zurückbezahlt worden, für den Rest wolle der Zwischenhändler nötigenfalls aufkommen, hieß es.
Immer wieder soll es auch zu Weiterverkäufen bereits fest georderter Masken gekommen sein. So sollten am 20. März sechs Millionen Schutzmasken des Typs FFP2 über Kenia Deutschland erreichen. Doch dort verschwand die wertvolleWare spurlos. Ähnliches geschah mit einer Bestellung aus Berlin. 200.000 Masken verschwanden am Flughafen Bangkok, auch hier wurde die Ware wohl unter der Hand meistbietend weiterverscherbelt. Und selbst wenn die Masken eintreffen, sind sie nicht immer sicher: In Paderborn stahlen Unbekannte vor einer Woche dem Deutschen Roten Kreuz 3000 Masken.