Profifußball ist kein Sport
MEINUNG Die Bundesliga ist ein Wirtschaftszweig und eine eigene Unterhaltungsindustrie, die aus sich selbst lebt. Nie war das so deutlich wie seit dem Beschluss, die Saison in Geisterspielen fortzusetzen.
Was ist eigentlich Sport? In Heinrich Spoerls „Feuerzangenbowle“würde der Lehrer Bömmel sagen: „Da stelle mer uns janz dumm, und da sage mer so: Sport ist eine nach bestimmten Regeln aus Freude an Bewegung und Spiel zur körperlichen Ertüchtigung ausgeübte sportliche Betätigung.“So hätte er es in Wörterbüchern nachlesen können. Das Internet hat die Güte, derartige Definitionen bis heute aufzubewahren. Kurz bevor der Düsseldorfer Schriftsteller seine Feuerzangenbowle schrieb, beteuerte Meyers Konversationslexikon, Quelle allen Wissens lange vor dem Internet: „Als ein wesentliches Merkmal des Sports ist endlich anzuführen, dass dessen Ausübung nicht um des Gelderwerbs wegen geschieht.“
Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Da wurde Fußball noch als „Fußlümmelei“geschmäht, und es konnte sich noch niemand die Bundesliga vorstellen. Selbstverständlich hätte auch niemand ermessen können, dass eines Tages gut 100 Jahre darauf „Vereine nicht zuletzt Wirtschaftsunternehmen sind“, wie Thomas Oppermann, derVorsitzende der DFB-Ethikkommission undVizepräsident des Bundestages, jüngst in einem Gastbeitrag für das Fachmagazin „Kicker“so richtig feststellte.
Weil die 36 Profiklubs der ersten und zweiten Liga längst in erster Linie Unternehmen sind, dürfen sie mit einer Ausnahmegenehmigung der Politik in der Corona-Krise den Spielbetrieb in diesem Monat wieder aufnehmen. Das sichert die ausstehenden Prämien aus denVerträgen mit TV-Sendern. Und es sichert nach glaubwürdiger Darstellung des Dachverbands der Profiklubs, der Deutschen Fußball-Liga, die Existenz dieser Sportunternehmen. Ohne eine Fortführung der Spiele drohe 13 der 36 Klubs die Insolvenz, hat die DFL versichert. Und Bayern Münchens Präsident Herbert Hainer erklärte: „Wenn wir nicht zum Spielen kommen, wird es diese Liga, so wie sie heute ist, nicht mehr geben.“
Zum einen weiß niemand, ob das so schrecklich wäre. Zum anderen ist die Politik offenbar von einer Sonderrolle des Profifußballs überzeugt. Vielleicht hat sie sich davon überzeugen lassen.
Das trifft nicht überall auf ungeteilte Begeisterung. Während führende Fußball-Funktionäre von einer Vorbildfunktion des Profifußballs für andere Berufssportarten schwärmen, findet Speerwurf-Weltmeister Johannes Vetter, der Staat „verkauft die Gesundheit desVolkes und der leidenden Menschen an den Fußball. Das ist pervers.“
Der Profifußball weist derartige Vorwürfe natürlich entrüstet zurück. Die ausgiebigen Testreihen bei den fast 1800 Personen, die im Profifußball tätig sind, schränkten die allgemeine Testkapazität für die Öffentlichkeit auf keinen Fall ein, versichert die DFL.
Die Sonderrolle des Profifußballs in der Gesellschaft aber kann sie nicht bestreiten. Sie tut gerade alles dafür, diese Sonderrolle zu unterstreichen. Unter einer Glasglocke tritt der Zirkus Bundesliga bald wieder auf. Er bestreitet seine Spiele ohne Publikum in Stadien, Kameras nehmen das Geschehen auf, damit die Rechteinhaber und deren Kunden vor den TV-Geräten auf ihre Kosten kommen. Geisterspiele nennt man so etwas, das klingt nicht nur furchtbar, das ist es auch. Denn es nimmt der Show alles Bunte, Laute, Emotionale, Fröhliche, Lebendige. Ohne Fans, ohne das Gemeinschaftserlebnis drumherum ist der Profifußball kalt und ohne Zauber.
Er ist nicht einmal mehr Sport. Denn das, was da künftig aufgeführt wird, dient gewiss nicht der Gesundheit, und es hat mit Freude nicht einmal bedingt zu tun. Es besteht sogar die Gefahr, dass es gesundheitsschädlich sein könnte. Darauf hat neulich unter anderem der Kölner Fußballprofi Birger Verstraete hingewiesen. Nach positiven Tests im
Team fürchte er um seine Gesundheit, hat er gesagt, bevor ihn der Klub wieder einfing und zu einer eiligen Verharmlosung der eigenen Ängste nötigte. Ein Schluss daraus lautet: Körperliche Unversehrtheit des Angestellten zählt weniger als die Wirtschaftskraft des Unternehmens Profiklub. Da ist eine ethische Frage mal kategorisch beantwortet worden.
Überhaupt ist es ein grandioses Missverständnis, den Profifußball mit Sport zu verwechseln – nicht nur in Zeiten eines Spielbetriebs unter klinischen Bedingungen wie jetzt. Dennoch unterliegen viele diesem Missverständnis: Funktionäre in den Profiklubs, die es eigentlich besser wissen müssten, und Kritiker der kommerziellen Auswüchse, die dem naiven Glauben anhängen, sie könnten ihr Spiel zurückgewinnen. Profifußballer sind so wenig Sportler wie Artisten, die ja auch erstaunliche körperliche Leistungen vollbringen. Sie sind vielmehr Teil eines Unterhaltungsbetriebs, der aus sich selbst lebt und dessen Ausnahmeposition im Betrieb unter der Käseglocke gerade so deutlich unterstrichen wird wie nie zuvor.
Dabei hat diese besondere Unterhaltungsindustrie natürlich auch positive Auswirkungen – nicht nur auf den Gehaltszetteln der Hauptdarsteller. Das zauberhafte Spiel an sich, das im Normalfall mit Zuschauern, viel Tamtam und Krach für ein paar Stunden den Alltag vergessen lässt, ist vielleicht tatsächlich „das letzte Lagerfeuer, an dem sich die Menschen in unserer Gesellschaft versammeln können“, wie es DFB-Präsident Fritz Keller so bildhaft ausdrückt.
Wenn sich aber niemand versammeln darf, wie das bei den Geisterspielen der Fall sein wird, was bleibt dann? Ein allenfalls künstliches Lagerfeuer, das die Rechteinhaber im Fernsehen entzünden werden – so künstlich wie das Treiben in einem gespenstisch leeren Stadion. Wärmen kann sich daran niemand, und es dient nur der Maschine Fußball-Unternehmen, die sich so selbst betreibt. Deshalb, mit Spoerls Bömmel: „Was ist eigentlich Sport? Da stelle mer uns janz dumm und da sage mer: Profifußball jedenfalls nicht.“
Ohne Fans, ohne das Gemeinschaftserlebnis drumherum ist der Profifußball kalt und ohne Zauber