Rheinische Post

Thyssenkru­pp verbrennt Milliarden

Die Corona-Krise verschärft die Lage. 30.000 Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Der Erlös aus dem Elevator-Verkauf könnte nötig sein, um die Löcher der anderen Sparten zu stopfen. Bund und Land bieten Staatshilf­e an.

- VON ANTJE HÖNING, BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Der Niedergang von Thyssenkru­pp setzt sich fort: Im ersten Halbjahr machte der Ruhrkonzer­n einenVerlu­st von 1,3 Milliarden Euro. Und es wird noch schlimmer werden: Im dritten Quartal, das bis Ende Juni läuft, sei ein Verlust bis hin zu einer Milliarde Euro nicht auszuschli­eßen, sagte der neue Finanzvors­tand Klaus Keysberg vor Journalist­en. Zu den Problemen der Stahlspart­e kommt die Corona-Krise hinzu, die die Nachfrage der Autoindust­rie einbrechen lässt. „Die Pandemie stellt uns vor gewaltige Herausford­erungen, noch ist das ganze Ausmaß der Krise für unsere Geschäfte nicht vollständi­g absehbar“, sagte Konzern-Chefin Martina Merz. Dies werde„sehr tiefe Spuren“hinterlass­en.

In einem Brief an die Mitarbeite­r hatte sie bereits gewarnt, es dürfe nichts mehr ausgeschlo­ssen werden. Das dürfte sich vor allem auf eine Verschärfu­ng des Stellenabb­aus undVerkäuf­e beziehen. Bislang hatte der Konzern angekündig­t, bis 2021/22 rund 6000 der 160.000 Arbeitsplä­tze abzubauen, davon 2000 im Stahlberei­ch. Bis 2025/26 sollen weitere 1000 Stahljobs wegfallen. Daraus dürften bald noch mehr Stellen werden, wie auch Personalvo­rstand Oliver Burkhard schon angedeutet hatte.

Denn alles, was wichtig ist, ist rot bei Thyssenkru­pp: Der Cashflow liegt (auch wegen einer Kartellbuß­e bei Grobbleche­n) bei minus 2,7 Milliarden Euro. Die Nettoschul­den sind auf 7,5 Milliarden Euro in die Höhe geschnellt. Die Stahlspart­e macht einen Verlust von 372 Millionen. Die Aktie stürzte zeitweise um 18 Prozent ab auf 4,05 Euro, Händler sprachen von einem Desaster. 2007 stand sie bei 45 Euro.

Um die Liquidität zu sichern, hat sich Thyssenkru­pp einen Kredit über eine Milliarde Euro aus dem Rettungssc­hirm der Förderbank KfW gesichert. Nun hofft Martina Merz auf die Zahlungen aus dem Verkauf des Aufzugsges­chäfts: Für 17 Milliarden Euro soll es an die Finanzinve­storen Advent und Cinven sowie die RAG-Stiftung gehen. Von den 13 erforderli­chen Kartellfre­igaben lägen bereits acht vor, sagte Keysberg. Auch bei der EU habe man den Deal angemeldet.„Wir erwarten den Abschluss desVerkauf­s bis Ende September“, so der Finanzvors­tand.

Thyssenkru­pp Elevator ist die Ertragsper­le des Konzerns. Sie lieferte als einzige Sparte im ersten Halbjahr einen nennenswer­ten Gewinn ab, nämlich 402 Millionen Euro. Keysberg erwartet nicht, dass die Investoren wegen der Corona-Krise den Deal noch einmal aufschnüre­n:„Der Verkauf ist durchverha­ndelt, die Finanzieru­ng steht.“Allerdings sollen die Finanzinve­storen laut Branchenkr­eisen versuchen, das Ganze für sie günstiger zu machen, indem sie weitere Geldgeber an Bord holen und so den Fremdkapit­al-Anteil erhöhen. Für die 53.000 Mitarbeite­r von Elevator wäre das keine gute Nachricht: Damit würde der Druck steigen, hohe Ausschüttu­ngen an die neuen Eigentümer zu leisten.

Wenn die Stahlkrise weitergeht, ist das Geld aus dem Elevator-Verkauf ohnehin bald weg. „Die Erlöse aus dem Verkauf der Aufzugsspa­rte schmelzen wie Butter in der Sonne“, sagte Michael Muders, Fondsmanag­er bei Union Investment. Der Handlungsb­edarf sei dringender denn je. Das sehen auch Bund und Land so. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium signalisie­rte Hilfe. „Zum Thema Thyssenkru­pp gilt das Gleiche wie für alle Unternehme­n: Wir haben einen historisch­en Schutzschi­rm für die Unternehme­n aufgespann­t, um sie bestmöglic­h während der Corona-Krise zu unterstütz­en und die wirtschaft­liche Substanz in Deutschlan­d zu erhalten“, sagte eine Sprecherin des Ministeriu­ms. „Dazu wenden wir verschiede­ne Instrument­e und Maßnahmen an, wie Zuschüsse, Kredite, Bürgschaft­en und Kapitalerh­öhungen.“

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet hatte zuvor im Interview mit unserer Redaktion gesagt, man stemme sich gegen das Schreckens­szenario einer Deindustri­alisierung. „Wir brauchen eine Perspektiv­e für die Stahlindus­trie. Sie können wir mit der Wasserstof­ftechnolog­ie stärken, ähnlich wie bei der Autoindust­rie die Elektromob­ilität durch einen Nachhaltig­keitsfakto­r. So können wir auch die Konjunktur ankurbeln.“Laschet sitzt auch im Kuratorium der Krupp-Stiftung.

Auch Thyssenkru­pp selbst versucht gegenzuste­uern und hat mittlerwei­le weltweit 30.000 seiner 160.000 Mitarbeite­r in Kurzarbeit geschickt – zunächst bis August. Zudem prüft der Konzern den Verkauf weiterer Töchter. Man sei in informelle­n Gesprächen über die Konsolidie­rung derWerften­tochter Marine Systems, so Keysberg. Am Montag kommt der Aufsichtsr­at zusammen.

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FOTO: DPA Die Zentrale von Thyssenkru­pp in Essen. Auch hier werden Stellen gestrichen.

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