Pflege durch Krise auf dem Prüfstand
Die Pandemie hat den Blick auf die Bedingungen der Pflege geschärft. Doch auch jenseits der Ausnahmesituation bleiben die Herausforderungen in Düsseldorf groß. Vor allem stationäre Plätze fehlen.
Die Pandemie hat den Blick auf die Bedingungen geschärft. Doch auch jenseits der Ausnahmesituation sind die Herausforderungen groß.
DÜSSELDORF Alten- und Pflegeheime stehen in der Corona-Krise im Fokus. Neben aktuellen gibt es in der Landeshauptstadt auch eine Reihe struktureller Probleme. Die wichtigsten Fakten im Überblick.
Gibt es genug stationäre Pflegeplätze? Nein.„Bei uns im Büro stehen dicke Ordner mit Anfragen und Wartelisten. Vor allem Menschen, die rasch einen Platz benötigen, können wir häufig keine Zusage geben“, sagt Sandra Palm, die das Seniorenzentrum Wersten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) leitet. Die Erfahrungen der Fachkraft teilen die meisten ihrer Kollegen. 5000 stationäre Plätze gibt es in Düsseldorf, mindestens 6000 müssten es sein. Doch dafür fehlen in der boomenden Metropole vor allem Grundstücke. Hinzu kommt: Der Anteil der Menschen über 60 an der Gesamtbevölkerung steigt. Laut Prognosen wird es 2030 rund 663.000 Menschen in der Landeshauptstadt geben, 175.000 davon werden älter als 59 Jahre sein. Das entspräche einem Anteil von 26,4 Prozent. Hinzu kommen Vorgaben aus der Politik. So hatte die letzte rot-grüne Landesregierung die Gesamtzahl der Plätze in neuen Einrichtungen auf 80 gedeckelt und zusätzlich bestimmt, dass es in Neubauten nur noch Einzelzimmer geben darf. Der dazu passende Leitsatz lautete: ambulant geht vor stationär. Inzwischen dürfen Heime wieder etwas größer sein, allerdings nur dann, wenn sie zusätzliche Kurzzeitpflege-Plätze anbieten. „Wir hätten in unserem neuen Hildegardis-Heim in Garath ohne weiteres zwei zusätzliche Etagen bauen können, aber wir durften es nicht“, kritisiert Caritasdirektor Henric Peeters die aus seiner Sicht einengenden Vorgaben. Dass die Nachfrage nach einem Platz im Heim in der Corona-Krise deutlich zurückgegangen ist, halten die Träger für eine Momentaufnahme, die an der angespannten Düsseldorfer Situation mittel- und langfristig nichts ändern wird.
Wie hat die Corona-Krise die Pflege verändert? „Man hat jetzt verstanden, dass Pflege Daseinsfürsorge und deshalb systemrelevant ist“, sagt Bert Römgens, Leiter des Nelly-Sachs-Hauses, dem Altenheim der Jüdischen Gemeinde. Den geplanten Corona-Bonus, der mit einer Einmalzahlung von bis zu 1500 Euro die besonderen Belastungen der Pflegekräfte anerkennen will, begrüßt er.Was der Heimleiter dagegen kritisch sieht, ist die öffentliche Wahrnehmung der Pflegekräfte jenseits des inzwischen verklungenen Applauses auf den Balkonen. „Niemand käme auf die Idee, die Fachkompetenz eines gut ausgebildeten KFZ-Mechanikers in Frage zu stellen, aber bei uns ist genau das geschehen“, sagt Römgens.Was meint er damit? „Man hatte zunehmend den Eindruck, dass Senioren wegen des Besuchsverbotes komplett vereinsamen und im schlimmsten Fall seelisch zugrunde gehen. Und dass es sogar gefährlich werden könnte, weil die Kontrolle durch Angehörige coronabedingt unterbleibt.“Das habe viele Pflegekräfte gekränkt, denn für sie sei es selbstverständlich, Bewohner gezielt anzusprechen, für viele kleine Erlebnisse, gute emotionale Momente und einen guten Kontakt zu den Angehörigen über Laptops, iPads und Skype zu sorgen. „Wir gehen gut mit Menschen um, auch dann, wenn kein Besuch da ist“, sagt Römgens.
Funktionieren die neuen Besuchsregeln? Weitgehend. Dass ein persönliches Treffen inzwischen in Be
suchszonen und in Zelten – meist hinter Acrylglas – wieder möglich ist, begrüßen die Fachkräfte. Bei der Einführung zum Muttertagswochenende fühlten sie sich allerdings von der NRW-Landespolitik überrumpelt. „Es hätte weitsichtiger passieren müssen, schließlich geht man nicht ein Auto kaufen, sondern muss Menschen, darunter auch an Demenz Erkrankte, begleiten und auf eine für sie ungewohnte Situation vorbereiten“, sagt Sandra Palm. „EinVorlauf von drei, vier Tagen war für alle Beteiligten eine Zumutung“, sagt Hans Zoethout, Leiter des Katharina-von-Bora-Hauses der Diakonie. Inzwischen hätten sich die Treffen unter strengen Auflagen eingespielt. „Wir haben zwei Zelte, in denen wir jeweils zwischen 10 und 16 Uhr bis zu acht Besucher empfangen können“, sagt er. Die meisten Heimbewohner und ihre Angehörigen seien froh über ein Stück wieder gewonnene Lebensqualität.
Vereinzelt wird aber auch Kritik laut. „Bis vor kurzem konnte ich meine Mutter im Tersteegen-Haus der Diakonie spontan am Gartenzaun besuchen, ein Flatterband stellte sicher, dass wir auf Abstand blieben“, sagt Rainer Kretschman. Doch jetzt sei genau das unterbunden worden. „Ich muss mich mindestens einen Tag vorher anmelden und spontane Pausen, die sich bei meiner Arbeit schon mal ergeben, kann ich nicht mehr nutzen. Das ist doch keine Lockerung, sondern eine Verschärfung“, bemängelt der CDU-Ratsherr.Volker Tewes, der das Haus in Golzheim leitet, wirbt um Verständnis: „Unsere Senioren zählen zur Hochrisikogruppe, entspre
chend klar sind die Vorgaben in der Verordnung, die die Besuche regelt.“Dazu zählten eine Registrierung sowie genaue Angaben über Kontakte und den eigenen Gesundheitszustand. „Bei einem Treffen am Zaun ist das nicht umsetzbar. Unser Haus ist bislang frei von Covid-19 und soll es auch bleiben“, sagt Tewes.
Kann das Platzangebot in Düsseldorf verbessert werden? Oberbürgermeister Thomas Geisel hatte im Februar einen Pflegegipfel angekündigt, an dem neben den Trägern der Heime und dem Seniorenrat auch Bau- und Planungsexperten teilnehmen. Eigentlich hätte das Treffen bis Ostern stattfinden sollen. Doch dann kam die Pandemie. „Ich habe noch keine Einladung erhalten“, sagt Peeters, der auch Sprecher der Liga derWohlfahrtsverbände ist. Zu ihr gehören in Düsseldorf neben der Caritas die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, die Jüdische Gemeinde sowie der Paritätische. Geisel und Sozialdezernent Burkhard Hintzsche wollen die Mitglieder der Liga gerne in die Pflicht nehmen. „Wir lassen intensiv prüfen, wo es freie Flächen gibt, die für Neu- oder Erweiterungsbauten infrage kommen. Von den Trägern erwarten wir, dass sie dieses Angebot dann auch tatsächlich für neue Einrichtungen nutzen“, sagt der Rathaus-Chef. Liga-Chef Peeters spielt den Ball zurück: „Wenn die Stadt wirklich Grundstücke ausfindig macht und sie uns zu Erbpacht-Konditionen anbietet, werden wir nicht zögern, neue Heim-Kapazitäten zu schaffen.“