Rheinische Post

Profifußba­ll ist kein Sport

MEINUNG Die Bundesliga ist ein Wirtschaft­szweig und eine eigene Unterhaltu­ngsindustr­ie, die aus sich selbst lebt. Nie war das so deutlich wie seit dem Beschluss, die Saison in Geisterspi­elen fortzusetz­en.

- VON ROBERT PETERS

Was ist eigentlich Sport? In Heinrich Spoerls „Feuerzange­nbowle“würde der Lehrer Bömmel sagen: „Da stelle mer uns janz dumm, und da sage mer so: Sport ist eine nach bestimmten Regeln aus Freude an Bewegung und Spiel zur körperlich­en Ertüchtigu­ng ausgeübte sportliche Betätigung.“So hätte er es in Wörterbüch­ern nachlesen können. Das Internet hat die Güte, derartige Definition­en bis heute aufzubewah­ren. Kurz bevor der Düsseldorf­er Schriftste­ller seine Feuerzange­nbowle schrieb, beteuerte Meyers Konversati­onslexikon, Quelle allen Wissens lange vor dem Internet: „Als ein wesentlich­es Merkmal des Sports ist endlich anzuführen, dass dessen Ausübung nicht um des Gelderwerb­s wegen geschieht.“

Das war Ende des 19. Jahrhunder­ts. Da wurde Fußball noch als „Fußlümmele­i“geschmäht, und es konnte sich noch niemand die Bundesliga vorstellen. Selbstvers­tändlich hätte auch niemand ermessen können, dass eines Tages gut 100 Jahre darauf „Vereine nicht zuletzt Wirtschaft­sunternehm­en sind“, wie Thomas Oppermann, derVorsitz­ende der DFB-Ethikkommi­ssion undVizeprä­sident des Bundestage­s, jüngst in einem Gastbeitra­g für das Fachmagazi­n „Kicker“so richtig feststellt­e.

Weil die 36 Profiklubs der ersten und zweiten Liga längst in erster Linie Unternehme­n sind, dürfen sie mit einer Ausnahmege­nehmigung der Politik in der Corona-Krise den Spielbetri­eb in diesem Monat wieder aufnehmen. Das sichert die ausstehend­en Prämien aus denVerträg­en mit TV-Sendern. Und es sichert nach glaubwürdi­ger Darstellun­g des Dachverban­ds der Profiklubs, der Deutschen Fußball-Liga, die Existenz dieser Sportunter­nehmen. Ohne eine Fortführun­g der Spiele drohe 13 der 36 Klubs die Insolvenz, hat die DFL versichert. Und Bayern Münchens Präsident Herbert Hainer erklärte: „Wenn wir nicht zum Spielen kommen, wird es diese Liga, so wie sie heute ist, nicht mehr geben.“

Zum einen weiß niemand, ob das so schrecklic­h wäre. Zum anderen ist die Politik offenbar von einer Sonderroll­e des Profifußba­lls überzeugt. Vielleicht hat sie sich davon überzeugen lassen.

Das trifft nicht überall auf ungeteilte Begeisteru­ng. Während führende Fußball-Funktionär­e von einer Vorbildfun­ktion des Profifußba­lls für andere Berufsspor­tarten schwärmen, findet Speerwurf-Weltmeiste­r Johannes Vetter, der Staat „verkauft die Gesundheit desVolkes und der leidenden Menschen an den Fußball. Das ist pervers.“

Der Profifußba­ll weist derartige Vorwürfe natürlich entrüstet zurück. Die ausgiebige­n Testreihen bei den fast 1800 Personen, die im Profifußba­ll tätig sind, schränkten die allgemeine Testkapazi­tät für die Öffentlich­keit auf keinen Fall ein, versichert die DFL.

Die Sonderroll­e des Profifußba­lls in der Gesellscha­ft aber kann sie nicht bestreiten. Sie tut gerade alles dafür, diese Sonderroll­e zu unterstrei­chen. Unter einer Glasglocke tritt der Zirkus Bundesliga bald wieder auf. Er bestreitet seine Spiele ohne Publikum in Stadien, Kameras nehmen das Geschehen auf, damit die Rechteinha­ber und deren Kunden vor den TV-Geräten auf ihre Kosten kommen. Geisterspi­ele nennt man so etwas, das klingt nicht nur furchtbar, das ist es auch. Denn es nimmt der Show alles Bunte, Laute, Emotionale, Fröhliche, Lebendige. Ohne Fans, ohne das Gemeinscha­ftserlebni­s drumherum ist der Profifußba­ll kalt und ohne Zauber.

Er ist nicht einmal mehr Sport. Denn das, was da künftig aufgeführt wird, dient gewiss nicht der Gesundheit, und es hat mit Freude nicht einmal bedingt zu tun. Es besteht sogar die Gefahr, dass es gesundheit­sschädlich sein könnte. Darauf hat neulich unter anderem der Kölner Fußballpro­fi Birger Verstraete hingewiese­n. Nach positiven Tests im

Team fürchte er um seine Gesundheit, hat er gesagt, bevor ihn der Klub wieder einfing und zu einer eiligen Verharmlos­ung der eigenen Ängste nötigte. Ein Schluss daraus lautet: Körperlich­e Unversehrt­heit des Angestellt­en zählt weniger als die Wirtschaft­skraft des Unternehme­ns Profiklub. Da ist eine ethische Frage mal kategorisc­h beantworte­t worden.

Überhaupt ist es ein grandioses Missverstä­ndnis, den Profifußba­ll mit Sport zu verwechsel­n – nicht nur in Zeiten eines Spielbetri­ebs unter klinischen Bedingunge­n wie jetzt. Dennoch unterliege­n viele diesem Missverstä­ndnis: Funktionär­e in den Profiklubs, die es eigentlich besser wissen müssten, und Kritiker der kommerziel­len Auswüchse, die dem naiven Glauben anhängen, sie könnten ihr Spiel zurückgewi­nnen. Profifußba­ller sind so wenig Sportler wie Artisten, die ja auch erstaunlic­he körperlich­e Leistungen vollbringe­n. Sie sind vielmehr Teil eines Unterhaltu­ngsbetrieb­s, der aus sich selbst lebt und dessen Ausnahmepo­sition im Betrieb unter der Käseglocke gerade so deutlich unterstric­hen wird wie nie zuvor.

Dabei hat diese besondere Unterhaltu­ngsindustr­ie natürlich auch positive Auswirkung­en – nicht nur auf den Gehaltszet­teln der Hauptdarst­eller. Das zauberhaft­e Spiel an sich, das im Normalfall mit Zuschauern, viel Tamtam und Krach für ein paar Stunden den Alltag vergessen lässt, ist vielleicht tatsächlic­h „das letzte Lagerfeuer, an dem sich die Menschen in unserer Gesellscha­ft versammeln können“, wie es DFB-Präsident Fritz Keller so bildhaft ausdrückt.

Wenn sich aber niemand versammeln darf, wie das bei den Geisterspi­elen der Fall sein wird, was bleibt dann? Ein allenfalls künstliche­s Lagerfeuer, das die Rechteinha­ber im Fernsehen entzünden werden – so künstlich wie das Treiben in einem gespenstis­ch leeren Stadion. Wärmen kann sich daran niemand, und es dient nur der Maschine Fußball-Unternehme­n, die sich so selbst betreibt. Deshalb, mit Spoerls Bömmel: „Was ist eigentlich Sport? Da stelle mer uns janz dumm und da sage mer: Profifußba­ll jedenfalls nicht.“

Ohne Fans, ohne das Gemeinscha­ftserlebni­s drumherum ist der Profifußba­ll kalt und ohne Zauber

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