Rheinische Post

Der Sound des Homeoffice

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Irgendwann saß ich da und dachte: Homeoffice ist wie Konzert. Es piept, klickt, ploppt und zischt. Fast jede App hat nämlich einen eigenen Benachrich­tigungston: Email, SMS, Nachrichte­n, Messenger, Facetime, Twitter. Ich möchte sie dirigieren, große Sinfonie für digitales Kammerorch­ester und Monitor, die Tastatur als Klavier, die Maus ein Taktstock. Nur leider: Die Sounds sind nicht zur Entspannun­g gemacht, im Gegenteil: Sie dirigieren mich.

Jeder Ton soll uns darauf aufmerksam machen, dass jemand etwas von uns will. Dass die Zeit drängt oder noch mehr Aufgaben zu erledigen sind. „Funktional­e Klänge“nennt man die Familie, zu der die Signaltöne von Büro-Apps wie Slack und Skype gehören. Sie unterstütz­en unser Handeln, sie sind rein zweckgebun­den. Sie wirken wie ein akustische­s Logo, sie erklingen höchstens zwei oder drei Sekunden lang. Und ihre Verwandten sind das Schrillen des Weckers, das Piepgeräus­ch, wenn die elektrisch­e Zahnbürste fertig ist, und das Warnsignal, bevor sich die Türen der U-Bahn schließen.

Diese Benachrich­tigungstön­e könnte man als das Metronom im Leben eines Arbeitnehm­ers bezeichnen. Sie geben den Rhythmus der Stunden im Job vor: Tanz den Kapitalism­us. Und wer im Homeoffice sitzt und auch noch das Smartphone neben dem Computer liegen hat, verdoppelt den Soundbesch­uss: Das Handy wird zum Echo, zum Duettpartn­er des PC. Für Handys sind diese Klänge denn ursprüngli­ch auch komponiert worden, sagt Tom Blankenber­g. Er ist Komponist und Sounddesig­ner in Düsseldorf, und er sagt: „Bass spielt hier meistens keine Rolle. Die Töne müssen möglichst hoch klingen, damit sie durchdring­en und die Klangkulis­se im Büro oder im Lokal übertönen. Es geht ausschließ­lich darum, Aufmerksam­keit herzustell­en.“

Wer widerständ­ig ist, schaltet den Benachrich­tigungston einfach aus. Aber man kann ihn auch umdeuten. Versuchen, das Gute darin zu sehen. Sich einrichten im Alarm. Erinnert sich noch jemand an das Signal von Windows 95? Für mich ist es das schönste Soundlogo aller Zeiten. Die Greta Garbo der Produktivi­tätstöne sozusagen. Brian Eno hat es komponiert. Microsoft gab ihm ein paar Begriffe an die Hand. So möge das Stück klingen, baten sie: sentimenta­l, emotional, futuristis­ch, optimistis­ch, inspiriere­nd. Eno fertigte 84 Stücke. Er fand, dass das, was viele von uns noch im Ohr haben, am besten zu den Vorgaben passte. Es dauerte fast sechs Sekunden, also rund doppelt so lange, wie Microsoft es bestellt hatte. Aber das war egal. BeiYoutube findet man diesen Sound, und herrlich sind die Kommentare darunter:„Ich werf meinen PC weg und nehm den von 1995.“Unbedingt empfehlens­wert ist auch die um 2300 Prozent verlangsam­te Version dieses Stücks – ebenfalls bei Youtube zu finden. Sie dauert zwei Minuten und 32 Sekunden, und ehrlich: Sie ist wunderschö­n.

Meine aktuellen Lieblingss­ounds sind zum einen der von Skype. Wobei ich sagen muss, dass der Sound an sich gar nicht so schön ist: eine Mischung aus rhythmisch­em „DüDödö“und hereinwehe­ndem, digitalem „Kuckuck“-Ruf. Aber dieser Klang ist aufgeladen mit Sehnsucht, Wiedersehe­nsfreude und Heimweh. Wenn ich ihn höre, denke ich daran, wie Liebende, die sich auf unterschie­dlichen Kontinente­n aufhalten, die paar Sekunden bis zum Erscheinen des Bildes der geliebten Person dasitzen und diese Töne hören. Oder Familien, die auf Zeit getrennt sind und per Skype Kontakt halten. An der Vorstellun­g kann ich mich wärmen. Selbst im Büro. Und, auch schön: die Benachrich­tigungs-App Slack. Ein Schnalzen, das sich zum Ende hin überschläg­t. Im Grunde die lautmaleri­sche Entsprechu­ng des App-Namens.

Onomatopoe­sie nennt man es, wenn man außersprac­hliche Schallerei­gnisse sprachlich nachahmt. Auf Deutsch: Schallwort­bildung. „Ticktack“für das Ticken einer Uhr etwa. Passend dazu sagen ja viele Kollegen, dass sie einen gleich „anschlecke­n“werden, wenn sie meinen, dass sie später per Slack etwas senden. Anschlecke­n, hihi. Bürohumor halt.

Der Futurist Luigi Russoli verfasste über die Geräusche, die unseren Alltag beherrsche­n, bereits vor mehr als 100 Jahren eine grundlegen­de

Abhandlung. „Die Geräuschku­nst“heißt sie, sie erschien 1916, und sie gilt noch heute als Inspiratio­n für Musiker aus den Bereichen Electro, Techno und Industrial. „Das Leben früher war nichts als Stille“, schrieb Russoli. Erst „im 19. Jahrhunder­t, mit der Erfindung der Maschinen, entstand das Geräusch. Heute triumphier­t das Geräusch und beherrscht uneingesch­ränkt die Empfindung der Menschen.“

Russoli grenzte den „Geräusch-Ton“vom „heiligen Ton“ab, jenem ersten Ton, den die Menschen auf einer gespannten Saite oder einem hohlen Rohr zustandege­bracht haben. Russoli unterschie­d sechs Familien von Geräuschen: Brummen, Pfeifen, Surren, Kreischen, Schlagen von Stahl und Schrillen. Und er empfahl, diese Geräusche wie ein futuristis­ches Orchester zu betrachten. Dann werde es nicht so anstrengen­d, damit zu leben.

Bei einigen Apps kann man sich die Benachrich­tigungstön­e selbst aussuchen, bei Whatsapp etwa. Und das ist eine schöne Vorstellun­g, dass man das blöde Pling, das die Ankunft einer Mail signalisie­rt, durch Meeresraus­chen ersetzt. Und das Piep für die SMS durch das Zwitschern exotischer Vögel, und all die anderen Töne durch das Rauschen des Windes in einer Palme oder das Plätschern von Meerwasser.

Es würde den Arbeitstag verändern. Holiday im Homeoffice. Anschlecke­n erlaubt.

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