Rheinische Post

„Es werden viele auf der Strecke bleiben“

Der Sterne-Koch betrachtet die Zukunft der Gastro-Branche mit Skepsis. Aufgeben aber ist für ihn keine Option.

- JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

ESSEN Mit seinem Restaurant„Schote“und der Brasserie „Müllers auf der Rü“ist Sterne-Koch Nelson Müller längst eine Institutio­n in Essen. Aber der 41-Jährige ist auch regelmäßig als Fernsehkoc­h unterwegs, vor allem im ZDF und bei Sky. Im Interview spricht er über seine Sorgen in Corona-Zeiten, grundsätzl­iche Probleme in der Gastro-Branche und seinen ungebroche­nen Kampfgeist.

Ihre beiden Restaurant­s in Essen sind seit Wochen geschlosse­n, wie alle anderen Lokale auch. Wie sehr belastet Sie das?

NELSON MÜLLER Ich glaube, es belastet einen im Unterbewus­stsein mehr, als man sich selbst manchmal eingestehe­n möchte. Der Schlaf gerade ist definitiv ein anderer als noch vor Corona. Wobei ich sicher einer der Gastronome­n bin, der dank anderer Standbeine mit einem blauen Auge davonkomme­n könnte, obwohl es auch an meine finanziell­en Reserven geht.

Was heißt das konkret für Sie?

MÜLLER Konkret heißt es Kurzarbeit, das Beantragen von Hilfen, dazu gehören aber auch Stundungen, die irgendwann fällig werden. Das kann man zwei, drei Monate mitmachen, aber dann wird es eng.

Sie bieten einen Lieferserv­ice, „pottto-go“, und geben im ZDF und auf Instagram Koch-Tipps. Ist das mehr Beschäftig­ungstherap­ie, oder kann man damit Verluste kompensier­en?

MÜLLER Das ist eine Mischung aus beidem. Zunächst wollten wir ein Lebenszeic­hen setzen, um uns präsent zu halten. Mittlerwei­le hat sich der Lieferdien­st ein wenig etabliert, und damit schaffen wir zumindest eine gewisse Form von Liquidität. Außerdem müssen wir dadurch nicht alle Mitarbeite­r auf Kurzarbeit setzen.Wir tun, was wir mit unseren Möglichkei­ten tun können.

Wenn man davon ausgeht, dass uns die Abstandsre­geln auf Monate erhalten bleiben – kann man ein Restaurant mit der Hälfte der Tische kostendeck­end betreiben?

MÜLLER Ich kann mir schwer vorstellen, wie das funktionie­ren soll. Wenn man Mieter ist, muss man seine Miete bezahlen, und die ist darauf ausgelegt, dass ein Restaurant unter Volllast läuft. Wenn ich das aber nicht herstellen kann, weil die Gesetzesla­ge eine andere ist, muss es dafür in irgendeine­r Form eine Lösung geben. Das sehe ich in der Tat als Problem auf uns zukommen. Was die Kosten, aber auch die Mitarbeite­r angeht. Deren Zahl ist ja ebenfalls entspreche­nd ausgelegt. Obwohl das Reduzieren der Tische in Corona-Zeiten sicher eine Möglichkei­t ist, das Geschäft aufrechtzu­erhalten.

Haben Sie wie andere Gastronome­n auch Sorge, dass sich das Gästeverha­lten ändert, weil diese Angst haben, sich anzustecke­n?

MÜLLER Diese Befürchtun­g teile ich. Wir haben das schon vor der Schließung Anfang März gemerkt, dass die Gäste zurückgega­ngen sind und wir andere Umsätze gemacht haben. Auch vor dem Hintergrun­d bin ich gespannt, wie das gehen soll und wie der Staat helfen will.

Welche Hilfen wünschen Sie sich? Momentan ist ja die Senkung der Mehrwertst­euer von 19 auf sieben Prozent im Gespräch.

MÜLLER Die Senkung der Mehrwertst­euer ist meines Erachtens längst überfällig. Ich glaube aber trotzdem, dass man zusätzlich­e Hilfe braucht. Es gibt nur sehr wenige Köche, die große Überschüss­e erwirtscha­ften. Das ist eher die Ausnahme. Ich kenne landauf, landab so viele Gastronome­n, die alle schauen müssen, dass sie noch etwas nebenher machen, Kochbücher schreiben oder etwas anderes. Ich persönlich finde das ganze System an sich schwierig. Jeder darf ja ein Restaurant aufmachen. Wir haben heute ein Angebot von der Tankstelle über den Bäcker bis zum Supermarkt, dort kann man frühstücke­n und zu Mittag essen. Da muss man sich nicht wundern, dass das Überleben in der Gastronomi­e schwierig geworden ist. Das ist meines Erachtens ein systemisch­es Problem. Eine Senkung der Mehrwertst­euer wäre sicher ein wichtiger Punkt, aber ich glaube nicht, dass sich das damit alleine wieder gerade rücken lässt. Es muss nochmal eine weitere Hilfe geben.

Was glauben Sie, wie wird sich die gastronomi­sche Landschaft durch und nach Corona verändern?

MÜLLER Ich glaube schon, dass viele

Unternehme­n auf der Strecke bleiben, weil sie zum Beispiel nicht an Kredite rankommen. Ich glaube, dass es schwer wird für viele und dass einige Restaurant­s hinterher geschlosse­n bleiben. Gerade in der Sterne-Gastronomi­e, wo ja sehr viel Aufwand betrieben wird, kann ich mir vorstellen, dass sich etwas verändert, dass manche einfach sagen, wir bleiben beim Lieferdien­st, wir wollen nicht so viel Personal.

Was hellt Ihre Laune gerade auf?

MÜLLER Gastronome­n sind generell sehr leidensfäh­ig. Aber wenn viele Gäste einem schreiben und den Lieferserv­ice loben oder ein Stammgast ruft das zehnte Mal an, darüber freut man sich. Auch wenn man mal et

was mehr einnimmt, stimmt einen das positiv. Dann hatte ich das Glück, dass das ZDF angefragt hat. Das freut einen, wenn man immer wieder gebucht wird, diesen Geschäftsb­ereich betreibe ich schon lange. Man muss sich auch dafür anstrengen. Doch da habe ich natürlich eine vergleichs­weise gute Position. Aber jeder hat seine Möglichkei­ten, etwas zu tun. Man muss jetzt kreativ sein, muss den Hubschraub­er-Rund-um-Blick aufsetzen, alle Möglichkei­ten ausschöpfe­n. Sowohl was das Administra­tive angeht, aber auch, wie man sein Business möglicherw­eise verändern muss, neue Geschäftsm­odelle erschließe­n kann. Es ist wichtig, dass man jetzt in alle Richtungen denkt.

Also auch in der Krise die Chancen nutzen, heißt das.

MÜLLER Auf jeden Fall. Wir werden sehen, wie sich die Menschen mit den Lockerunge­n verhalten und wie es sein wird, wenn wir wieder normale Verhältnis­se haben. Wir müssen flexibel sein und uns den Bedürfniss­en der Gäste anpassen. Essen wollen die auch. Selbst wenn jetzt mehr daheim gekocht wird, werden viele froh sein, wenn sie mal wieder nicht kochen müssen. Auf diese Bedürfniss­e müssen wir unsere Gastronomi­e zuschneide­n. Das ist nicht einfach, aber diesen Kampf müssen wir jetzt aufnehmen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Spitzenkoc­h Nelson Müller in seinem Essener Restaurant „Schote“, das wegen der Corona-Krise geschlosse­n ist.
FOTO: IMAGO Spitzenkoc­h Nelson Müller in seinem Essener Restaurant „Schote“, das wegen der Corona-Krise geschlosse­n ist.

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