„Nur der Impfstoff ist die Lösung“
Der Präsident des PaulEhrlich-Instituts über die Zulassung eines Corona-Impfstoffs, dessen gerechte Verteilung, mögliche Komplikationen und über Wissenschaftsfeinde.
DÜSSELDORF
Weltweit suchen Forscher in mehr als 100 Projekten nach einem Mittel gegen den Erreger der neuen Infektionskrankheit Covid-19. Vor allem ein Impfstoff wird sehnlichst erwartet. Über dessen Zulassung entscheidet maßgeblich das im hessischen Langen ansässige Paul-Ehrlich-Institut. Ein Anruf beim Präsidenten der Bundesbehörde.
Herr Cichutek, fast jeden Tag erreichen uns Nachrichten, wonach ein Unternehmen einen Meilenstein bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs erreicht hat. Wie bewerten Sie die derzeitigen Forschungsprojekte?
CICHUTEK
Weltweit gibt es acht Impfstoffprojekte in der klinischen Entwicklung. Doch was heißt das? Alle Arzneimittelentwickler und Regulatoren müssen prüfen, ob ein potenzieller Impfstoff eine spezifische Immunantwort hervorruft. In Deutschland berät das Paul-Ehrlich-Institut zu allen Impfstoffkonzepten gleichermaßen und macht keinen Unterschied. Es wäre viel zu früh für eine Priorisierung eines bestimmten Impfstoffkonzepts. Wir wissen aber aus unseren Beratungsgesprächen mit den Arzneimittelentwicklern, dass nach Herstellerangaben bei mRNA-Impfstoffen die Herstellung von größeren Dosen in kürzerer Zeit von wenigen Wochen erfolgen könnte und damit schneller, als das bei anderen Konzepten vielleicht der Fall wäre. Die Sicherheitsanforderungen bei der Herstellung sind zudem etwas niedriger als bei Impfstoffen, für die der Erreger in großen Mengen angezüchtet werden muss, weil nur Erbinformation von ungefährlichen Erreger-Bestandteilen vermehrt wird und nicht das infektiöse Virus.
Können Sie kurz erklären, was mRNA-Impfstoffe auszeichnet?
Diese Impfstoffe enthalten die Erbinformationen mRNA, die den Bauplan für diejenigen Virusstrukturen umfassen, die vom menschlichen Immunsystem erkannt werden und zur Erzeugung einer schützenden Immunantwort durch die Impfung dienen. Diese Erbinformation wird vom Körper als Bauplan genommen, die einzelne Virusstruktur – das Spike-Protein oder ein Teil davon – in wenigen Körperzellen selbst zu produzieren. Die Zellen präsentieren dieses sogenannte Antigen dem Immunsystem, was die gewünschte Immunantwort auslöst. Bei einem späteren Kontakt der geimpften Person mit Sars-CoV-2 erkennt das Immunsystem diese Antigene wieder und kann das Virus gezielt bekämpfen, weil das Immunsystem durch die Impfung darauf vorbereitet wurde. Vorteil dieser mRNA-Impfstoffe könnte unter anderem sein, dass davon relativ schnell viele Impfdosen hergestellt werden können. Bisher aber noch nicht ermittelt ist die Menge RNA pro Impfstoffdosis, die für einen Immunschutz notwendig ist.
Gesundheitsminister Jens Spahn mutmaßt, dass es auch noch Jahre dauern könnte, bis ein Impfstoff verfügbar ist – aufgrund möglicher Rückschläge. Wie sehen Sie das?
Meine Standardantwort folgt der aktuellen Einschätzung der WHO: 15 bis 18 Monate. Gerechnet ab jetzt. Ich muss betonen, dass wir trotz aller Erfolgsmeldungen noch in einer frühen Phase der Entwicklung sind und nicht in einer späten. Es ist erfreulich, dass wir weltweit bisher mehr als 100 Forschungsprojekte haben, die sich mit einem Impfstoff beschäftigen. Eine der klinischen Studien haben wir als Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland ja auch schon genehmigt. Ich rechne damit, dass wir im Laufe des Jahres noch drei weitere Anträge eingereicht bekommen und genehmigen können. Am Ende brauchen Sie aber einen Datensatz, der zeigt, dass ein Impfstoffprodukt wirkt und dass es sicher ist, also keine schweren Nebenwirkungen hervorruft. Auf diesemWeg gibt es theoretisch natürlich Tausende mögliche Komplikationen.
Es wurde ja bereits versucht, Impfstoffe gegen Coronaviren zu entwickeln. Gelungen ist das bisher nie. Warum nicht?
Die Projekte gegen das Sars-Coronavirus-1, das 2003 in Asien aufgetreten ist, waren erfolgversprechend, sind dann aber eingestellt worden aus Mangel an Bedarf. Beim Mers-Coronavirus sind wir drangeblieben und stehen kurz vor weiteren klinischen Prüfungen. Weil das Mers-Coronavirus nur noch in bestimmten Regionen beim Menschen vorkommt, können Arzneimittelentwickler alternativ beim Wirksamkeitsnachweis auf Tierdaten ausweichen. Das klingt alles vielleicht nach geringfügigem Erfolg, doch helfen uns diese Erkenntnisse jetzt bei der Entwicklung eines Impfstoffs für Sars-CoV-2 sehr. Auch bei der Ebola-Krise haben wir nicht mit Entwicklungen aufgehört, nachdem es den ersten Impfstoff gab.
Man versucht eine Art vorhaltende Forschung zu betreiben für den Fall einer neuen Pandemie?
Genau. Wenn es einen neuen Erreger gibt, könnten wir dann viel schneller reagieren und müssten die Suche nach einem Impfstoff nicht erst beginnen, was mehrere Jahre dauert. Unter anderem deshalb wurde ja die internationale Impfstoff-Allianz Cepi gegründet. Auch das Paul-Ehrlich-Institut hat hierzu die Erforschung von Impfstoffkonzepten im Labor laufen, dies sind allerdings keine Produktentwicklungen, sondern
Forschungsprojekte im Labor. Solche Projekte müssen wir vorantreiben, auch wenn es keine akute Pandemie gibt.
Das passiert bisher nicht ausreichend?
Es gibt schon einige Projekte in diese Richtung, vor allem seit dem Auftreten des Mers-Coronavirus. Doch wir müssen die Pandemiepläne weiter schärfen und vorbeugende Forschung konzeptionieren, um bei neuenVirusausbrüchen schneller einen Impfstoff bereitstellen zu können.
Wie läuft der Zulassungsprozess bei einem Impfstoff ab?
Es gibt einen breiten Katalog an Kriterien, die für einen Impfstoff erfüllt sein müssen. Darunter fällt neben der Datenerhebung zur Sicherheit und Wirksamkeit zum Beispiel die qualitätsgesicherte Herstellung, also dass es stets gelingt, das Produkt in der gleichen hohen Qualität herzustellen. Rein technisch wird dann ein großer Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur Ema eingereicht. Die Experten der Arzneimittelbehörden der europäischen Länder, in Deutschland eben das Paul-Ehrlich-Institut, sitzen im zuständigen Gremium der Ema, dem Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP, und bewerten gemeinsam den Antrag. Meistens gibt es dann Rückfragen an den Antragsteller. Anschließend empfiehlt der CHMP der EU-Kommission, ob der jeweilige Impfstoff zugelassen werden sollte oder nicht. Das Ganze dauert normalerweise mindestens ein Jahr nach der Einreichung des Antrags. Es gibt aber Überlegungen, wie man diesen Prozess stark beschleunigen könnte, ohne Abstriche bei der Sorgfalt machen zu müssen. Das könnte etwa durch mehr Personaleinsatz gelingen und indem mehrere Antragsteile vorab bewertet werden, was man „rolling review“nennt.
Wie könnte denn eine globale Verteilung zum Start aussehen? Es wird ja nicht gelingen, von Anfang an die gesamte Bevölkerung mit Impfstoff zu versorgen, sondern zunächst nur bestimmte Gruppen.
CICHUTEK Es ist anzunehmen, dass es zu Beginn eine gewisse Priorisierung geben wird. Es würden also erst die geimpft, die eine erhöhte Anste
ckungsgefahr haben – etwa medizinisches Personal –, und dann zum Beispiel Menschen, bei denen es voraussichtlich schwere Verläufe geben könnte, wenn sie sich anstecken. Insgesamt darf der Impfstoff aber nicht für einige Staaten oder Regionen reserviert werden. Wir müssen global und gleichberechtigt vorgehen. Darüber werden auch bereits politische Diskussionen geführt.
Was halten Sie von einer Impfpflicht?
Mit Impfungen können wir die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wirksam bekämpfen. Im Fall von Sars-CoV-2 scheint die Bereitschaft zur Impfung sehr hoch zu sein. Das könnte sich vermutlich auch in der geringen Zahl der Impfgegner widerspiegeln. Denn meist ist es ja so, dass Impfgegner die Notwendigkeit und den Nutzen von bestimmten Impfungen gar nicht mehr erkennen, weil in ihrem Umfeld die jeweilige Infektionskrankheit nicht mehr auftritt. Beim neuen Coronavirus ist das anders. Heute sehen Sie vielleicht Menschen in Ihrem unmittelbaren Umfeld, die schwer an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 erkranken. Ich glaube, wir alle verstehen die Brisanz der Lage.Wir wollen wieder zu einem normalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zurückkehren. Mit den bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gewinnen wir Zeit, um einen Impfstoff zu bekommen, den wir dringend brauchen. Denn nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems.