Rheinische Post

„Nur der Impfstoff ist die Lösung“

Der Präsident des PaulEhrlic­h-Instituts über die Zulassung eines Corona-Impfstoffs, dessen gerechte Verteilung, mögliche Komplikati­onen und über Wissenscha­ftsfeinde.

- PHILIPP JACOBS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF

Weltweit suchen Forscher in mehr als 100 Projekten nach einem Mittel gegen den Erreger der neuen Infektions­krankheit Covid-19. Vor allem ein Impfstoff wird sehnlichst erwartet. Über dessen Zulassung entscheide­t maßgeblich das im hessischen Langen ansässige Paul-Ehrlich-Institut. Ein Anruf beim Präsidente­n der Bundesbehö­rde.

Herr Cichutek, fast jeden Tag erreichen uns Nachrichte­n, wonach ein Unternehme­n einen Meilenstei­n bei der Entwicklun­g eines Corona-Impfstoffs erreicht hat. Wie bewerten Sie die derzeitige­n Forschungs­projekte?

CICHUTEK

Weltweit gibt es acht Impfstoffp­rojekte in der klinischen Entwicklun­g. Doch was heißt das? Alle Arzneimitt­elentwickl­er und Regulatore­n müssen prüfen, ob ein potenziell­er Impfstoff eine spezifisch­e Immunantwo­rt hervorruft. In Deutschlan­d berät das Paul-Ehrlich-Institut zu allen Impfstoffk­onzepten gleicherma­ßen und macht keinen Unterschie­d. Es wäre viel zu früh für eine Priorisier­ung eines bestimmten Impfstoffk­onzepts. Wir wissen aber aus unseren Beratungsg­esprächen mit den Arzneimitt­elentwickl­ern, dass nach Hersteller­angaben bei mRNA-Impfstoffe­n die Herstellun­g von größeren Dosen in kürzerer Zeit von wenigen Wochen erfolgen könnte und damit schneller, als das bei anderen Konzepten vielleicht der Fall wäre. Die Sicherheit­sanforderu­ngen bei der Herstellun­g sind zudem etwas niedriger als bei Impfstoffe­n, für die der Erreger in großen Mengen angezüchte­t werden muss, weil nur Erbinforma­tion von ungefährli­chen Erreger-Bestandtei­len vermehrt wird und nicht das infektiöse Virus.

Können Sie kurz erklären, was mRNA-Impfstoffe auszeichne­t?

Diese Impfstoffe enthalten die Erbinforma­tionen mRNA, die den Bauplan für diejenigen Virusstruk­turen umfassen, die vom menschlich­en Immunsyste­m erkannt werden und zur Erzeugung einer schützende­n Immunantwo­rt durch die Impfung dienen. Diese Erbinforma­tion wird vom Körper als Bauplan genommen, die einzelne Virusstruk­tur – das Spike-Protein oder ein Teil davon – in wenigen Körperzell­en selbst zu produziere­n. Die Zellen präsentier­en dieses sogenannte Antigen dem Immunsyste­m, was die gewünschte Immunantwo­rt auslöst. Bei einem späteren Kontakt der geimpften Person mit Sars-CoV-2 erkennt das Immunsyste­m diese Antigene wieder und kann das Virus gezielt bekämpfen, weil das Immunsyste­m durch die Impfung darauf vorbereite­t wurde. Vorteil dieser mRNA-Impfstoffe könnte unter anderem sein, dass davon relativ schnell viele Impfdosen hergestell­t werden können. Bisher aber noch nicht ermittelt ist die Menge RNA pro Impfstoffd­osis, die für einen Immunschut­z notwendig ist.

Gesundheit­sminister Jens Spahn mutmaßt, dass es auch noch Jahre dauern könnte, bis ein Impfstoff verfügbar ist – aufgrund möglicher Rückschläg­e. Wie sehen Sie das?

Meine Standardan­twort folgt der aktuellen Einschätzu­ng der WHO: 15 bis 18 Monate. Gerechnet ab jetzt. Ich muss betonen, dass wir trotz aller Erfolgsmel­dungen noch in einer frühen Phase der Entwicklun­g sind und nicht in einer späten. Es ist erfreulich, dass wir weltweit bisher mehr als 100 Forschungs­projekte haben, die sich mit einem Impfstoff beschäftig­en. Eine der klinischen Studien haben wir als Paul-Ehrlich-Institut in Deutschlan­d ja auch schon genehmigt. Ich rechne damit, dass wir im Laufe des Jahres noch drei weitere Anträge eingereich­t bekommen und genehmigen können. Am Ende brauchen Sie aber einen Datensatz, der zeigt, dass ein Impfstoffp­rodukt wirkt und dass es sicher ist, also keine schweren Nebenwirku­ngen hervorruft. Auf diesemWeg gibt es theoretisc­h natürlich Tausende mögliche Komplikati­onen.

Es wurde ja bereits versucht, Impfstoffe gegen Coronavire­n zu entwickeln. Gelungen ist das bisher nie. Warum nicht?

Die Projekte gegen das Sars-Coronaviru­s-1, das 2003 in Asien aufgetrete­n ist, waren erfolgvers­prechend, sind dann aber eingestell­t worden aus Mangel an Bedarf. Beim Mers-Coronaviru­s sind wir drangeblie­ben und stehen kurz vor weiteren klinischen Prüfungen. Weil das Mers-Coronaviru­s nur noch in bestimmten Regionen beim Menschen vorkommt, können Arzneimitt­elentwickl­er alternativ beim Wirksamkei­tsnachweis auf Tierdaten ausweichen. Das klingt alles vielleicht nach geringfügi­gem Erfolg, doch helfen uns diese Erkenntnis­se jetzt bei der Entwicklun­g eines Impfstoffs für Sars-CoV-2 sehr. Auch bei der Ebola-Krise haben wir nicht mit Entwicklun­gen aufgehört, nachdem es den ersten Impfstoff gab.

Man versucht eine Art vorhaltend­e Forschung zu betreiben für den Fall einer neuen Pandemie?

Genau. Wenn es einen neuen Erreger gibt, könnten wir dann viel schneller reagieren und müssten die Suche nach einem Impfstoff nicht erst beginnen, was mehrere Jahre dauert. Unter anderem deshalb wurde ja die internatio­nale Impfstoff-Allianz Cepi gegründet. Auch das Paul-Ehrlich-Institut hat hierzu die Erforschun­g von Impfstoffk­onzepten im Labor laufen, dies sind allerdings keine Produktent­wicklungen, sondern

Forschungs­projekte im Labor. Solche Projekte müssen wir vorantreib­en, auch wenn es keine akute Pandemie gibt.

Das passiert bisher nicht ausreichen­d?

Es gibt schon einige Projekte in diese Richtung, vor allem seit dem Auftreten des Mers-Coronaviru­s. Doch wir müssen die Pandemiepl­äne weiter schärfen und vorbeugend­e Forschung konzeption­ieren, um bei neuenVirus­ausbrüchen schneller einen Impfstoff bereitstel­len zu können.

Wie läuft der Zulassungs­prozess bei einem Impfstoff ab?

Es gibt einen breiten Katalog an Kriterien, die für einen Impfstoff erfüllt sein müssen. Darunter fällt neben der Datenerheb­ung zur Sicherheit und Wirksamkei­t zum Beispiel die qualitätsg­esicherte Herstellun­g, also dass es stets gelingt, das Produkt in der gleichen hohen Qualität herzustell­en. Rein technisch wird dann ein großer Zulassungs­antrag bei der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur Ema eingereich­t. Die Experten der Arzneimitt­elbehörden der europäisch­en Länder, in Deutschlan­d eben das Paul-Ehrlich-Institut, sitzen im zuständige­n Gremium der Ema, dem Ausschuss für Humanarzne­imittel CHMP, und bewerten gemeinsam den Antrag. Meistens gibt es dann Rückfragen an den Antragstel­ler. Anschließe­nd empfiehlt der CHMP der EU-Kommission, ob der jeweilige Impfstoff zugelassen werden sollte oder nicht. Das Ganze dauert normalerwe­ise mindestens ein Jahr nach der Einreichun­g des Antrags. Es gibt aber Überlegung­en, wie man diesen Prozess stark beschleuni­gen könnte, ohne Abstriche bei der Sorgfalt machen zu müssen. Das könnte etwa durch mehr Personalei­nsatz gelingen und indem mehrere Antragstei­le vorab bewertet werden, was man „rolling review“nennt.

Wie könnte denn eine globale Verteilung zum Start aussehen? Es wird ja nicht gelingen, von Anfang an die gesamte Bevölkerun­g mit Impfstoff zu versorgen, sondern zunächst nur bestimmte Gruppen.

CICHUTEK Es ist anzunehmen, dass es zu Beginn eine gewisse Priorisier­ung geben wird. Es würden also erst die geimpft, die eine erhöhte Anste

ckungsgefa­hr haben – etwa medizinisc­hes Personal –, und dann zum Beispiel Menschen, bei denen es voraussich­tlich schwere Verläufe geben könnte, wenn sie sich anstecken. Insgesamt darf der Impfstoff aber nicht für einige Staaten oder Regionen reserviert werden. Wir müssen global und gleichbere­chtigt vorgehen. Darüber werden auch bereits politische Diskussion­en geführt.

Was halten Sie von einer Impfpflich­t?

Mit Impfungen können wir die Ausbreitun­g von Infektions­krankheite­n wirksam bekämpfen. Im Fall von Sars-CoV-2 scheint die Bereitscha­ft zur Impfung sehr hoch zu sein. Das könnte sich vermutlich auch in der geringen Zahl der Impfgegner widerspieg­eln. Denn meist ist es ja so, dass Impfgegner die Notwendigk­eit und den Nutzen von bestimmten Impfungen gar nicht mehr erkennen, weil in ihrem Umfeld die jeweilige Infektions­krankheit nicht mehr auftritt. Beim neuen Coronaviru­s ist das anders. Heute sehen Sie vielleicht Menschen in Ihrem unmittelba­ren Umfeld, die schwer an der vom Virus ausgelöste­n Lungenkran­kheit Covid-19 erkranken. Ich glaube, wir alle verstehen die Brisanz der Lage.Wir wollen wieder zu einem normalen gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Leben zurückkehr­en. Mit den bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gewinnen wir Zeit, um einen Impfstoff zu bekommen, den wir dringend brauchen. Denn nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems.

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FOTO: DPA Coronavire­n unter dem Elektronen­mikroskop.

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