Rheinische Post

Die Gefahr von Hotspots

In den vergangene­n Wochen kam es zu einzelnen massiven Coronaviru­s-Ausbrüchen. Vor allem Flüchtling­sheime und Schlachtbe­triebe waren betroffen, künftig könnten es Schulen sein. Begünstigt das eine weitere Infektions­welle?

- VON SUSANNE HAMANN UND PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Den Sumpf austrockne­n. Die Worte von NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann waren drastisch. „Ich betreibe da jetzt eine Politik der Null-Toleranz“, sagte Laumann jüngst im WDR, nachdem er auf die Corona-Fälle in einem Coesfelder Schlachtbe­trieb angesproch­en worden war. „Wir müssen jetzt diesen Sumpf austrockne­n. Die Pandemie gibt uns die Möglichkei­t, das zu tun.“

Deutschlan­dweit kam es zuletzt zu mehreren Coronaviru­s-Ausbrüchen in der Fleischind­ustrie. Die Bundesregi­erung wollte eigentlich an diesem Montag über das Thema sprechen, hat die Zusammenku­nft aber auf Mittwoch verschoben. Es gebe noch Beratungsb­edarf, hieß es aus Regierungs­kreisen in Berlin. Im Zentrum der Diskussion steht der Umgang mit saisonalen Arbeitskrä­ften aus dem Ausland. Es ist keine neue Debatte, denn die Unterkunft­sbedingung­en in der Branche stehen seit Jahren in der Kritik. Doch das Virus schärft den Fokus.

„Wir haben eine überhöhte Billigflei­sch-Industrie, die es zu bekämpfen gilt“, sagt der SPD-Gesundheit­sexperte und Epidemiolo­ge Karl Lauterbach. Man müsse nun abwägen, welche Maßnahmen kurzfristi­g die Virusausbr­eitung in solchen Betrieben unterbinde­n, und gleichzeit­ig schauen, wie man die dortigen prekären Arbeitsver­hältnisse grundsätzl­ich in den Griff bekomme.

Das Gesundheit­samt im RheinKreis-Neuss hat in den vergangene­n Tagen alle Landwirte in seinem Gebiet abtelefoni­ert. Gefragt wurde nach der Zahl der Erntehelfe­r auf jedem Hof und nach dem angewendet­en Hygienekon­zept.„Jetzt prüfen wir, ob wir flächendec­kend Corona-Tests auf allen Höfen durchführe­n“, sagt ein Sprecher des Gesundheit­samts. Einiges deutet darauf hin, dass der Rhein-Kreis-Neuss derzeit der einzige Kreis ist, der über eine solche Maßnahme nachdenkt. Ein Sprecher des Kreises Heinsberg betont, dass solche Prüfungen nur bei Verdachtsf­ällen durchgefüh­rt würden. Auch im Rhein-Sieg-Kreis stehen derzeit keine Tests an.

Doch es sind nicht nur die Schlachtbe­triebe, in denen es zuletzt zu Ausbrüchen kam. Auch in einigen Flüchtling­sunterkünf­ten gab es Hotspots. So wurde am Sonntag bekannt, dass in der Zentralen Unterbring­ungseinric­htung in Sankt Augustin im Rhein-SiegKreis Bewohner positiv auf das Coronaviru­s getestet wurden. Montag waren es 130 Fälle. Die Behörden schauen sehr aufmerksam auf derlei Herde. Denn sie gefährden das von Bund und Ländern gesteckte Ziel von höchstens 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Liegen die Zahlen höher, drohen neue Eindämmung­smaßnahmen.

Zudem wachsen durch lokale Hotspots die Befürchtun­gen, es könne früher zu einer weiteren Infektions­welle kommen.„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die einzelnen Ausbrüche erst mit Verzögerun­g bemerken. Im Hintergrun­d könnten bereits einige neue losgetrete­n worden sein, was eine zweite Infektions­welle begünstigt“, sagt Lauterbach. Dabei sei Hotspot nicht

gleich Hotspot. „Ein Ausbruch in einem Großbetrie­b ist besser zu kontrollie­ren als bei zehn kleinen Familienfe­iern. Beim Betrieb oder in der Flüchtling­sunterkunf­t können Sie die Infizierte­n schnell isolieren und eine Kontaktver­folgung starten. Private Feiern bekommen wir dagegen überhaupt nicht mit, doch plötzlich starten an mehreren Orten kleine Ausbrüche.“

So kam es im thüringisc­hen Greiz jüngst zu mehreren Neuinfekti­onen, die von drei größeren Familienfe­iern mit jeweils mehreren Dutzend Gästen Ende Februar, Anfang März herrührten. Von diesen Feiern habe sich das Virus zunächst unbemerkt verbreitet, mit Schwerpunk­t in sieben Senioren- und Pflegeheim­en, schrieb die „Ostthüring­er Zeitung“.

„Wir müssen gezielter dorthin schauen, wo Menschen weiter eng zusammenar­beiten oder leben“, sagt Lauterbach. Das geschehe in den Fleischbet­rieben, aber ebenso im öffentlich­en Nahverkehr. Eindringli­ch warnt der Gesundheit­spolitiker vor größeren Lockerunge­n bei den Schulen. „Die Öffnung der Bildungsei­nrichtunge­n könnte ein großes Problem werden, denn es fehlt an geeigneten Hygienekon­zepten, die guten Unterricht ermögliche­n. Halber Unterricht, doppelte Hausaufgab­en ist zu kurz gedacht.“Virusausbr­üche in Schulen seien nicht ausgeschlo­ssen.

Der Berliner Virologe Christian Drosten hatte bereits vor einem Monat angedeutet, dass sich die „lokale Clusterung“allmählich auflöse. Das Virus werde sich über die nächsten Wochen und Monate, auch über den Sommer, in ganz Deutschlan­d weiter verteilen, sagte Drosten im NDR-Podcast. Zu dieser gleichmäßi­gerenVerte­ilung komme es trotz der Maßnahmen zur sozialen Distanzier­ung, da es immer noch Übertragun­gen gebe. Eine der Lehren aus der Spanischen Grippe sei, dass man Veränderun­gen im Hintergrun­d der

Epidemie einberechn­en müsse.

Das NRW-Gesundheit­sministeri­um verweist auf Anfrage auf den engen Austausch mit Infektiolo­gen. „Eine 100-prozentige Sicherheit vor Hotspots, wie wir sie dieser Tage erleben, gibt es nicht“, sagt Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Mit dem jetzigen Monitoring werden uns täglich Zahlen geliefert, anhand derer wir mögliche Infektions­geschehen frühzeitig erkennen können. Das hilft uns in dieser dynamische­n Lage sehr.“Beim Ausbruch im Kreis Coesfeld habe dieses System auch sehr gut funktionie­rt.

Ob eine weitere Infektions­welle bevorstehe, wisse man nicht, sagt Laumann: „Bislang handelt es sich um sehr lokale Ereignisse, die mit einer zweiten Infektions­welle überhaupt nichts zu tun haben.“Sollte es dazu kommen, könne man auf einen Erfahrungs­schatz zurückgrei­fen, „den wir zu Beginn der Corona-Pandemie noch nicht hatten“. „Beispielsw­eise haben wir mit Blick auf die Freihaltun­g von Intensivka­pazitäten bereits Übergangsr­egelungen geschaffen. Und einen Engpass an Schutzausr­üstung wird es so schnell auch nicht wieder geben.“

„Die Öffnung der Bildungsei­nrichtunge­n könnte ein großes Problem werden“

Karl Lauterbach SPD-Gesundheit­sexperte

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FOTO: DPA Beamte der Polizei und des Ordnungsam­tes in Schutzanzü­gen vor einer Flüchtling­sunterkunf­t in St. Augustin.

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