Kann er auch Kanzler?
In der Corona-Krise hat Markus Söder deutlich an Beliebtheit gewonnen. Was treibt ihn an? Und wohin will er?
BERLIN Wenn Markus Söder ein behutsamer, vorsichtiger und bedächtiger Politiker wäre, hätte er die Erfahrungen der Grünen mit ihrem ersten kleinen virtuellen Parteitag als Warnung genommen. Kein Jubel, kein Applaus, und am Ende landen die Delegierten mit ihrem Scheitern an den Tücken der Technik in den Satireshows des Fernsehens. Doch Söder ist alles andere als behutsam, vorsichtig und bedächtig. Und so will der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Freitagabend zeigen, wie man Parteitage in Corona-Zeiten richtig macht.
Besser als die Grünen sein. Es gab Zeiten, da nahm Markus Söder das sehr persönlich. Beim vorletzten Politischen Aschermittwoch ließ er sich eigens einen Dreitagebart stehen und kokettierte damit, dass er auch den stärkeren Bartwuchs habe als Robert Habeck. Der Grünen-Chef wurde gerade in den Umfragehimmel katapultiert. Schon stand die Frage im Raum, wie lange es noch dauert, bis die Grünen mit einem Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen. Derweil war Söder immer noch mit Aufbauarbeiten in der neuen Rolle als vertrauenswürdiger Landesvater befasst. Nur durch geschicktes Taktieren war es ihm im Herbst 2018 gelungen, mitsamt den herben Verlusten bei der Landtagswahl nicht gleich wieder von Bord gespült zu werden. Der Absturz von 47,7 auf 37,2 Prozent wäre in früheren Zeiten gleichbedeutend gewesen mit dem Sturz des Ministerpräsidenten.
Doch weil Horst Seehofer den Machtwechsel lange verzögert und am Parteivorsitz festgehalten hatte, ging die Wahlschlappe nicht mit
Söder nach Hause. Vor allem gelang ihm in der öffentlichen Wahrnehmung der Nachweis, durch konsequentes Herumreißen bei Themen und Sprache eine noch größere Niederlage verhindert zu haben. Söder erfand sich neu.
Der rauflustige Wadenbeißer Söder, der er als 36-jähriger Generalsekretär war, ist längst Vergangenheit. Doch auch der 53-jährige Ministerpräsident heizte anfangs den Konflikt mit der CDU in der Migrationsfrage an. Doch schneller als Parteichef Seehofer erkannte Söder, dass diese Zuspitzung der CSU nur schadet. Und in einer bemerkenswerten Kehrtwendung strich er das vergiftete Wort „Asyltourismus“in aller Öffentlichkeit aus seinem Wortschatz.
Auch in der Feinanalyse desWahldesasters war er schneller mit Konsequenzen unterwegs, als es das Publikum und die eigene Partei erwartet hatten. Söder machte die CSU grün. Am Rande einer Sitzung des bayerischen Klimakabinetts inszenierte er sich vor den Fotografen beim Umarmen eines Baumes. Trieb ein Volksbegehren eben noch die CSU vor sich her, ließ sich der Regierungschef nun in seiner Liebe zur Biene nicht mehr übertreffen.
Baute er da schon an einer Schwarz-Grün-Perspektive für den Bund? Sicherlich nicht. Denn er stellte die Grünen nach der AfD als Hauptgegner der CSU an den Pranger. Allerdings war das auch ein Machtkalkül, weil er den Grünen unterstellt, Grün-Rot-Rot zu machen, wenn es rechnerisch reicht. Skeptisch blieben intime Kenner der CSU wie Roman Deininger von der „Süddeutschen Zeitung“. Noch Anfang des Jahres sagte er: „Spannend wird sein, was passiert, wenn
„Söder hat geschafft, was Strauß und Stoiber nie erreicht haben“
Matthias Jung Forschungsgruppe Wahlen
Söder mal richtig geprüft wird in seiner Konsequenz.“
Genau das ist mit Corona passiert. Mit seiner „klaren und umsichtigen Linie“habe Söder auch außerhalb des Lagers der Unionswähler punkten können, hält Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen fest. Hier lag Söder zuletzt bei den Sympathiewerten knapp hinter Merkel, weit vor den CDU-Chef-Aspiranten Friedrich Merz und Armin Laschet. Söder habe es geschafft, die CSU aus der Sonderrolle innerhalb der Union und Deutschlands herauszuführen. Das sei vor ihm nicht einmal Strauß und Stoiber gelungen. „Wenn er es schafft, diese Linie beizubehalten, wird er bei der Frage nach dem Kanzlerkandidaten die erste Wahl sein“, sagt Jung voraus.
Das wöchentliche Politiker-Ranking von Insa-Chef Hermann Binkert sieht Söder seit März sogar ununterbrochen auf Platz 1. Und auch dieser Demoskop legt sich fest: „Ihn nicht als möglichen Kanzlerkandidaten auf der Liste zu haben, würde CDU und CSU schwächen.“Der Meinungsforscher Richard Hilmer (Policy Matters) bescheinigt Söder, in der Krise mehr als andere das gezeigt zu haben, was die Bürger von einem verantwortlichen Politiker erwarteten: Führungsstärke. Die unterschiedliche Positionierung von Söder und Laschet bei der Bewältigung der Pandemie habe dazu beigetragen, „die latente Frage des künftigen Kanzlerkandidaten der Union auf dieses Duo zuzuspitzen“.
Wird dem neuen CDU-Chef Anfang 2021 nichts anderes übrig bleiben, als zum Frühstück in Söders Heimatstadt Nürnberg zu fahren, um ihm die Kanzlerkandidatur anzutragen, wie es Merkel 2002 bei Stoiber in Wolfratshausen tat? Weil aktuell keiner bessere Chancen hat als der Franke, die Union an der Macht zu halten? Weil im Winter eine zweite Corona-Welle in Erinnerung rufen könnte, wie Söder schneller und konsequenter und im Konflikt mit Laschet die Kontaktbeschränkungen in Bayern verfügte?
Sein aktuelles Amt als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz erlaubt es ihm, in der Krise mit Merkel im Kanzleramt aufzutreten. Und auch vor der CSU-Vorstandssitzung an diesem Montag meint er bei seinem Auftritt vor den Medien in München kein Treffen mit seinem bayerischen Koalitionspartner, wenn er vom Koalitionsausschuss spricht. Es geht ihm um den Bund. Er will auch mehr als eine bayerische Innovationsinitiative, er will einen nationalen Kraftakt. Und als zentrales Thema für den CSU-Parteitag geht es ihm auch nicht um die Frage, wie Bayern mit Corona umgeht, sondern wie er „Deutschland aus der Krise führen“will. Er mahnt pfiffige Ideen an und lässt wie zufällig einen Luftballon mit der Überlegung steigen, mit Urlaubsgutscheinen die heimische Reisebranche zu stützen.
Sieht einer, der so spricht, seine Zukunft wirklich in Bayern? Indem er in die Köpfe das Image „Der kann auch Kanzler“pflanzt, bereitet er vor allem einen Riesenerfolg bei der bayerischen Landtagswahl 2023 vor. Nebenbei macht er klar, dass er in der Union das entscheidende Wort über den Kanzlerkandidaten spricht. Für einen mit dem Selbstbewusstsein Söders ist das ein Wert an sich. Die Bayern-Bescheidenheit mag taktisch motiviert sein, aber strategisch darf sie bezweifelt werden. Bei der Bundestagswahl ist Laschet 60, Merz wird 66. Söder mag mit dann 55 getrost eine Wahl weiter denken.
Es sei denn, der Bedarf der CDU nach Frühstücken in Nürnberg wird schon 2021 übermächtig.