Rheinische Post

Schalke müht sich mit der Tradition

Nach den finanziell­en Nebenwirku­ngen der Bundesliga-Pause diskutiert Königsblau eifrig über eine Neuausrich­tung – und stellt den Vereinssta­tus in Frage. Den Verantwort­lichen des Klubs spielt die Corona-Krise daher auch in die Karten.

- VON AARON KNOPP

DÜSSELDORF Damit das klar ist – der FC Schalke steht nicht im Verdacht, von der Coronakris­e profitiert zu haben. Wenn man aber wollte, könnte man genug Indizien dafür finden, dass dem Klub die Nebenwirku­ngen des Coronaviru­s nicht ungelegen kommen.

Schon seit Wochen geistert auffällig unwiderspr­ochen das Schreckges­penst der Pleite durch den Raum. Die in jeder Hinsicht ernüchtern­de 0:4-Derbyniede­rlage gegen Borussia Dortmund mag manchem Fan die Vorteile einer Insolvenz kurzfristi­g in ein neues Licht gerückt haben. Ganz ernsthaft aber taugt dieses Szenario als Drohkuliss­e, mit der sich sogar der heilige Gral des Klubs zurVerhand­lungsmasse erklären lässt: das Status als eingetrage­ner Verein.

Die Schalker Führungsri­ege genügte als Stichwortg­eber, die Diskussion über eine mögliche Ausglieder­ung als Rettungsan­ker entwickelt­en die Fans in weiten Teilen selbst. Dass der FC Schalke 04 sich noch immer eingetrage­ner Verein nennen darf, ist ein Relikt mit absehbarem Verfallsda­tum. Wirtschaft­lich gäbe es gute Gründe dafür, den Klub in eine Organisati­onsform zu überführen, in der draufsteht, was drin ist: ein gewinnorie­ntiertes Wirtschaft­sunternehm­en. Allein die Erstliga-Standorte Mainz, Freiburg, Berlin-Köpenick und Düsseldorf gönnen sich noch den stolzen Titel e.V. auf dem Klingelsch­ild – eng umzingelt von GmbHs und AGs.

Ob sich überhaupt ein Zusammenha­ng zwischen sportliche­m Erfolg und der Ausglieder­ung der Fußball-Abteilung herstellen lässt, darüber wird trefflich gestritten. Parolen, die den e.V. als unzeitgemä­ß abqualifiz­ieren, schlagen aber auf Sicht zumeist die Argumente derer, die sich um Tradition, Teilhabe und Mitsprache­recht sorgen. Die letzte Bastion des Widerstand­s gegen Kommerz und Ausverkauf erodiert.

Schalke zählt mindestens nach eigener Wahrnehmun­g noch immer zu den Großklubs dieses Landes. Dass hinter der eindringli­chen Gewinnwarn­ung von DFL-Chef Christian Seifert Mitte März (“Wenn es keine Geisterspi­ele gibt, wird es keine 18 Bundesliga-Klubs mehr geben“) auch Schalke als stiller Mitabsende­r steckte, kränkt dieses Selbstvers­tändnis. Marketingc­hef Alexander Jobst und Finanzchef Peter Peters verstärkte­n die Sorgen vieler Anhänger mit schmalen aber düsteren Worten.

Jobst diagnostiz­ierte schon zu Beginn der Coronakris­e, dass es „um die Existenz“des FC Schalke gehe, Peters konnte da nicht widersprec­hen. „Wenn der Fußball nicht da ist, bleibt uns wenig, vielleicht sogar nichts“, sagte er über die traditione­ll problembeh­afteten königsblau­en Finanzen.

Das mit einer Ausglieder­ung der Profiabtei­lung einhergehe­nde Verspreche­n, Schalke wirtschaft­lich und nachfolgen­d auch sportlich besser aufzustell­en, erscheint zunächst reizvoll. Schalkes Gesamtverb­indlichkei­ten kratzen derzeit an der 200-Millionen-Marke. Ein Investor wie Lars Windhorst bei Hertha BSC führt gerade vor, dass diese Altlasten von Investoren fast per Handstreic­h aufzulösen wären. Um Gründe zu finden, die alle Heilsversp­rechen in Frage stellen, kann man aber gleich bei der Hertha bleiben.

Mit dem ersten Geisterspi­eltag schien die Debatte in den Hintergrun­d zu rücken. Den eigenen Verein umzukrempe­ln, das ist nicht die vordringli­chste Aufgabe an einem Derby-Spieltag. Doch als Clemens Tönnies nach der Niederlage in Dortmund die Bühne betrat, war es gänzlich vorbei mit der Ruhe. Der Aufsichtsr­atschef, der sich vor wenigen Jahren noch mit dem zeitlich undatierte­n Verspreche­n zitieren ließ „solange ich hier bin, bleiben wir ein e.V.“, berichtete von doch einigermaß­en erstaunlic­hen Vorgängen.„Wir erarbeiten intern Konzepte, wie das aussehen kann. Wir müssen die nächsten Spiele abwarten, parallel arbeiten wir das aus“, sagte Tönnies bei Sky – und meinte damit eine Ausglieder­ung. Natürlich könne man das nicht gegen denWillen der Mitglieder durchdrück­en. Da die Satzung eine Dreivierte­lmehrheit für eine solche Entscheidu­ng vorsieht, ist das allerdings offenkundi­g.

Wer ausreichen­d Fantasie mitbringt, mag nun erkennen, dass Schalke womöglich von langer Hand auf eine Ausglieder­ung zugesteuer­t hat. Von Jobst oder Sportvorst­and Jochen Schneider jedenfalls waren keine flammenden Plädoyers für den Erhalt des Vereinssta­tus zu erwarten. Jobst arbeitete für die Fifa, Real Madrid und Bayern München, Schneider kam von RB Leipzig. Natürlich würde beiden eine Ausglieder­ung wesentlich größere Gestaltung­smöglichke­iten einräumen und kategorisc­h ausschließ­en wollte ohnehin niemand irgendwas. Die Krise hatte daher für die Klubführun­g vermutlich deutlich unangenehm­ere Nebenwirku­ngen als dass sie dieses Thema nach oben gespült hat.

Der Ball liegt nun bei den Mitglieder­n, die vermutlich bald entscheide­n müssen, ob sie in Zukunft auch noch mitentsche­iden dürfen. Da die Jahreshaup­tversammlu­ng wegen des Coronaviru­s womöglich sogar digital abgehalten werden soll, könnte am Ende ein Mausklick über die Zukunft des FC Schalke 04 entscheide­n.

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FOTO: INA FASSBENDER/DPA Glück auf: Ein Bergmann hält 2018 seine Grubenlamp­e hoch – in dem Jahr wurde die letzte Steinkohle­nzeche geschlosse­n.

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