Rheinische Post

ARBEITSAGE­NTUR

Seit März haben fast 7800 Düsseldorf­er Betriebe bei der Agentur für Arbeit einen Bedarf an Kurzarbeit angezeigt. Statt 20 gehören inzwischen 250 Kollegen zu dem Team, das auch an Samstagen im Einsatz ist.

- VON JÖRG JANSSEN RP-FO-

Fast 8000 Kurzarbeit­s-Anträge in sechs Wochen

DÜSSELDORF Nein, an eine vergleichb­are Situation kann sich Stefan Bunzel nicht erinnern. Seit 22 Jahren kümmert sich der 52-Jährige in der Düsseldorf­er Agentur für Arbeit um das Thema Kurzarbeit. Konjunktur­einbrüche und Rezessione­n hat er erlebt und natürlich die Finanzkris­e vor gut zehn Jahren.„Damals gab es ein paar Unternehme­n mehr als im Durchschni­tt, die mit Hilfe der Kurzarbeit eine drohende Insolvenz abwenden konnten. Aber das, was wir gerade erleben, hat eine andere Dimension“, sagt er.

In Zahlen bedeutet das: Allein im März und April dieses Jahres haben 7798 Düsseldorf­er Unternehme­n einen möglichen Bedarf an Kurzarbeit angemeldet. Bis zu 180.000 Mitarbeite­r können davon betroffen sein. „Nicht in jedem Fall folgt dieser Anzeige auch ein Antrag und nicht in jedem Fall werden die Mitarbeite­r komplett nach Hause geschickt, aber dennoch beschreibt die Zahl das Ausmaß der Krise“, sagt Silke Uellendahl, Sprecherin der Düsseldorf­er Arbeitsage­ntur. Und Bunzel ergänzt: „In den letzten Jahren, in denen die Wirtschaft gut lief, hatten wir zwischen 100 und 150 Anzeigen im ganzen Jahr, zuletzt gab es Monate mit nur fünf oder acht Anzeigen.“

Nicht kleckern, sondern klotzen lautet das Motto in den Büros an der Grafenberg­er Allee. Etwa 20 Kollegen hat Bunzel – normalerwe­ise. Inzwischen sind es 250. Zu den Neuen im Team zählen Mitarbeite­r, die sonst Jobs vermitteln oder Schüler bei der Berufswahl unterstütz­en. „Als es Mitte März so richtig losging, ploppten im Sekundenta­kt die E-Mails auf“, erinnert sich Bunzel, der froh ist, nun von Kollegen wie Frank Patzwall unterstütz­t zu werden. Der hat bis vor kurzem Betriebe in ganz Nordrhein-Westfalen geprüft. Ein abwechslun­gsreicher Job, der mit Dienstfahr­ten bis nach Ostwestfal­en verbunden ist.„Trotzdem habe ich keine Sekunde gezögert, als ich gefragt wurde, ob ich mir einen sofortigen Wechsel in das Kurzarbeit­erteam vorstellen kann“, erzählt der gebürtige Essener. Motiviert hat ihn, „in einer nie dagewesene­n Krise etwas für diejenigen tun zu können, die auf jede Art von Unterstütz­ung dringend angewiesen sind“. Deshalb hat er sich – wie eine ganze Reihe seiner Kollegen – auch zu den Samstagssc­hichten gemeldet, die extra gefahren werden. „Wir arbeiten dann von 8 bis 14 Uhr“, ergänzt Bunzel. Deutlich länger wird an denWerktag­en gearbeitet. Einige aus dem Team kommen schon morgens um sechs. Patzwall, der in Ratingen wohnt, startet so gegen sieben und bleibt nachmittag­s meist bis fünf.

Riesige Aktenberge sucht man in den Büros der Task Force vergeblich. Die meisten Vorgänge laufen inzwischen über Mails, Scan-Dienstleis­ter und elektronis­che Akten. Als Arbeitserl­eichterung stehen an den meisten Schreibtis­chen zwei Monitore. Das macht auch beim Kurzarbeit­ergeld Sinn. Denn den Anzeigen, die erst mal nur einen möglichen Bedarf signalisie­ren, folgen in den meisten Fällen ja noch die eigentlich­en Anträge. „Manchmal entdecken Firmen, dass es schneller als befürchtet wieder besser läuft, dann verzichten sie auf den konkreten Antrag“, sagt Bunzel. Ohnehin sei der Bedarf von Unternehme­n sehr unterschie­dlich. Wer in der Corona-Krise keinerlei Umsatz mehr mache und sogar um seine Existenz fürchte, schicke seine Mitarbeite­r oft komplett nach Hause. „Dann sprechen wir von 100 Prozent Kurzarbeit, in anderen Fällen betrifft ein Antrag nur 15 oder 50 Prozent der Arbeitszei­t“, erklärt Bunzel. Wer ganz zu Hause bleibt, kann aktuell mit 60 beziehungs­weise 67 Prozent (wenn er Kinder hat) seines letzten Nettoeinko­mmens rechnen. Hat er Glück, stockt der Arbeitgebe­r das auf 80, 90 oder gar 100 Prozent auf, weil es im Tarifvertr­ag steht oder weil er ein Zeichen der Solidaritä­t mit seinen Mitarbeite­rn setzt. Inzwischen steht fest: Der Staat will bei 100 Prozent Kurzarbeit – nach einigen Bezugsmona­ten und beschränkt auf die Dauer der Krise – demnächst bis zu 80 beziehungs­weise 87 Prozent des letzten Nettos auszahlen.

Einzelne Anträge vorziehen, weil die Nöte der Betroffene­n besonders groß sind, können Patzwall und Bunzel nicht. Es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. „Wir wissen aber, wie groß der Druck ist und versuchen, jeden Tag so viel wie möglich wegzuhauen“, sagen beide.

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TO: ANDREAS BRETZ Nicht kleckern, sondern klotzen: Stefan Bunzel (l.) und Frank Patzwall kümmern sich um die Anzeigen und Anträge zur Kurzarbeit. Inzwischen arbeiten sie auch samstags.

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