Die Gefahr von Hotspots
In den vergangenen Wochen kam es zu einzelnen massiven Coronavirus-Ausbrüchen. Vor allem Flüchtlingsheime und Schlachtbetriebe waren betroffen, künftig könnten es Schulen sein. Begünstigt das eine weitere Infektionswelle?
DÜSSELDORF Den Sumpf austrocknen. Die Worte von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann waren drastisch. „Ich betreibe da jetzt eine Politik der Null-Toleranz“, sagte Laumann jüngst im WDR, nachdem er auf die Corona-Fälle in einem Coesfelder Schlachtbetrieb angesprochen worden war. „Wir müssen jetzt diesen Sumpf austrocknen. Die Pandemie gibt uns die Möglichkeit, das zu tun.“
Deutschlandweit kam es zuletzt zu mehreren Coronavirus-Ausbrüchen in der Fleischindustrie. Die Bundesregierung wollte eigentlich an diesem Montag über das Thema sprechen, hat die Zusammenkunft aber auf Mittwoch verschoben. Es gebe noch Beratungsbedarf, hieß es aus Regierungskreisen in Berlin. Im Zentrum der Diskussion steht der Umgang mit saisonalen Arbeitskräften aus dem Ausland. Es ist keine neue Debatte, denn die Unterkunftsbedingungen in der Branche stehen seit Jahren in der Kritik. Doch das Virus schärft den Fokus.
„Wir haben eine überhöhte Billigfleisch-Industrie, die es zu bekämpfen gilt“, sagt der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach. Man müsse nun abwägen, welche Maßnahmen kurzfristig die Virusausbreitung in solchen Betrieben unterbinden, und gleichzeitig schauen, wie man die dortigen prekären Arbeitsverhältnisse grundsätzlich in den Griff bekomme.
Das Gesundheitsamt im RheinKreis-Neuss hat in den vergangenen Tagen alle Landwirte in seinem Gebiet abtelefoniert. Gefragt wurde nach der Zahl der Erntehelfer auf jedem Hof und nach dem angewendeten Hygienekonzept.„Jetzt prüfen wir, ob wir flächendeckend Corona-Tests auf allen Höfen durchführen“, sagt ein Sprecher des Gesundheitsamts. Einiges deutet darauf hin, dass der Rhein-Kreis-Neuss derzeit der einzige Kreis ist, der über eine solche Maßnahme nachdenkt. Ein Sprecher des Kreises Heinsberg betont, dass solche Prüfungen nur bei Verdachtsfällen durchgeführt würden. Auch im Rhein-Sieg-Kreis stehen derzeit keine Tests an.
Doch es sind nicht nur die Schlachtbetriebe, in denen es zuletzt zu Ausbrüchen kam. Auch in einigen Flüchtlingsunterkünften gab es Hotspots. So wurde am Sonntag bekannt, dass in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Sankt Augustin im Rhein-SiegKreis Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Montag waren es 130 Fälle. Die Behörden schauen sehr aufmerksam auf derlei Herde. Denn sie gefährden das von Bund und Ländern gesteckte Ziel von höchstens 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Liegen die Zahlen höher, drohen neue Eindämmungsmaßnahmen.
Zudem wachsen durch lokale Hotspots die Befürchtungen, es könne früher zu einer weiteren Infektionswelle kommen.„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die einzelnen Ausbrüche erst mit Verzögerung bemerken. Im Hintergrund könnten bereits einige neue losgetreten worden sein, was eine zweite Infektionswelle begünstigt“, sagt Lauterbach. Dabei sei Hotspot nicht
gleich Hotspot. „Ein Ausbruch in einem Großbetrieb ist besser zu kontrollieren als bei zehn kleinen Familienfeiern. Beim Betrieb oder in der Flüchtlingsunterkunft können Sie die Infizierten schnell isolieren und eine Kontaktverfolgung starten. Private Feiern bekommen wir dagegen überhaupt nicht mit, doch plötzlich starten an mehreren Orten kleine Ausbrüche.“
So kam es im thüringischen Greiz jüngst zu mehreren Neuinfektionen, die von drei größeren Familienfeiern mit jeweils mehreren Dutzend Gästen Ende Februar, Anfang März herrührten. Von diesen Feiern habe sich das Virus zunächst unbemerkt verbreitet, mit Schwerpunkt in sieben Senioren- und Pflegeheimen, schrieb die „Ostthüringer Zeitung“.
„Wir müssen gezielter dorthin schauen, wo Menschen weiter eng zusammenarbeiten oder leben“, sagt Lauterbach. Das geschehe in den Fleischbetrieben, aber ebenso im öffentlichen Nahverkehr. Eindringlich warnt der Gesundheitspolitiker vor größeren Lockerungen bei den Schulen. „Die Öffnung der Bildungseinrichtungen könnte ein großes Problem werden, denn es fehlt an geeigneten Hygienekonzepten, die guten Unterricht ermöglichen. Halber Unterricht, doppelte Hausaufgaben ist zu kurz gedacht.“Virusausbrüche in Schulen seien nicht ausgeschlossen.
Der Berliner Virologe Christian Drosten hatte bereits vor einem Monat angedeutet, dass sich die „lokale Clusterung“allmählich auflöse. Das Virus werde sich über die nächsten Wochen und Monate, auch über den Sommer, in ganz Deutschland weiter verteilen, sagte Drosten im NDR-Podcast. Zu dieser gleichmäßigerenVerteilung komme es trotz der Maßnahmen zur sozialen Distanzierung, da es immer noch Übertragungen gebe. Eine der Lehren aus der Spanischen Grippe sei, dass man Veränderungen im Hintergrund der
Epidemie einberechnen müsse.
Das NRW-Gesundheitsministerium verweist auf Anfrage auf den engen Austausch mit Infektiologen. „Eine 100-prozentige Sicherheit vor Hotspots, wie wir sie dieser Tage erleben, gibt es nicht“, sagt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Mit dem jetzigen Monitoring werden uns täglich Zahlen geliefert, anhand derer wir mögliche Infektionsgeschehen frühzeitig erkennen können. Das hilft uns in dieser dynamischen Lage sehr.“Beim Ausbruch im Kreis Coesfeld habe dieses System auch sehr gut funktioniert.
Ob eine weitere Infektionswelle bevorstehe, wisse man nicht, sagt Laumann: „Bislang handelt es sich um sehr lokale Ereignisse, die mit einer zweiten Infektionswelle überhaupt nichts zu tun haben.“Sollte es dazu kommen, könne man auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen, „den wir zu Beginn der Corona-Pandemie noch nicht hatten“. „Beispielsweise haben wir mit Blick auf die Freihaltung von Intensivkapazitäten bereits Übergangsregelungen geschaffen. Und einen Engpass an Schutzausrüstung wird es so schnell auch nicht wieder geben.“
„Die Öffnung der Bildungseinrichtungen könnte ein großes Problem werden“
Karl Lauterbach SPD-Gesundheitsexperte