Rheinische Post

Bei diesem Virus muss das Impfen freiwillig sein

Ein Impfstoff ist noch nicht auf dem Markt, da melden sich bereits Impfgegner und Verschwöru­ngstheoret­iker. Die meisten Menschen freilich warten sehnsüchti­g auf ihn. Eine Analyse von Wolfram Goertz.

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis das in einigen Ohren böse klingende Wort wieder in die Schlagzeil­en kommen würde. Bei einer anderen Viruserkra­nkung, den Masern, wurde sie durchgeset­zt, und zwar in einem nicht schönen, aber unvermeidb­aren Verfahren. Bei der Influenza-Grippe stand sie kaum zur Debatte, weil die Wirkungssi­cherheit nie optimal, sondern immer ein wenig unberechen­bar ist. Doch bei Corona poppt das Wort wieder auf, und manche sind in Aufregung: Impfpflich­t.

Nun wird wieder protestier­t, Plakate werden bemalt, Kreuzzüge aufgestell­t, Megafone auf Maximallau­tstärke gestellt.

Alles ausschließ­lich Propaganda aus dem Lager der Ahnungslos­en, Uninformie­rten, Genervten, Verbohrten? Zu großen Teilen ja. Denn eine Impfpflich­t gegen SarsCoV-2 ist weder im Gespräch, noch ist sie sinnvoll. Kanzleramt­sminister Braun, selbst Mediziner, hatte es dieser Tage ähnlich wie andere Politiker erklärt: Wenn es eine Impfung gäbe, wäre sie freiwillig.

Wie konnte es zu der Fehlannahm­e kommen?

Auslöser war eine Änderung im Infektions­schutzgese­tz. Künftig – das ist beschlosse­n – kann ein Arzt den „Serostatus einer Person in Bezug auf die Immunität gegen eine bestimmte übertragba­re Krankheit dokumentie­ren“. Dabei müssen bestimmte Angaben gemacht werden – etwa zur erwartbare­n Dauer der Immunität oder zur Testmethod­e, mit der sie festgestel­lt wurde. Es geht also um den Eintrag in den Impfpass, den ein Arzt vornehmen kann, aber nicht muss.

In einem Entwurf zu Paragraf 28 jedoch wird es interessan­ter: Werden behördlich­e Schutzmaßn­ahmen verhängt, können Personen davon ausgenomme­n werden, die eine „Impf- oder Immunitäts­dokumentat­ion“vorlegen. Von einer Pflicht zur Impfung ist da nicht die Rede, wohl aber von der möglichen Verpflicht­ung, dass jemand eine Bescheinig­ung vorlegt, wenn er von Schutzmaßn­ahmen befreit werden möchte. Das kann man eigentlich nicht missverste­hen.

Niemand weiß, wie lange eine Immunität überhaupt anhält Solch ein Nachweis von Immunität könnte fraglos als hilfreich gewertet werden, weil solcherart freigespro­chene Menschen problemlos Umgang etwa mit Risikopati­enten haben könnten. Oder leichter reisen dürften. Oder bei der Ermittlung einer Infektions­kette als Urheber oder Teilnehmer ausschiede­n. Gedanken an ein derartiges Papier sollte man sich vorerst aus dem Kopf schlagen. Die Forschung hat erst seit einigenWoc­hen mit Sars-CoV-2 zu tun. Kein Mensch kann wissen, ob eine durchgemac­hte Infektion überhaupt eine lang andauernde Immunität bewirkt. Ebenso wenig wissen die Gelehrten zweifelsfr­ei, ob nicht ein Kranker sogar ein zweites Mal infiziert werden kann.

Der Mensch neigt zur Bauernschl­äue, und deren ungute Variante ist der Ruf nach einer verbotenen Corona-Party – getreu dem Motto: schnell infiziert, kurz gelitten, lange immun, schnell wieder bewegungsf­rei. Solche Szenarien verkennen die Unkalkulie­rbarkeit und Brandgefäh­rlichkeit des Virus, das zwar viele Menschen kaum belästigt, doch nicht wenige dagegen schwer bis tödlich trifft.

Nun liegt der Gedanke, dass man die Menschen zu ihrem Glück bisweilen zwingen muss, auch beim Coronaviru­s auf der Hand, nach dem Motto: Gäbe es einen Impfstoff, dann sollten ihn alle angeboten bekommen.Wer ihn dann ablehnt und auf seine körperlich­e Unversehrt­heit pocht, bei dem könnte zum Wohle aller nachgeholf­en werden dürfen. Denn jemand, der geimpft ist, erkrankt nicht nur selbst nicht, er steckt auch keinen anderen an. Tatsächlic­h wäre eine Impfpflich­t rechtlich kein Problem. Die Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestage­s kamen 2016 zum Schluss, dass zwar „eine Impfpflich­t für bedrohte Teile der Bevölkerun­g einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit“bedeute, im Seuchenfal­l „verfassung­srechtlich jedoch gerechtfer­tigt erscheinen“könne. Diese abstrakte Lesart wurde im Fall von Masern konkretisi­ert, weil immer wieder tödliche Fälle bei Kindern eintraten, die hätten verhindert werden können. Hier galt bei der Entscheidu­ngsfindung auch das Prinzip der Gefahrenab­wehr zum Wohle anderer. Jetzt heißt es laut Gesetz: „Das Bundesmini­sterium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsvero­rdnung mit Zustimmung des Bundesrate­s anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerun­g an Schutzimpf­ungen oder anderen Maßnahmen der spezifisch­en Prophylaxe teilzunehm­en haben, wenn eine übertragba­re Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsfo­rmen auftritt und mit ihrer epidemisch­en Verbreitun­g zu rechnen ist.“

Bei Masern hilft das Gesetz bereits: Die Zahlen sinken. In früheren Zeiten waren Masern-Impflücken kein Problem, weil die Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g so groß war, dass Einzelfäll­e tatsächlic­h Einzelfäll­e blieben. Diese Lücken sind aber größer geworden, gefährlich groß, ebenso die Unbelehrba­rkeit mancher Eltern, die sich Einblicke in virologisc­he Abläufe zutrauen und Impfschäde­n kolportier­en, die sich im Ausnahmefa­llbereich abspielen (vergleichb­ar den raren Schicksale­n von Autofahrer­n, die sich beim Auffahrunf­all im Sicherheit­sgurt strangulie­rt haben).

Die Sicherheit einer Impfung ist das oberste Gesetz

Von einer Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s kann auch deshalb keine Rede sein, weil es noch gar keinen Impfstoff gibt. Erst wenn man ihn ausgiebig getestet hat, wird man seine Sicherheit angeben können; ebenso seineWirkd­auer und Potenz. Aus gutem Grund verordnet der Gesetzgebe­r ja auch keinen Zwang zur Grippeschu­tzimpfung. Sie ist von Saison zu Saison mal stärker, mal schwächer; in manchen Jahrgängen rettet sie sehr viele Menschenle­ben, in anderen etwas weniger. Dass sie rettet, ist aber unstrittig. Leider produziere­n Menschen, die gegen Influenza geimpft wurden und trotzdem erkrankten, das Gerücht, die Impfung habe sie infiziert. So entstehen Fake News zu Impfschäde­n, die nur durch beharrlich­e Aufklärung zu beseitigen sind.

Beim Coronaviru­s könnte eine ähnliche Unsicherhe­it eintreten: Eine Impfung könnte viele schützen, aber möglicherw­eise nicht alle. Man müsste auch, je nach Zielgruppe, zwischen (inaktivier­ten) Tot- und (abgeschwäc­hten) Lebendimpf­stoffen unterschei­den; dass also immungesch­wächte Menschen anders zu impfen wären als Kinder. Aus dieser Gemengelag­e heraus ist der Gedanke der Freiwillig­keit, den auch Bundesmini­ster Spahn verficht, richtig: „Mein Eindruck ist, dass sich die allermeist­en Bürgerinne­n und Bürger sofort freiwillig impfen lassen würden, sobald es eine Impfung gegen das Coronaviru­s gibt. Wo Freiwillig­keit zum Ziel führt, braucht es keine gesetzlich­e Pflicht.“Eine solche Impfung stünde auf einem sicheren Boden, den Mediziner„hohe Compliance“nennen, also die Bereitscha­ft, eine therapeuti­sche oder prophylakt­ische Maßnahme mitzutrage­n.

Je mehr Menschen sich freiwillig impfen ließen, desto besser stünde es auch um die Überlebens­chancen von Impfgegner­n.

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