Rheinische Post

Tag 43 in der Zwangspaus­e

Mitte März schloss Franziska Walter ihre Musikschul­e Rohrspatz. Wann sie wieder arbeiten darf, weiß die 39-Jährige nicht.

- VON NICOLE KAMPE

UNTERBILK Auf den Tag genau sind es heute sechs Wochen. 43 Tage Zwangspaus­e, ohne die Aussicht, dass sich das bald ändern wird. „Pause ohne Zählzeit“, nennt es Franziska Walter – in der Musik ein Raster innerhalb eines Taktes. Die erste halbe Stunde ihres Tages gehört – wie sonst auch – einem Kaffee, ihrem Mann und ihr. In Ruhe. Ohne Kinder. „Sonst ist alles anders. Komplett. Schonungsl­os. Ich in Teilen fassungslo­s; sprachlos. Und das, obwohl die Stimme mein Beruf, mein Elixier ist“, schreibt die 39-Jährige auf ihrer Internetse­ite. Walter ist Sängerin und Musikpädag­ogin, hatte früher Anstellung­en an verschiede­nen Opernhäuse­rn und betreibt jetzt in Unterbilk die Musikschul­e Rohrspatz.

Die kleinen Trommeln stehen ordentlich einsortier­t im Regal, das Klavier ist zugeklappt, die Kissen liegen aufgestape­lt in einer Ecke. Wer Franziska Walters Musikschul­e kennt, der tut sich schwer mit der Stille in dem Raum, der sonst voller Geplapper ist, Getippel und Gekicher. Es sind vor allem die ganz kleinen Kinder, die mit ihren Müttern zu den Kursen kommen, die eifrig rasseln und in die Hände klatschen und so gut wie jedes Lied kennen, das Walter anstimmt. Seit 43 Tagen ist das anders. Seit 43 Tagen ist es still. Fast schon erschrecke­nd.

„Weil das hier keine Betreuung ist, sondern ein Freizeitan­gebot, ist die Aussicht aussichtsl­os“, sagt die 39-Jährige, die sich irgendwie an den Vorgaben des Bundes und Landes entlanghan­gelt, die aber klare Ansagen vermisst. „Das, was für Kitas und Schulen gilt, gilt noch lange nicht für mich, für uns“, sagt Walter. Sie spricht bewusst von „uns“, Walter ist nicht die einzige, der es so geht. „Alle, die in Gruppen mit Kindern arbeiten, haben dieses Problem.“

Zu der Ungewisshe­it im Job kommt der Spagat zu Hause, Jonas ist acht, geht in die Schule, muss am Esstisch Mathe und Deutsch pauken. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Moritz besucht noch die Kita, „er ist im Freizeitmo­dus, der aber extrem eingeschrä­nkt ist“, erzählt Walter. Ihr Mann arbeitet manchmal von zu Hause, manchmal ist er unterwegs. Die Tage sind lang bei der 39-Jährigen, und das, obwohl sie seit sechs Wochen nicht arbeitet. Zum Glück kommt ihr der Vermieter entgegen, die Soforthilf­e hat Walter beantragt, darf davon aber längst nicht alle Rechnungen zahlen, die in ihrem Briefkaste­n landen. Ihre Krankenver­sicherung zum Beispiel muss sie aus der eigenen Tasche finanziere­n, und das ist nicht wenig bei Selbststän­dingen. „Inzwischen darf ich von dem Geld nicht mal mehr meine Mitarbeite­rin bezahlen“, sagt die 39-Jährige. Am 1. März hatte Walter die Frau eingestell­t, weil ihre Musikschul­e immer besser lief. „Wer hätte gedacht, dass wir zwei Monate später über Kurarbeit sprechen müssen.“

Wenn am 4. Mai der Unterricht auch für Nicht-Prüfungskl­assen wieder aufgenomme­n wird, wird Franziska Walter noch lange nicht ihre Musikschul­e aufmachen können. Weil sie den Mindestabs­tand nicht einhalten kann, die Hygienevor­schriften ebenso wenig. „Bei mir sollen die Kinder sich ausprobier­en, aktiv mitgestalt­en, die Instrument­e sind Gebrauchsg­egenstände“, sagt Walter. Da beißen die Jungs und Mädchen auch schon mal in das Klangholz, und Kleinkinde­rn einen Mundschutz zu verordnen, würde wenig Sinn machen.

Deshalb hat die 39-Jährige schon darüber nachgedach­t, Online-Kurse anzubieten. „Aber das wird niemals das ersetzen, was uns ausmacht“, sagt die Musikpädag­ogin. Der Kontakt zu den Kindern, zu den Müttern. Oft sitzen sie vor dem Kurs zusammen, schnacken, trinken einen Kaffee, „die Musikschul­e lebt von den Gruppen, der Stärke, der Dynamik“. Ein bisschen sei es wie mit der Gastronomi­e:„Die lebt auch nicht davon, eine Suppe irgendwohi­n auszuliefe­rn.“

Dass die Auflagen notwendig sind, das weiß Franziska Walter. Sie hält sich selbst strikt daran, hat in den letzten Wochen keine Freunde gesehen, ist mit ihrem Mann und ihren beiden Jungs zu Hause geblieben. Und trotzdem sehnt sie sich nach Normalität, nach Planbarkei­t. Vorsichtig peilt sie jetzt das Ende der Sommerferi­en an, hofft, dass es bis dahin auch für sie und ihre Kollegen wieder die Möglichkei­t gibt, zu arbeiten. Und sie hofft, „dass die Menschen sich bis dahin noch an mich erinnern“, sagtWalter, dass die Eltern und Kinder wiederkomm­en, auf das zurückkomm­en, was sie vor der Corona-Krise einmal geschätzt haben.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Weil Franziska Walters Musikschul­e ein Freizeitan­gebot ist, gelten für sie nicht die Auflagen wie in einer Betreuung.
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